Die „Polesie“ ist am Mittwochmorgen in Cuxhaven eingelaufen. Am Rumpf sind vor allem auf Höhe des Ankers Spuren der Kollision zu sehen.

Die „Polesie“ ist am Mittwochmorgen in Cuxhaven eingelaufen. Am Rumpf sind vor allem auf Höhe des Ankers Spuren der Kollision zu sehen.

Foto: Scheer

Der Norden

Frachter-Crash: Wie ist es dazu gekommen? Untersuchungen laufen (Update 12)

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Von Maria Weigl
24. Oktober 2023 // 09:19

+++ Schiffsdrama nahe Helgoland +++ Zwei Frachter stoßen nachts zusammen +++ 91-Meter-Schiff sinkt +++ Große Rettungsaktion +++ Suche eingestellt +++ Zwei Männer gerettet, fünf Tote +++ Untersuchungen laufen +++

Zwei Frachtschiffe sind am frühen Dienstagmorgen zwischen den Nordseeinseln Helgoland und Langeoog miteinander kollidiert. Mehrere Rettungseinheiten der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) sowie weitere Schiffe und Hubschrauber sind im Einsatz.

Seemannsdiakon kümmert sich um die Besatzung

Seemannsdiakon Martin Struwe ist Fachberater für Psychosoziale Notfallversorgung. Er betreut die 22 Menschen auf dem Frachter „Polesie“.

Zu der Situation sagt er: „Es fängt mit dem Ereignis an, dann der Stress über viele Tage. Da ist dieses Klischee von den harten Kerlen. Und das sind natürlich Menschen, die Außergewöhnliches leisten und deutlich mehr Gefahren ausgesetzt sind als viele andere in ihrem Beruf. Doch so oft gehen Schiffe auch nicht unter und am Ende sind das auch nur Menschen, die genau sehen, was da passiert. Der Weg zu sich selbst ist dann nicht mehr so weit. Und zu der Frage: Wie schnell kann es gehen?“

Die Menschen an Bord der „Polesie“ funktionieren und das sei eine ganz große Herausforderung.

Keine „Blackbox“ im Wrack

Zwei Tage nach dem Frachter-Unglück stellt sich weiter die Frage, wie es zu dem Zusammenstoß mit fünf Toten kommen konnte. Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) untersucht den Unfall noch.

Auf Informationen aus einem Voyage Data Recorder (VDR) können die Ermittler nicht zurückgreifen. An Bord der „Verity“ soll kein VDR gewesen sein. Ein VDR-System zeichnet, ähnlich wie eine Blackbox im Flugzeug, Daten auf. Dazu gehören Audioaufnahmen von der Brücke, Sensordaten, Angaben zum Wetter, Radardaten oder Aufzeichnungen der Maschinen an Bord.

Ein VDR-System ist erst ab einer Bruttoraumzahl (BRZ) von 3.000 Pflicht. Laut dem Online-Dienst Marine Traffic hatte die „Verity“ eine Verdrängungsmasse von 2.601 BRZ. Eine VDR-Ausrüstung bei Schiffen unter der Grenze von 3.000 BRZ sei selten, sagte Ulf Kaspera, Leiter der BSU.

AIS-Daten geben Auskunft über Kollisionsablauf

Die Ostfriesen-Zeitung (OZ) hat am Donnerstag über erste Ermittlungsergebnisse der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) berichtet. Die BSU ist mit der Untersuchung des Unfalls beauftragt. Die Auswertung von Daten des Automatischen Identifikationssystems (AIS) ergab, das die „Polesie“ in westlicher Richtung unterwegs war. Die „Verity“ fuhr von Süden kreuzend in Richtung Norden.

Zudem zeigen die Daten, dass die „Polesie“ kurz vor dem Zusammenstoß ihren Kurs leicht nach Backbord geändert hat. Sie steuerte also auf die „Verity“ zu. Die „Verity“ steuerte wohl in Richtung Steuerbord, um der „Polesie“ auszuweichen.

Nun ist es definitiv: Fünf Seeleute starben bei dem Unglück

Jetzt ist es traurige Gewissheit: Die Kollision der zwei Frachter nahe Helgoland am frühen Dienstagmorgen hat fünf Seeleute das Leben gekostet. Die gesunkene „Verity“ hatte sieben Mann Besatzung. Zwei konnten am Dienstag aus der See gerettet werden, ein Mann wurde tot geborgen.

25 Schiffe, sechs Hubschrauber und zwei Flugzeuge hatten das Seegebiet penibel durchkämmt. Dennoch konnten bei dem Großeinsatz die vier noch vermissten Männer des gesunkenen Frachters „Verity“ nicht gefunden werden.

Somit muss davon ausgegangen werden, dass diese vier Seeleute nach der Kollision nicht mehr aus dem sinkenden 90-Meter-Frachter kamen.

Dr. Robby Renner, Leiter des Havariekommandos, sagte in Cuxhaven: „Wer in so einem Wrack eingeschlossen ist, hat bei den Temperaturen keine Überlebenschance mehr.“ Die Nordsee hat vor Ort derzeit 12 Grad. Das Zeitfenster, in dem es möglich ist zu überleben lag bei maximal 20 Stunden, sagte Michael Ippich, Mitglied der Geschäftsführung der DGzR, am Mittwoch bei der Pressekonferenz.

Havariekommando arbeitet an Bergungsverfügung

Das Havariekommando kooperiert aktuell mit dem Schifffahrtsamt Weser-Jade-Nordsee, um eine Bergungsverfügung für die „Verity“ zu erhalten. Die Verfügung hat das Ziel den Austritt des Kraftstoffs zu stoppen oder das Schiff zu bergen.

Bis es dazu kommen kann, muss die Behörde den Eigner der „Verity“ anweisen, eine geeignete Bergungsfirma zu finden.

Diesel fließt aus dem gesunkenen Frachter

Einen Tag nach der Kollision der beiden Frachter in der Nordsee gibt es immer mehr Informationen über das Wrack der „Verity“. Fest steht: Aus dem Schiff tritt Diesel aus. Bisher sollen etwa 90 Liter Diesel an die Wasseroberfläche gelangt sein. Die kontaminierte Seefläche sei aktuell etwa 20 mal 200 Meter groß, teilte ein Sprecher des Havariekommandos der Ostfriesenzeitung mit.

Die Ökosysteme an der Küste und um Helgoland sollen dadurch erstmal nicht gefährdet sein, sagt der Leiter des Havariekommandos, Dr. Robby Renner auf einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag. Eine Bergung des Treibstoffs sei aktuell nicht möglich. Der Diesel sei zu leicht und lässt sich nicht von der Oberfläche separieren. Er verdunstet, erklärt Renner.

An Bord des Wracks haben sich am Mittwochnachmittag noch etwa rund 127 Kubikmeter Schiffsdiesel befunden. Das sind 127.000 Liter.

Tauchroboter durchsucht das Wrack

Ein ferngesteuerter Tauchroboter hat das Wrack in 30 Metern Tiefe abgesucht. Lebenszeichen konnte der Roboter nicht entdecken. Das teilt ein Sprecher des Havariekommandos am Mittwoch mit. Demnach muss davon ausgegangen werden, dass die vier Vermissten tot sind.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat zusammen mit der Bundespolizei See die Ermittlungen aufgenommen. „Wir ermitteln wegen des Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr und der fahrlässigen Tötung“, teilte am Mittwochmittag eine Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage der Ostfriesen-Zeitung (OZ) mit.

Kollision der beiden Frachter „Polesie“ und „Verity“

Karte: Mapcreator.io | OSM.org

Kein weiterer Tauchgang mehr am Wrack

Mittlerweile wurde die Suche an der Wasseroberfläche eingestellt. Auch unter Wasser wird es keine weiteren Aktionen geben. Ein zweiter Tauchgang an der Unglücksstelle ist derzeit nicht geplant.

Suche wird nicht wieder aufgenommen

Die Suche an der Wasseroberfläche wird heute nicht erneut aufgenommen. Das teilt das Havariekommando mit. Über die weiteren Maßnahmen rund um die Unfallstelle wird noch entschieden. Es gibt keine Hoffnung mehr, die vier vermissten Seeleute noch lebend zu finden.

Gegen 4 Uhr am Morgen hat die „Polesie“ in Cuxhaven angelegt.

Suche erstmal eingestellt - Hoffnung schwindet

Bis in den späten Abend haben die Rettungskräfte am Dienstag nach den vier Schiffbrüchigen gesucht - ohne Erfolg. Dann wurde die Suche eingestellt. Im Laufe des Vormittags soll entschieden werden, wie es mit der Suche weitergeht.

Bis Mitternacht hätten die vier vermissten Seeleute noch bei den Wassertemperaturen überleben können. Die Hoffnung schwindet von Stunde zu Stunde.

Suche dauert an

Auch über Nacht wird weiter nach den vier vermissten Seeleuten gesucht. Mit zahlreichen Schiffen und drei Helikoptern sind die Rettungskräfte im Einsatz. Laut Havariekommando soll die Suche bis nach Mitternacht fortgesetzt werden.

Taucher suchen das Wrack ab

Sind die vier vermissten Seeleute noch in der „Verity“ eingeschlossen? Um 15 Uhr drangen Taucher zu dem gesunkenen Frachter in etwa 30 Metern Tiefe vor, um die Seeleute zu suchen. Allerdings blieb das zunächst erfolglos.

„Die Taucher konnten keine Erkenntnisse gewinnen“, teilte das Havariekommando in Cuxhaven mit. Zuvor war vermutet worden, dass die Vermissten sich im Inneren des gesunkenen Frachters befinden könnten.

Hoffnung bis Mitternacht

12 Grad kalt ist das Wasser der Nordsee an der Unglücksstelle. Nach Einschätzung von Experten bei der Pressekonferenz von Havariekommando und Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger können die vermissten Seeleute bei diesen Temperaturen bis zu 20 Stunden in der See überleben.

Voraussetzung: Sie hatten nach der Kollision noch Zeit, sich eine Rettungsweste oder besser noch einen Kälteschutzanzug anzuziehen. Bis kurz nach Mitternacht besteht also noch Hoffnung, die Vermissten lebend zu finden.

Seenotretter stellen sich auf langanhaltende Suche ein

„Solange es einen Funken Hoffnung gibt, werden wir die Such- und Rettungsmaßnahmen fortführen. Im Moment ist nicht absehbar, dass sie eingestellt werden“, sagte Christian Stipeldey, Sprecher der DGzRS.

Sechs Seenotrettungskreuzer der DGzRS sind im Einsatz, um die noch vier Vermissten zu suchen. Die Bedingungen seien mit Windstärke sechs und einem Wellengang von bis zu drei Metern herausfordernd.

Ein Seemann tot geborgen - drei weitere gerettet

Die Suche der Rettungskräfte dauert an. Ein Mann wurde tot aus der Nordsee geborgen. Drei weitere konnten gerettet werden. Es werden noch vier weitere Besatzungsmitglieder vermisst, teilt die DGzRS mit.

Frachter nach Kollision gesunken

Das Havariekommando geht derzeit davon aus, dass die 91 Meter lange und 14 Meter breite „Verity“ infolge der Kollision gesunken ist.

Der Frachter aus dem Vereinigten Königreich war auf dem Weg nach Bremen. Ein Seemann konnte aus dem Wasser gerettet werden und wird medizinisch versorgt. Die Suche nach den Schiffbrüchigen läuft.

Weiterer Frachter schwimmfähig

Die 190 Meter lange und 29 Meter breite „Polesie“ ist schwimmfähig. Der Frachter von den Bahamas war auf dem Weg von Hamburg nach La Coruña in Spanien.

Die Such- und Rettungsmaßnahmen werden durch den Seenotrettungskreuzer „Hermann Marwede“ der DGzRS koordiniert.