Druckgrafiken vorm Krieg gerettet: Ausstellung in Bremer Kunsthalle

Druckgrafiken vorm Krieg gerettet: Ausstellung in Bremer Kunsthalle

Anna Goratsievna Ashenazi hat eine anstrengende Reise hinter sich. Die Dame mit dem auffallenden Hut wurde in Kisten versteckt, dabei verlor sie ihr Passepartout. Sie musste ihre Heimat, die Ukraine, verlassen und ist nun in Bremen in Sicherheit.

Die Schätze sind in Sicherheit

Druckgrafiken vor dem Krieg gerettet: Bremer Kunsthalle zeigt Werke aus dem Museum in Odessa

Nicht nur Menschen müssen sich vor den russischen Bomben fliehen, sondern auch Kunstwerke wie die Radierung des Franzosen Paul César Helleu, der die ernste Dame im 18. oder 19. Jahrhundert festhielt. Jetzt hängt Anna Goratsievna Ashenazi im Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen und gehört zur Ausstellung „Spuren der Zeit. Druckgraphik des 16. und 19. Jahrhunderts aus dem Museum für westliche und östliche Kunst Odesa“ - die Ausstellungsmacher setzten auf die ukrainische Schreibweise.

Museum in Odessa besitzt 4500 Arbeiten auf Papier

Als russische Truppen am 24. Februar 2022 die Ukraine angriffen, als die ersten Bomben fielen, wurden in Museen und Archiven eilig Kunstwerke abgehängt, verpackt, versteckt oder in die Westukraine gebracht. Ursprünglich besaß das Museum in Odessa 4500 Arbeiten auf Papier. In Bremen fanden jetzt 125 Druckgrafiken langfristig Unterschlupf, 40 davon sind in der Schau zu sehen.

Die Werke nach Bremen zu bringen, war ein logistischer und finanzieller Kraftakt, wobei die Bürokratie fast ein größeres Hindernis gewesen sei als der Krieg, scherzt Ihor Poronyk, der Museumsdirektor aus Odessa. Er freut sich nicht nur darüber, dass er seine Schätze in Sicherheit weiß, sondern auch darüber, dass er in Bremen mal drei Nächte ohne Bombenalarm durchschlafen konnte.

Die Ausstellung ist mehr als ein kultureller Austausch, sie ist auch ein politisches Statement. „Wir wollen ein Zeichen setzen, ein Zeichen der Solidarität“, sagt Christoph Grunenberg, der Direktor der Bremer Kunsthalle. „Wir wollen daran erinnern, dass nicht nur Menschen angegriffen werden, sondern auch über 1000 Kulturinstitutionen.“

Sommerliche Landschaft mit Kuhmelkerin

Dabei erzählen die Kunstwerke aus Odessa nichts von den Schrecken des Krieges. Im Gegenteil: die Szenerien sind oft heiter wie auf der sommerlichen Landschaft mit Bäumen, Bergen und viel Himmel, die der Venezianer Nicolò Boldrini um 1525 festhielt. In dem Holzschnitt nach einem Gemälde von Tizian geht die „Kuhmelkerin“ im langen Kleid ihrer Arbeit nach, ein Pferd springt über die Wiesen, ein Schaf schnuppert am Fuß eines Hirtenjungens. Im Hintergrund ist der Kirchturm einer Stadt zu sehen. „Das Blatt ist in einem hervorragenden Zustand“, freut sich Kuratorin Maria Aresin. Da wirkt der Titel „Spuren der Zeit“, auf dem der Museumsdirektor aus Odessa bestand, etwas irritierend.

Auf den zweiten Blick existieren die Spuren der Zeit tatsächlich - vor allem auf den Rückseiten der Arbeiten. In einer Vitrine können die Besucher die Spuren sehen, die sowjetische Konservatoren hinterließen: Mal entfernten sie die Aufkleber mit den Herkunftsnachweisen, mal benutzten sie zur Fixierung Briefmarken. Die Außen- und Innenansichten zwischen den Meisterwerken erzählen eine weitere Geschichte, die des Museums vor und während des Krieges. Die Fotos berichten von der Auslagerung der Werke, zeigen unter anderem leere Rahmen, die auf dem Boden liegen, und Kisten für den Weitertransport.

In Bremen geht es erst einmal um die stolze Geschichte des 1924 gegründeten Museums. Die Sammlung aus Odessa, das bestätigt Kuratorin Maria Aresin, zuständig für Druckgrafik, ist der aus Bremen nicht unähnlich. Die meisten Werke aus Odessa stammen aus Westeuropa, umfassen das 16. bis 19. Jahrhundert. „Die 100 Jahre ältere Kunsthalle ist wie ein großer Bruder für uns“, findet denn auch Poronyk.

Grafiken in neuen Papierrahmen

Die Grafiken aus Odessa präsentieren sich im Kupferstichkabinett in neuen Passepartouts. Denn sie kamen ohne Papierrahmen in der Hansestadt an, die Restauratoren der Kunsthalle hatten gut zu tun. Für Kuratorin Aresin war es wichtig, eine repräsentative Auswahl zu treffen. Bekannte Künstler wie Rembrandt und Anthonis van Dyck sind ebenso dabei wie unbekanntere - etwa Johan Barthold Jongkind, der mit einer Hafenszene vertreten ist. Immer wieder fesseln originelle Details wie das Eichhörnchen und der Iltis, die auf der Radierung von Johann Elias Ridinger am unteren Bildrand ihre Spuren hinterlassen haben. Im „Früchtestillleben“ (1781) von Richard Earlom versteckt sich eine nackte Frau. Auch Alltägliches ist zu entdecken wie die „Landschaft mit Hütte auf einem Hügel“ (1660) von Jacob van Ruisdael oder Adriaen van Ostades „Brillenverkäufer“.

„Kunst gibt Hoffnung und lässt einen von Sorgen geprägten Alltag vergessen“, glaubt Andreas Bovenschulte, Regierungschef des Landes Bremen und gleichzeitig Kultursenator. Da kann der Museumsdirektor aus Odessa nur zustimmen. Mit welchen Ausstellungsstücken macht er seinen Besuchern Hoffnung? Der 65-Jährige zeigt „nicht so wertvolle Werke“, bietet zeitgenössischer Kunst ein Obdach. „Das Museum bleibt ein Ort, an dem man sich vom Krieg erholen kann. Die Menschen möchten Schönheit.“ Da kann die ernste Damen mit Hut nur zustimmen.

Der Franzose Paul César Helleu schuf im 18. oder 19. Jahrhundert dieses Bildnis von Anna Goratsievna Ashkenazi.

Der Franzose Paul César Helleu schuf im 18. oder 19. Jahrhundert dieses Bildnis von Anna Goratsievna Ashkenazi.

Auf einen Blick

Was: „Spuren der Zeit. Druckgraphik des 16. und 19. Jahrhunderts aus dem Museum für westliche und östliche Kunst Odesa“

Wo: Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen, Am Wall 207 in Bremen

Wann: Bis zum 26. Oktober. Die Schau ist dienstags von 10 bis 21 Uhr zu sehen, mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.

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Erstellt:
13.08.2025, 17:57 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 29sec

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