Acht Positionen für die Zukunft
Der Pauli-Preis hieß bis vor kurzem noch Kunstpreis der Böttcherstraße. Die alte Bezeichnung, so Kunsthallen-Direktor Christoph Grunenberg, stiftete Verwirrung. Denn die Künstler, die sich um den Auszeichnungen bewarben, stellten seit den 80er Jahren in der Kunsthalle aus - und nicht in der Boettcherstraße. Mit der Namenswechsel änderte sich ebenfalls das Profil. Die Künstler, die ihn bekamen, sollten bisher tatsächlich jung an Jahren sein. Doch das Alter ist seit der Umbenennung kein Kriterium mehr. Grunenberg: „Wir haben hier Künstler versammelt, die noch nicht die Anerkennung bekommen haben, die sie verdienen.“
Der neue Name erinnert an Gustav Pauli, den ersten wissenschaftlichen Direktor der Kunsthalle, dessen fortschrittliche Sammlungspolitik den Bremern um 1900 so einige Schätze bescherte, unter anderem Bilder von Courbet, Manet, Monet, Rodin und van Gogh. „Er ist ein guter Namenspatron“, findet der heutige Chef. „Zeitgenössische Kunst ist immer noch wichtig für dieses Haus. Denn ein Museum muss in die Zukunft schauen.“
Pauli setzte sich auch immer für Künstlerinnen ein, unter anderem für Paula Modersohn-Becker und Clara Westhoff. Ob ihm auch die Arbeiten von Gabriele Stötzer gefallen hätten? Die Künstlerin, die 1976 als erste die Petition gegen die Biermann-Ausbürgerung unterzeichnete und dieses Engagement ein Jahr lang im Frauengefängnis Hoheneck büßen musste, war zu DDR-Zeiten eine Außenseiterin und ist es bis heute geblieben. Sie entführt uns mit ihren Werken in eine Zeit als auch die Frauen im Westen ihren Körper entdeckten. Stötzers weibliche Selbstfindung, ihre „Ich-Werdung“ wie sie sagt, ist das Thema ihrer Kunst, die weit über das Biografische hinausgeht.
In der zeitgenössischen Kunst ist alles möglich
Die acht Positionen der sehenswerten Schau lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Doch sie spiegeln einen Trend der zeitgenössischen Kunst wider: Alles ist möglich. „Die große Bandbreite der verwendeten Medien ist besonders“, findet Kuratorin Maren Hippe. Auffallend ist ebenfalls, dass sich - bis auf wenige Ausnahmen - die Künstler mit gesellschaftskritischen Statements in diesen politisch so aufgewühlten Zeiten zurückhalten.
Benjamin Hirtes „True Skulptures“, seine Wahren Skulpturen, sind seltsam zeitlos. Der gelernte Steinmetz gibt mit seinen vier Objekten aus rotem Sandstein Rätsel auf. Auf den ersten Blick scheint es so, als würden sie einen Zweck erfüllen, sogar eine Nagetier-Falle hat der 44-Jährige verbaut. Doch das Funktionale ist nur vorgetäuscht.
Malerei in den Raum zu überführen, ist das erklärte Ziel von Christoph John aus Köln. Der 40-Jährige versieht Paravents aus Holz so mit farbintensiven Mustern, dass sich die Vorder- und Rückseiten überlagern. „Sie sind weniger Einzelwerke, sondern Teil von etwas Großem“, sagt er zu seiner hübschen Spielerei.
Cemile Sahin, mit 34 Jahren die jüngste in der Runde, gibt sich politisch. In ihrer Rauminstallation „Gewehr im Schrank“ herrscht Krieg. Das Foto eines Soldaten im Tarnanzug, der ein Ziel fixiert, zieht die Blicke auf sich. Ein Video zeigt fiktive Kriegsszenen zu den Versen von Schillers „Wilhelm Tell“. Mit dieser Arbeit erinnert die Berlinerin mit kurdisch-alevitischen Wurzeln an den 1923 geschlossenen Vertrag von Lausanne, der die Grenzen der heutigen Türkei festlegte. Und das geht unter die Haut.
Katrin Brause aus Leipzig malt menschenleere Bilder
Katrin Brause ist die Einzige in der Schau, die sich der klassischen Malerei verschrieben hat. Sie greift in ihren menschenleeren Bildern Impressionen aus Sizilien auf: ein kaputter Stuhl, verlassene Hauseingänge, Heiligenbildchen in einer Tiefgarage. „Ich mag das Raue“, sagt die 1972 geborene Leipzigerin schlicht, die das Schöne im Verfall entdeckt.
Fotografien seiner Künstlerkollegen, unter anderem Katharina Grosse, Jonathan Meese, Marina Abramović und Laurence Weiner, übersetzt Marcus Neufanger in poppige Porträts. „Zu jeder Zeichnung gibt es eine Anekdote“, verrät der 60-jährige Bücherfan.
Eine entweihte Kirche in Lyon, in der einst die Seidenweber beteten, hat es Annika Kahrs, 1984 geboren, angetan. Video, Sound und Performance sind die Mittel, derer sich die frühere Bremerhaven-Stipendiatin bedient. In dem 25 Minuten langen, sehr sehenswerten Video treten Zimmerleute und Musiker gleichzeitig auf. Die einen errichten ein Holzhaus, während die anderen singen oder Blasinstrumente spielen. Konstruktion oder Dekonstruktion - das ist hier die Frage. Jenna Sutelas Gesicht aus Glas lässt zum Abschluss in einem dunklen Raum das Licht pulsieren.
Wer den mit 30.000 Euro dotierten Preis bekommen wird, entscheidet Anfang September eine fünfköpfige Jury, die Öffentlichkeit erfährt es bei der Preisverleihung am 17. September. Meine Favoritin ist, ganz klar, Gabriele Stötzer. Damit sie weiter strahlen kann.

© Kunsthalle
Die überlebensgroße Textilfigur „Meine große Schwester“ von Gabriele Stötzer, gefertigt aus Schafswolle und Keramikelementen, macht allen Mut, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Auf einen Blick
Was: Pauli-Preis 2024
Wo: Kunsthalle, Am Wall 207 in Bremen
Wann: Bis zum 13. Oktober. Die Schau ist dienstags von 10 bis 21 Uhr zu sehen, mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.
Eintritt: 10 (ermäßigt 5) Euro