Mit Mama auf dem Jakobsweg: Tobi Schlegls Sinnsuche abseits der Kameras

Mit Mama auf dem Jakobsweg: Tobi Schlegls Sinnsuche abseits der Kameras

Der ehemalige Viva-Star Tobias Schlegl hat vor rund zehn Jahren seinen TV-Job an den Nagel gehängt und ist nun Notfallsanitäter. In seinem neuen Buch erzählt er von einer besonderen Pilgerreise mit seiner Mutter auf dem Jakobsweg.

„Das Pilgern hat mir neue Kraft gegeben“

Interview mit TV-Aussteiger Tobias Schlegl über sein Buch „Leichtes Herz und schwere Beine“

Als Viva-Moderator wurde Tobias Schlegl in den 90er Jahren zum Star: Er war neben Leuten wie Heike Makatsch, Stefan Raab oder Oliver Pocher einer von vielen, die den Musiksender als Karrieresprungbrett nutzten. Dementsprechend groß war der Wirbel, als sich Schlegl 2016 weitgehend aus dem Fernsehen zurückzog, um Notfallsanitäter zu werden – seit seiner bestandenen Prüfung ist er im Rettungsdienst tätig. In seinem Buch „Leichtes Herz und schwere Beine“ (Piper-Verlag, 224 Seiten, 18 Euro), das am 4. April erscheint, berichtet der ehemalige TV-Star davon, wie er gemeinsam mit seiner 73-jährigen Mama den Jakobsweg gegangen ist, um seine Mutter besser kennenzulernen.

Herr Schlegl, Sie sind gemeinsam mit Ihrer Mutter den Jakobsweg gewandert, 713 Kilometer auf Schusters Rappen. Welche Rolle hat Hape Kerkelings Pilger-Bestseller „Ich bin dann mal weg“ bei dieser Entscheidung gespielt?

Keine sehr große. Meine Mutter ist gläubige Christin und hatte schon immer den Traum, einmal im Leben den Jakobsweg zu gehen, aber das Buch hat sie in dem Wunsch nochmal bestärkt. Für mich selber war der Pilgerweg nur ein Gefäß, um meine Mutter richtig kennenzulernen. Es ist doch so: Nach dem Auszug von daheim sieht man die Eltern höchstens noch an Wochenenden und Feiertagen und verbringt erschreckend wenig Zeit miteinander. Die Idee, meine alternde Mutter besser kennenzulernen, fand ich spannend.

Und – wie gut haben Sie sich kennengelernt?

Ich habe meine Mutter viel witziger, viel abenteuerlustiger erlebt als je zuvor, aber auch viel verletzlicher. Sie hat vor meinen Augen geweint vor Erschöpfung, das war ein ganz besonderer, intensiver Moment. Man kennt das doch: Wenn man seine Eltern besucht, ist man immer noch das Kind. Vor diesem Weg war ich in ihren Augen immer noch der 15-Jährige mit den aufgeklappten Pizzaschachteln in der Wohnung, und sie war für mich immer nur meine Mutter. Dieses gegenseitige Bild voneinander hat jetzt endlich ein Update bekommen. Wenn wir uns jetzt treffen, tauschen wir immer verschwörerische Blicke aus (lacht).

Sie berichten in Ihrem Buch viel von donnernden Lkws, lästigen Rad-Rambos und überfüllten Wegen. Sind das Dinge, die in den normalen Jakobsweg-Reiseführern verschwiegen werden?

Der Leidfaktor war wirklich sehr groß. In den wenigsten Reiseführern steht, wie schmerzhaft und unangenehm der Jakobsweg sein kann. Zwischendurch haben meine Mutter und ich unseren Frust fluchend in die Landschaft geschrien, das hat uns gut getan. Man schläft oft sehr schlecht, speziell in den vollen Schlafsälen, das zerrt an den Nerven. Und den Zustand meiner Füße mit den schlimmen Blasen habe ich auch fotografisch dokumentiert, aber die Bilder sind nicht im Buch drin, das hat die Lektorin verhindert. Gott sei Dank.

Hat es trotz allem manchmal auch Spaß gemacht?

Gerade auf den letzten 100 Kilometern ist der Weg zwar überlaufen, aber davor kann man sein eigenes Tempo finden und die wunderschöne Natur betrachten. Mich hat dreimal ein unfassbares Glücksgefühl überkommen, ein stundenlanger Glücksrausch, den ich kaum beschreiben kann und den ich mir nicht erklären kann. Ich bin nicht Mitglied im Verein Kirche, aber das hatte etwas Spirituelles.

Wurden Sie als einstiger Viva-Star eigentlich auf der langen Strecke oft erkannt?

Nein, ich wurde da sehr in Ruhe gelassen. Ich hatte ja wegen der Sonne einen Anglerhut auf, einen Hape-Kerkeling-Gedächtnishut.

Als Sie vor mehreren Jahren Ihren Job als Fernsehmoderator an den Nagel gehängt haben, um eine Ausbildung zum Notfallsanitäter zu beginnen, haben Sie das mit der Suche nach mehr Sinn im Leben begründet. Ging es Ihnen beim Pilgern jetzt auch um Sinnsuche?

Es ging mir in erster Linie um die Beziehung zu meiner Mutter. Aber im Blaulicht-Bereich erlebt man natürlich viele düstere Sachen und man muss da auf seine Psyche achten. Ich musste da mal raus. Das Pilgern hat mir neue Kraft und neues Urvertrauen gegeben, so dass ich es jetzt wieder verkraften kann, im Einsatz unschöne Dinge zu sehen. Ich bin mit einer neuen Stärke zurückgekehrt.

Arbeiten Sie denn Vollzeit als Sanitäter?

Nein, ich würde das gar nicht durchhalten, das ist einfach zu heftig. 50 Prozent meiner Zeit arbeite ich im Blaulichtbereich, jetzt auch zusätzlich als Mitglied im Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes. Die andere Hälfte meiner Arbeitszeit verbringe ich mit Schreiben, ab und zu arbeite ich auch als Reporter. Mit dieser Kombination fahre ich ganz gut und will das langfristig so weitermachen.

Was gehört zu Ihren Aufgaben bei der Krisenintervention?

Ich mache Erste Hilfe für die Seele. Bei plötzlichen Todesfällen betreue ich Angehörige in den schwersten Stunden ihres Lebens, meistens stundenlang. Da geht es beispielsweise um Unglücke, Suizide und plötzliche Unfälle. Wenn ein kleineres Kind stirbt, was mit das Allerschlimmste ist, bin ich manchmal dabei, wenn die Eltern sich von ihrem Kind verabschieden. Das sind heftige, intensive Momente.

Sie wurden Rettungssanitäter statt Moderator, waren als Seenotretter im Mittelmeer. Wieso bewegen Sie sich so gerne außerhalb Ihrer Komfortzone?

Das hat damit zu tun, dass ich so lange als Moderator aktiv war und mich irgendwann gefragt habe: Was mache ich eigentlich Besonderes? Ich hatte den Drang, etwas sehr, sehr Sinnvolles zu tun. Und zu merken, dass ich einen Unterschied machen kann, dass ich für Menschen da sein kann. Das ist im Scharnier zwischen Leben und Tod natürlich besonders wichtig, da kann man etwas verändern, und da kann ich wenigstens ein kleines Puzzlestück sein.

Der ehemalige Moderator Tobi Schlegl (links) und seine 73-jährige Mutter. Beide lächeln. „Ich habe meine Mutter viel witziger, viel abenteuerlustiger erlebt als je zuvor, aber auch viel verletzlicher“, sagt er im Interview.

© privat

„Ich habe meine Mutter viel witziger, viel abenteuerlustiger erlebt als je zuvor, aber auch viel verletzlicher“, sagt Tobi Schlegl. Gemeinsam sind sie den Jakobsweg gegangen.

Was war bisher Ihr schlimmster Einsatz?

Die intensivste Erfahrung war bei meinem Einsatz auf dem Seenotrettungsschiff „Sea-Eye 4“, als wir im Mittelmeer geflüchtete Menschen aus Seenot retteten. Plötzlich hunderte Menschen zu versorgen, zu gucken, wen versorge ich zuerst, da waren Kinder dabei und Schwangere – das war ein absoluter Ausnahmezustand. Danach brauchte ich ein paar Wochen Ruhe.

Manchmal liest man von Anfeindungen gegen Helfer von Feuerwehr oder Rettungsdiensten, haben Sie das schon erlebt?

Gott sei Dank nicht. Aber wenn man es mit Drogenfällen zu tun hat oder wenn Leute zu viel Alkohol konsumiert haben, können sie schon mal handgreiflich werden. Da habe ich auch mal einen Schlag abbekommen. Verbal geht es häufig zur Sache, weil man mit einem Rettungswagen ja auch manchmal die Straße blockiert, und dann kommt jemand mit seinem Auto nicht zur Arbeit – da gibt es tatsächlich Leute, die das nicht verstehen und lautstark schimpfen. Das überhöre ich aber und ärgere mich nur innerlich.

An einer Stelle Ihres Pilger-Tagebuchs schreiben Sie: „Es tut so gut, keine Tagesschau zu gucken“. Nervt Sie das Fernsehen?

Das hat gar nichts mit der Entwicklung der Medien zu tun, sondern mit der Entwicklung der Welt, der politischen Lage. Ich kann jeden verstehen, der die Nachrichten guckt und sagt: Es passiert so viel Schlimmes, ich kann mich damit nicht dauerhaft konfrontieren. Und das macht, um den Bogen zu schließen, die Faszination des Jakobswegs aus. Weil man da wirklich flüchten kann. Natur heilt total.

Haben Sie Ihren Ausstieg aus dem Medienzirkus mal bereut?

Nein, überhaupt nicht. Retten Sie einmal ein Leben, dann wissen Sie, dass sich das alles gelohnt hat und dass man das nicht mit Geld und mit keinem Ruhm der Welt aufwiegen kann. Und was die Berühmtheit angeht, muss ich sagen: Den Ruhm konnte ich speziell in den ersten drei Jahren Viva wirklich sehr extrem auskosten, das Thema habe ich für mich abgehakt. Wenn man auf das Finanzielle guckt, führe ich ein bescheideneres Dasein im Vergleich zu vorher – aber ich habe mich eben für den Sinn und gegen das Geld entschieden. Bis heute schreiben mir Leute, dass sie selber Notfallsanitäter geworden sind, weil ich das gemacht habe, und das ist was Schönes. (axt)

Zur Person

  • Tobias Schlegl kam 1977 in Köln zur Welt, er wurde 1995 für die Viva-Show „Interaktiv“ entdeckt und moderierte später Sendungen wie die Satireshow „Extra 3“ oder das Kulturmagazin „Aspekte“.
  • Inzwischen arbeitet er nur noch punktuell für Medien und hat einige viel beachtete Bücher veröffentlicht, in denen er seine Erlebnisse verarbeitet, unter anderem über seinen Einsatz als Seenotretter im Mittelmeer.
  • Tobi Schlegl ist Vater einer Tochter und lebt in Hamburg.

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Erstellt:
03.04.2025, 17:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 11sec

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