Tocotronic: Die Golden Girls des Diskurs-Rock

Tocotronic: Die Golden Girls des Diskurs-Rock

Seit über 30 Jahren ist die in Hamburg gegründete Rockband Tocotronic inzwischen im Geschäft. Im Interview sprich Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow über das neue Album „Golden Years“, Niedertracht und Vergänglichkeit.

„Albmumtitel so schön doppeldeutig“

Interview mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow

Herr von Lowtzow, als im Oktober mit „Denn sie wissen was sie tun“ die erste Single aus dem neuen Tocotronic-Album erschien, wirkte das wie ein Statement: In den sozialen Medien haben Sie den Song mit dem Hashtag #noafd versehen.

Das war auf jeden Fall ein kleiner Polit-Aktivismus, den wir uns gegönnt haben. Entstanden ist der Song nach den Umfragen im Sommer 2023, als die AfD plötzlich von 10 oder 12 Prozent auf 20 schnellte. Auf dem Album kann man ihn politisch verstehen, muss man aber nicht. Ich würde sagen es ist ein Lied über Niedertracht. Es geht um Menschen, die Niedertracht zur Durchsetzung ihrer persönlichen oder aber politischen Ziele nutzen. Niedertracht als Mittel hat eine gewisse Hegemonie in der Gesellschaft erlangt und das finde das sehr befremdlich, weil das einher geht mit einer extrem Anti-humanistischen Stoßrichtung.

Haben Sie ein Beispiel?

Ich sehe das in Figuren wie Trump, Elon Musk und natürlich auch der AfD, aber das kann sich bis in die bürgerlichen Parteien ziehen. In dem Song geht es darum, dass diese Leute genau wissen, was sie tun. Aber dadurch, dass in dem Lied so unbestimmt ist, wer ‚sie‘ und ‚wir‘ eigentlich sind, kann sich das ganze natürlich schnell umdrehen. Man muss schon die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass man von dieser Niedertracht angesteckt wird. Man stellt das ja manchmal an sich fest: Diese Wut und Bitterkeit, die einem im Hals steckt – dagegen ist man nicht immun. Und das ist natürlich der Kern dieser ganzen Sache.

Die Bundestagswahlen stehen unmittelbar bevor. Haben Sie Angst vor der Zukunft?

Ja, aber ich finde Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ich glaube, man braucht politische Entschlossenheit. Und ich bin ein bisschen entsetzt darüber, wie zaghaft zum Beispiel so etwas wie ein AfD-Verbotsverfahren angegangen wird. Es gibt die rechtlichen Mittel dazu und ich glaube man könnte da sehr viel mehr in Gang bringen. Auch in Bezug auf diese Niedertracht. Natürlich kann man nicht verschweigen, dass soziale Medien einen sehr großen Anteil daran haben. Dagegen, dass Algorithmen einen bei YouTube mit wenigen Klicks vom harmlosen Yoga-Tutorial zum rechten Influencer bringen, könnte man auf EU-Ebene schon etwas machen. Ich glaube dieses beherzte Handeln bräuchte es.

Ihr Album trägt den Titel „Golden Years“. In Anbetracht der eher nicht so goldenen Zeiten steckt darin vermutlich eine gewisse Ironie?

Ja, wir haben den Titel auch deshalb gewählt, weil er so schön doppeldeutig ist. In unserer monströsen Jetztzeit hat er was von einem Hoffnungsschimmer, aber die Typografie auf dem Albumcover wiederum legt nahe, dass man ihn auch sarkastisch verstehen kann und hat vielleicht sogar etwas leicht Apokalyptisches. Zudem ist der Ausdruck „Golden Years“ im englischen Sprachgebrauch ein Euphemismus für das Rentenalter, das fanden wir sehr lustig. Tocotronic – die Golden Girls des Diskurs-Rock. Da haben Sie Ihre Überschrift (lacht).

Das Älterwerden scheint Sie tatsächlich beschäftigt zu haben, denn es geht in vielen Songs um Vergänglichkeit. In „Jeden Tag ein neuer Song“ singen Sie von einer Todesangst, die Sie besucht, wenn Sie nicht schlafen können. Wovor haben Sie Angst – vor dem eigenen Tod oder vor dem Tod geliebter Menschen?

Eigentlich eher vor dem Tod geliebter Menschen. Der eigene Tod ist doch etwas, was sehr abstrakt ist. Aber Sie haben sicher schon mal gehört von dieser „Stunde des Wolfs“, nachts zwischen 3 und 4 Uhr. Das ist die Stunde, in der einen die Dämonen besuchen kommen. Da kommen diese dunklen Gedanken – nicht selten auch Todesgedanken.

Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow.

© Annette Riedl

Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow.

In Ihrem 2019 veröffentlichten Buch „Aus dem Dachsbau“ haben Sie darüber geschrieben, dass Sie mit Mitte 20 Ihren engsten Kindheitsfreund verloren. Haben Sie dadurch, dass Sie früh damit konfrontiert waren, eine andere Beziehung zum Tod?

Möglich, aber ich kann das nicht mit völliger Bestimmtheit sagen. Das erste Mal mit dem Tod konfrontiert wurde ich schon ein paar Jahre zuvor, als ich nach dem Abi Zivildienst in einem Altersheim machte. Das war für mich eine sehr einschneidende Erfahrung. Man ist gerade mal 18 und der Tod ist eigentlich sowas von weit weg, aber plötzlich bekommt man ihn hautnah mit. Das hat mich für das Thema sensibilisiert. Und klar – wenn man dann jung einen Familienangehörigen oder den besten Freund an eine Krankheit verliert, macht das was mit einem.

Neben dem Tod gibt es noch ein anderes großes Thema, und zwar geht der Protagonist der Songs hart mit sich ins Gericht: Er baut „stapelweise Mist“, will sich selbst entkommen und durchlebt ein „unfreiwilliges, asoziales Jahr“. Und er hat das Gefühl, ein Maulwurf zu sein, weil alles so düster ist. Wie viel von Ihnen steckt in diesen Songs?

Von mir steckt natürlich – ob ich will oder nicht – eine ganze Menge in den Songs. In den letzten drei Alben noch mehr als in denen unserer mittleren Phase. Und ich finde es wichtig, mit sich ins Gericht zu gehen, weil sonst wird man selbstgerecht – gerade, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Man muss sich immer wieder fragen, ob Positionen, die man eingenommen hat, noch tragbar sind – und davon handeln diese Lieder vielleicht.

Zu Beginn Ihrer Karriere waren die Texte von Tocotronic eher einfach angelegt, dann wurde es eine Zeitlang sehr abstrakt und mit „Die Unendlichkeit“ plötzlich sehr autobiografisch. Woher rührt diese Öffnung?

Das lag auch an den Lektüren der Zeit. Das, was man als autofiktionales Schreiben bezeichnet hat. Als jemand, der jahrelang fast nur Theorie-Bücher gelesen und um Romane eher einen großen Bogen gemacht hat, hat mich das sehr fasziniert. Eines der ersten Bücher dieser Art war „Torpor“ von Chris Kraus. Das war so unmittelbar und trotzdem nicht banal. Ich habe dann nach und nach viele Autoren kennen und lieben gelernt, die so geschrieben haben, zum Beispiel Peter Kurzeck, der mit „Das alte Jahrhundert“ ein gigantisches Erzählwerk geschaffen hat, wo er versucht hat, wirklich jeden Tag seines Lebens aufzuschreiben.

Zu sehr vereinnahmt werden – dagegen haben Sie sich mit Tocotronic anfangs sehr gesträubt. Auf der anderen Seite stand der Wunsch, sich mitzuteilen. Ein ganz schöner Zwiespalt eigentlich, oder?

Ja, das ist ein Widerstreit, der in uns Dreien herrscht. Das finde ich total faszinierend und das war auch schon von Anfang an so. Einerseits dieses unglaubliche Mitteilungsbedürfnis und damit einhergehend auch der Wille, akzeptiert und gemocht zu werden. Und andererseits diese extreme Furcht vor Vereinnahmung, der man sich mit allen Stacheln zu widersetzen versucht. Aber ich glaube dieser Widerstreit ist auch ein Motor für unser Schaffen, davon bin ich überzeugt.

Das Tocotronic-Trio, bestehend aus Arne Zank (l-r), Dirk von Lowtzow und Jan Müller, steht in einem Studio in Kreuzberg. Das neue Album der Band ·Golden Years· erscheint am 14. Februar.

© Annette Riedl

Das Tocotronic-Trio, bestehend aus Arne Zank (l-r), Dirk von Lowtzow und Jan Müller, steht in einem Studio in Kreuzberg. Das neue Album der Band ·Golden Years· erscheint am 14. Februar.

Das neue Album „Golden Years“ erscheint am 14. Februar. Ab März sind Tocotronic damit auf gleichnamiger Tour.

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Erstellt:
14.02.2025, 11:14 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 31sec

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