Uraufführung „20.000 Meilen unter dem Meer“ setzt in Bremerhaven auf Klamauk

Uraufführung „20.000 Meilen unter dem Meer“ setzt in Bremerhaven auf Klamauk

Die Nautilus, jenes sagenumwobene U-Boot, das Jules Vernes entworfen hat, stößt in unvorstellbare Tiefen vor. In der Bremerhavener Uraufführung „20.000 Meilen unter dem Meer“ im Kleinen Haus dümpelt es allerdings nur in seichten Gewässern.

Abenteuer-Spaß ganz ohne Tiefgang

Uraufführung „20.000 Meilen unter dem Meer“ setzt im Kleinen Haus in Bremerhaven auf Klamauk

Gleich die erste Szene, die noch vor dem Vorhang spielt, gibt den Ton vor. Da stehen die beiden Schiffbrüchigen Professor Arnonnax (Alexander Smirzitz) und sein Gehilfe Conseil (Frank Auerbach) in Bademänteln und Socken vor dem Vorhang und machen Schwimmbewegungen auf dem Trockenen. Albern. Und ziemlich an der Wirklichkeit vorbei. Jeder Seebär weiß, dass man in einem solchen Fall immer die Schuhe anbehalten sollten, um nicht vollständig auszukühlen.

Eingangsvideo läuft ohne Ton

Schwamm drüber: Wir sind hier Gott sei Dank nicht bei einem realen Schiffsunglück dabei, sondern im Theater. Halb so wild, dass es bei der Premiere von „20.000 Meilen unter dem Meer“ gleich zu Anfang eine Panne gibt. Das Eingangsvideo läuft nur kurz ohne Ton. Die Zuschauer erfahren deshalb nicht, dass ein Seemann, eine Reederin und die späteren Gefangenen der Nautilus sich sorgen, weil ein Seeungeheuer die Meere unsicher macht und Kriegsschiffe versenkt.

Kapitän Nemo, von Jules Verne bereits 1870 erfunden, ist ohne Frage neben Kapitän Ahab aus „Moby Dick“ der berühmteste Schiffsführer der Weltliteratur. Doch wir haben uns ihn immer ein bisschen anders vorgestellt, diesen despotischen Kapitän, eher wie James Mason, der in dem Film von 1954 Kirk Douglas herumkommandiert.

Dem Untergang geweiht: Nemo (Marsha B Zimmermann) versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist.

© Herrmann

Dem Untergang geweiht: Nemo (Marsha B Zimmermann) versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist.

Doch in Bremerhaven haben wir auf einem modernen Unterwasserboot eingecheckt. Da gibt es nicht nur den Bordcomputer „Mutter“, der sogar Gefühle entwickelt und von Perlenketten träumt, sondern vor allem eine Besatzung, die aus Frauen und Männern besteht. Kapitän Nemo (Marsha B. Zimmermann), dieses gestandene Mannsbild, verwandelt sich in ein Frauenzimmer im silbrig-glänzenden Overall, das sich unbedingt mit allerlei Fitnessübungen und Yoga in Form halten muss. Der Gegenspieler dieser modernen Frau von heute ist natürlich ebenfalls weiblich. Angelika Hofstetter spielt den raubeinigen Harpunier Ned Land als Karikatur eines ungehobelten Kerls, der nicht die hellste Kerze auf der Torte ist.

Das Drama nimmt keine Fahrt auf

Das wäre alles nicht weiter schlimm und sogar begrüßenswert, wenn das Drama bloß Fahrt aufnehmen würde. Dass Nemo ein Rätsel bleibt, wäre sicherlich im Sinne Jules Vernes, aber nicht, dass die Handlung so auf der Stelle tritt. Kraftvolles Erzählen geht anders. Die Figuren bleiben allesamt blutarm, mehr Klischee als Charakter. So ziehen sich die anderthalb Stunden der Aufführung wie das Bubblegum, das Ned Land ständig kaut.

Um diese Leere zu überspielen, setzt Regisseurin Justine Wiechmann auf Klamauk. Nichts soll wirklich ernst genommen. Klar, da gelingen einige Gags. Wenn etwa zum Abendessen Seeschlangenfilet, Schwertfischbrust in Quallengelee mit Algensauce, Seegurkenkompott und Flammeri von ungeborenem Tintenfisch serviert wird, ist das an sich schon komisch. Noch ein bisschen komischer wird es, wenn sich der eine Reisegefährte danach die Finger leckt, der andere vor Ekel auf den Boden spuckt.

Keine Frage, Alexander Smirzitz als verpeilter Professor und Frank Auerbach als sein bodenständiger Gehilfe bilden ein skurriles Gespann, das für den einen oder anderen Lacher sorgt. Dass Marsha B. Zimmermann mehr der Kommandantin eines Raumschiffs als der eines U-Boots gleicht, macht Sinn. Sowohl im Weltall als auch in den Tiefen des Ozeans können Menschen ohne Hilfsmittel nicht überleben. Doch warum muss sich Nemo aufführen, als wäre sie Trainerin in einem Fitness-Studio?

Regisseurin traut ihrem Text nicht

Immer und immer wieder suchen alle Beteiligten Hilfe bei der Ironie. Doch wenn man nichts ernst nehmen kann, verwässert das die Kernaussage des Stücks. Es scheint fast so, als würde die Regisseurin, die viel Zeit und Mühe in diese Stückentwicklung gesteckt hat, ihrem eigenen Text nicht trauen. Wenn sich der Professor und Nemo Zitate von Nietzsche und Kant wie Pingpong-Bälle an den Kopf schmeißen, tun sie so, als ob sie Tischtennis spielen würden. Da vergisst man glatt, dass sie existenzielle Fragen verhandeln wie die, wann aus einer Utopie eine Dystopie wird.

Angelika Hofstetter (Ned Land), Marsha B Zimmermann (Kapitän Nemo)

© Herrmann

Angelika Hofstetter (Ned Land), Marsha B Zimmermann (Kapitän Nemo)

Doch es gibt Trost: Hin und wieder blicken wir durch ein Bullauge auf eine schillernde Unterwasserfauna. Dort schwimmen allerlei Meereswesen vorbei, unter anderem eine überdimensional große Qualle und ein Riesenkrake. Ausstatter Andreas Schmitz huldigt nicht nur bei den Videos, sondern ebenso bei der Innenausstattung der Nautilus und den Kostümen, seiner Liebe zum Detail - fast so, als wäre er der Bremerhavener Wes Anderson. Wie sein Vorbild hat er ein Faible fürs Schräge.

Die Musik begleitet ebenfalls das unaufhaltsame Abgleiten der Nautilus in die Tiefe. Bei seinen Kompositionen mischt Ludger Nowak Unterwassergeräusche mit Elektro-Beats. Sein Soundtrack schafft das, was die Aufführung sonst zu selten leistet: Er berührt. Musikalisch läuft das Stück keinesfalls auf Grund.

Auf einen Blick

Was: „20.000 Meilen unter dem Meer“, nach Jules Verne in einer Fassung von Justine Wiechmann

Wo: Kleines Haus des Stadttheaters Bremerhaven

Wann: Weitere Aufführungen: 24. April, 16. und 23. Mai sowie 4. Juni, jeweils um 19.30 Uhr, am 4. Mai um 15 Uhr

Karten: Zwischen 15 und 25 Euro unter 047149001 und stadttheaterbremerhaven.de.

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Erstellt:
14.04.2025, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 30sec

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