Berni Wagner und Malarina

Berni Wagner und Malarina sind Österreichs modernster Wort-Export. Die beiden gastieren am 30. November im Capitol. Glanzl

Foto: Christopher Glanzl

Kultur

Herbstprogramm der Angestelltenkammer lockt mit tollen Künstlern ins Capitol

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Von Anne Stürzer
25. Juli 2024 // 08:42

Auftrumpfen ist nicht so sein Ding. Doch auf das Kulturprogramm der Arbeitnehmerkammer für den Herbst und Winter ist Tobias Pollok, seit 2019 dabei, richtig stolz. Der Kulturreferent findet: „Es ist das beste Programm, das ich bisher gemacht habe.“

Ob das stimmt, müssen die Besucher im kommenden Halbjahr entscheiden, die sich oft mehr für die alten Hasen als für die jungen Hüpfer interessieren. Dabei kommen ins Capitol oft die Talente von morgen. So haben Dieter Nuhr, Till Reiners, Marc-Uwe Kling und Lisa Eckhart dort ihre ersten kabarettistischen Gehversuche gemacht.

Die Besten im Nordwesten

Diese Starthilfe erklärt auch, dass Stars wie Florian Schroeder oder Christian Ehring, die mühelos größere Häuser füllen könnten, dem Capitol die Treue halten. Doch heutzutage, so bedauert Pollok, werden die Anfänger viel schneller groß als früher. „Die spielen vielleicht noch ihre zweite Show bei uns. Doch das war es dann.“ Seine Empfehlung: die Veranstaltung „Die Besten im Nordwesten“ am 18. September im Capitol. Ob Yorik Thiede, Ana Lucia und Hinnerk Köhn das Talent für eine große Karriere haben, wird sich zeigen.

Hinnerk Köhn

Hinnerk Köhn gehört zu den jungen Talenten, die sich in dem Format „Die Besten im Nordwesten“ ausprobieren dürfen. Huth

Foto: Marc Huth

Das Verzeichnis, in dem die Kabarett-Gemeinde diese und andere Veranstaltungen nachschlagen kann, sieht anders aus als gewohnt. Es ist kein dickes Heft mehr, sondern ein schmales Faltblatt, das eine Klasse der Beruflichen Schule für Dienstleistung gestaltet hat. „Es ist sehr, sehr gelungen“, lobt Pollok - allerdings haben die Schüler es nicht geschafft, alle Auftritte unterzubekommen, vor allem die Lesungen haben sie stiefmütterlich behandelt.

Bremerhavenerin Renate Tibus liest zum Auftakt

Den Lese-Reigen eröffnet Renate Tibus am 20. September um 19.30 Uhr mit ihrem Buch „Meine Würde kriegt ihr nicht“ im Forum. Sie beschreibt darin ihre berührende Lebensgeschichte. Als uneheliches Kind wuchs die gebürtige Bremerhavenerin bei wenig liebevollen Pflegeeltern auf und wurde - ungewollt schwanger - als 17-Jährige in ein Heim abgeschoben.

Schöner sterben auf Sylt

Krimifreunde aufgepasst: Tatjana Kruse hat mit „Schöner sterben auf Sylt“ einen, so Pollok, „launigen Urlaubskrimi“ geschrieben, aus dem sie am 26. September im Capitol vorliest. Roman Vossen und Kerstin Danielsson stellen im Rahmen des Festivals „Prime time - crime time“ ihre Schwedenkrimis am 11. Oktober um 20 Uhr im Capitol vor. Das Schriftsteller-Paar, ein Norddeutscher und eine Südschwedin, erobert mit seinen Büchern regelmäßig die Bestsellerlisten.

Tom Hillenbrands Thriller „Lieferdienst“ (am 28. November um 19.30 Uhr im Forum) greift ein Zeitphänomen auf. Das Geschäft bei den Lieferdiensten machen nur Zusteller, die schnell und skrupellos sind. Hillenbrand schildert eine Welt, in der Kuriere bis an die Zähne bewaffnet sind und Lieferdienste mehr Macht haben, als wir uns vorstellen können.

Der Hamburger Schriftsteller Frank Schulz kommt mit seinem neuesten Streich, „Amor gegen Goliath“ im Rahmen des Literarischen Herbstes am 28. Oktober um 19.30 Uhr in die Stadtbibliothek. „Er hat eine feine, spitze Feder und bringt die Dinge auf den Punkt“, findet Pollok.

Ciani-Sophia Hoeder und Gilda Sahebi beim Globale-Festival

Das macht auch Ciani-Sophia Hoeder. Die Tochter einer alleinerziehenden Busfahrerin nimmt in ihrem Buch „Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher“ das Leistungsversprechen auseinander. „Streng dich nur an, dann kannst du es schaffen“, diesen Satz entlarvt die Journalistin als realitätsfern. Ihre These: Chancengleichheit besteht nur auf dem Papier. Das findet Gilda Sahebi ebenfalls. Sie beschäftigt sich in „Wie wir uns Rassismus beibringen“ mit der Frage, wie Rassismus in Deutschland entstand und geht dabei zurück bis ins 19. Jahrhundert. Beide Autorinnen sind im Rahmen des Globale-Festivals am 31. Oktober um 19.30 Uhr im Forum zu erleben.

„Minihorror“und „Polarstern“

Die Österreicherin Barbi Markovic, ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse, berichtet am 2. November im Forum um 19.30 Uhr extrem lustig vom heutigen „Minihorror“. Der Roman der Autorin, 1986 in Belgrad geboren und seit 2006 in Wien lebend, besteht aus Erzählungen. „Die Geschichte ist nur bekloppt“, sagt Pollok, aber „unheimlich launig und sprachgewaltig“.

Jürgen Wassmuths Fotografien hingegen erzählen von einer Welt, die heute nicht mehr so aussieht wie vor knapp 20 Jahren. Damals reiste er an Bord der „Polarstern“ in die Antarktis. „Seine Kunst-Fotografien haben auch dokumentarischen Charakter“, findet Pollok. Zu sehen sind sie ab 21. September in der Galerie der Arbeitnehmerkammer.

„Butter bei die Fische“ findet zum zweiten Mal statt

Das Kabarett-Programm beginnt am 5. September im Capitol mit dem ungewöhnlichen Format „Butter bei die Fische“, das im vergangenen Jahr zum ersten Mal ausprobiert wurde. Der Moderator Nagelritz lädt zum Showtalk ein. Dieses Mal geht es um Fragen rund um die Digitalisierung. „Es soll locker und launig werden, aber nicht albern“, verspricht Pollok.

Auf das Musiker-Duo Simon & Jan, das noch nie in Bremerhaven aufgetreten ist, freut sich der Humor-Experte besonders. „Ich kenne sie aus meiner Studienzeit in Oldenburg“, verrät er. In ihrem Programm „Das Beste“ präsentieren die beiden am 12. September um 20 Uhr im Capitol ihre Gassenhauer aus den vergangenen Jahren.

Michael Krebs, „Musikkabarettist alter und bester Schule“, so Pollok, setzt am 27. September um 20 Uhr im Capitol ebenfalls auf seine Hits der letzten Jahre. „Jeder Song ist eine Geschichte für sich“, sagt der Organisator. Doch er trägt nicht nur die alten Lieder vor. Schließlich heißt der Abend „Da muss noch mehr kommen“.

Bayerisch-nigerianischer Wirbelwind

Simon Pearce, der am 26. Oktober um 20 Uhr zum dritten Mal im Capitol ist, hadert mit seinem Alter. Doch anders als die meisten. So fragt sich der bayerisch-nigerianische Wirbelwind unter anderem, ob er sich ärgern sollte, dass er von der Polizei nicht mehr als Gefährder eingestuft wird, weil er nicht mehr jung und schwarz, sondern mittelalt und schwarz ist.

Simon Pearce

Simon Pearce hadert mit dem Alter.Ruppert

Foto: Marvin Ruppert

Jens Neutag setzt am 1. November um 20 Uhr im Capitol auf klassisches Polit-Kabarett. „Doch er betreibt weniger Politiker-Bashing“, weiß Pollok. Er versucht eher zu erklären, warum unsere Gesellschaft so ist, wie sie gerade ist.“

Unverblümt zum Thema macht Martin Fromme am 8. November um 20 Uhr im Capitol den Umgang der Gesellschaft mit Behinderten. Der 62-jährige Contergangeschädigte schert sich dabei nicht um Tabus, mischt seine Pointen immer mit einer Prise Sarkasmus auf. Er macht auch derbe Witze auf eigene Kosten. „Er ist politisch selten korrekt, aber sehr lustig“, versichert Pollok.

Quichotte und Zollhausboys

Quichotte, am 16. November um 20 Uhr im Capitol, beklagt, dass die Wahrheit heutzutage immer öfter unter die Räder komme. Dem setzt er seine Bühnenshow „Alles echt“ entgegen. Die Zollhausboys folgen am 11. November um 20 Uhr im Capitol. Mit ihrer unverwechselbaren Mischung aus Songs, Kabarett, Tanz und Poetry haben sich die Künstler in die Herzen der Zuschauer gespielt. Die jungen syrischen Männer und eine Frau, von Pago Balke zum Geschichtenerzähler-Kollektiv zusammengeschweißt, nehmen mit der „Schlusskurve“ Abschied von der Bühne.

Der Kabarettist und Klavierspieler Robert Kreis erinnert seit Jahrzehnten an jüdische Künstler der Weimarer Republik, die ansonsten dem Vergessen anheimgefallen wären. Am 22. November um 20 Uhr stellt er im Capitol die Besten noch einmal vor. Auf Wiener Schmäh müssen sich die Zuschauer am 30. November um 20 Uhr im Capitol einstellen. Berni Wagner, ein Biologe, und Malarina, eine Serbin, sind Österreichs modernster Wort-Export.

Wilfried Schmickler

Ein Höhepunkt zum Abschluss: Wilfried Schmickler kommt mit
einem Programm, das noch geschrieben wird, am 5. Dezember ins Capitol.Kiß/Kreuztalkultur

Foto: A. Kiß - Kreuztalkultur

Ein alter Hase hingegen ist Wilfried Schmickler, der am 5. Dezember mit „Herr Schmickler bitte“ im Capitol ist. Was genau er auf die Schippe nehmen wird, weiß Pollok nicht, denn „das Programm wird erst geschrieben“. Was der Kulturreferent allerdings jetzt schon weiß, dass im kommenden Frühjahr wieder eine Satirica stattfinden wird.