
Mit „Wehrbach“ hat Autor Olaf Satzer sein drittes fiktives Werk vorgelegt. Wer zu dem Buch greift, braucht starke Nerven.
Foto: privat
Sexspiele voller Dominanz und Unterwerfung hinter der sauberen Fassade
Mit der Erzählung „Wehrbach“ stellt der Bremerhavener Autor Olaf Satzer ein komplexes, vielschichtiges Werk vor, das zwischen schonungsloser Darstellung von sadomasochistischen Sexspielen und tiefen Beweggründen wandelt. Nichts für schwache Nerven.
„Nichts ist, wie es scheint.“ Mit diesen Worten hat Olaf Satzer eigentlich schon die Essenz seiner Erzählung Wehrbach auf den Punkt gebracht. Die kürzeste und präziseste Buchrezension ever. Doch wie heißt es so schön? Curiosity killed the Cat (Neugierde ist der Katze Tod).
Sexklubs und Rollenspiele
Luis Wehrbach ist nicht der Typ für lange Beziehungen, hält sich in der Regel länger in Sexklubs als in Beziehungen auf. Doch dann ereilt auch ihn der emotionale Einschlag beim Hintergehen seines besten Freundes Andi mit dessen Herzensdame Jana. Hinter Andis Rücken leben Luis und Jana ihre Vorliebe für BDSM („BDSM“ ist ein mehrschichtiges Akronym, das aus den Anfangsbuchstaben der englischen Bezeichnungen „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“ gebildet wird.), finden hinter verschlossenen Türen Befriedigung im Rollenspiel zwischen Dominanz und Unterwerfung. Dass diese heimliche ménage à trois kein gutes Ende nehmen wird, ist klar. Dennoch zieht die Geschichte ihre wie auch immer geneigte Leserschaft wie an einem blutroten Faden schonungslos immer tiefer in die komplexen Handlungsstriemen voller emotionaler Wendungen und vielschichtigem Schmerz.
Einblicke in seelische Abgründe
Wer nun glaubt, mit Wehrbach einen Abklatsch von Fifty Shades of Grey präsentiert zu bekommen, liegt falsch. „Nichts ist, wie es scheint.“ Satzer gewährt Einblicke in die Seele seiner Protagonisten, ihre vermutlichen Beweggründe, sich entweder zu unterwerfen oder jemanden dominieren zu müssen. Das ist zunächst nichts Neues. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat es in dem Kapitel Herrschaft und Knechtschaft in seiner Phänomenologie des Geistes schon 1807 zu Papier gebracht. Luis Wehrbach ist vermögend, kultiviert und aus „gutem Hause“ und hat deshalb genügend Mittel und Zeit zum Philosophieren und Ausleben seiner sexuellen Neigungen. Doch auch die Abgründe von Luis Wehrbachs Eltern kommen wie die Splitter eines zerborstenen Spiegels fragmentartig ans Licht. Nicht nur in Bezug auf dubiose Geschäfte aus Zeiten des Nationalsozialismus, dem Nährboden des Familienvermögens. Welch Schmutz sich hinter der noblen Fassade verbirgt, lässt sich nur erahnen und sorgt beim Lesen für zunehmendes Unbehagen.
Showdown im Hospiz am Sterbebett des Freundes
Direkt ins Gesicht schlägt Luis dagegen das qualvolle, langsame Sterben seines ehemals besten Freundes und Janas „gehörnten“ Partners Andi in einem verwaisten Hospiz - und ein fataler Verkehrsunfall. Im Hospiz am Sterbebett von Andi, treffen die Konflikte aufeinander und die Männer aneinander. Und wieder stellt sich die Frage: Wer ist in dieser zwischenmenschlichen Konstellation Herrscher und Knecht? Und bei allem Philosophieren geht spätestens beim Showdown in der vermeintlichen Sterbestätte seines Kumpels sowohl Luis Wehrbach als auch der Leserschaft ein blinkendes Blaulicht auf: Auch Luis Wehrbach bleibt nicht mehr viel Zeit.
Wehrbach intensive Lesekost
Wehrbach ist ein intensives Werk, bei dessen Konsum das Knabbern von Keksen mit Vorsicht zu genießen ist. Denn so mancher Krümel bleibt einem im Halse stecken. „Ein Freund meinte, er habe sich zu Beginn des Lesens von Wehrbach ein Glas Wein eingeschenkt – und am Ende des Buches Vodka aus der Flasche getrunken“, verrät Olaf Satzer schmunzelnd. Auf die Frage, was ihn zu dem Thema seines dritten fiktiven Werks gebracht hat, antwortet er: „Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, Erkenntnissen und Beobachtungen aus dem familiären, sozialen und beruflichen Umfeld und mit Sicherheit auch die eigene Aufarbeitung dessen.“ Satzer betont, dass Inhalte zwar partiell autobiografisch seien, die Einzelaspekte aber für die Erzählung Wehrbach in einen fiktiven Kontext miteinander verwoben wurden. Erschreckend anschaulich sind Szenen eines Autounfalls, die tatsächlich auf einem persönlichen Erlebnis beruhen. „In so einem Moment zieht das eigene Leben in Bildern vor dem inneren Auge an einem vorbei und es wird klar, dass unser Dasein hier endlich ist.“ Keine leicht verdauliche, aber gute Lesekost. (skw)