drei Männer vor Transporter

Sie begegnen den Jugendlichen auf Augenhöhe: Burc Cap, Shaheed Saunders und Thomas Homann (von links) an ihrem Streetworker-Bus.

Foto: Rendelsmann

Lifestyle

Bremerhavens Streetworker sind an sozialen Brennpunkten im Einsatz

26. Juli 2024 // 12:00

Bremerhavens Streetworker sind beruflich an den sozialen Brennpunkten der Seestadt im Einsatz. Sie pflegen Kontakte zu Menschen aller Herkunft, informieren an Schulen und bieten „Hilfe zur Selbsthilfe“ an. Sie brechen für Jugendliche eine Lanze.

Sie sind beruflich mit E-Bikes unterwegs, machen mit Jugendlichen im Studio Mucke, spielen im Treffpunkt „Inner Space“ mit ihnen Tischfußball oder quatschen mit Leuten auf der Straße: Bremerhavens Streetworker. Was im ersten Moment wie bezahltes Freizeitvergnügen klingt, ist in Wirklichkeit eine verantwortungsvolle und ebenso anspruchsvolle Aufgabe. Denn Thomas Homann, Shaheed Saunders und Burc Cap sind immer dann zur Stelle, wenn es an sozialen Brennpunkten der Seestadt gerade lodert. Sie greifen ein, vermitteln und kommunizieren mit allen Beteiligten, um die Wogen zu glätten. Damit es gar nicht erst so weit kommt, leisten sie wichtige Präventionsarbeit, klären auf, hören zu.

Hilfe zur Selbsthilfe im Fokus

„Wir kennen die Hangouts, wissen, wo sich welche Gruppierungen treffen, deshalb ist Geestemünde als zentraler Punkt für uns perfekt, da wir von da aus mit den E-Bikes schnell in alle Richtungen fahren können und nicht unser Fahrzeug am Eingang von Parks stehen lassen müssen“, erzählt Shaheed Saunders. „Wir wollen die Leute auf entspannte Weise kennenlernen und mit ihnen quatschen. Alles ohne Druck.“

Durch ihre regelmäßige Präsenz wollen die Streetworker Menschen, die in schwierigen sozialen Verhältnissen leben, ein niederschwelliges Angebot machen, damit man sich besser kennenlernt und langsam zum vertrauten Umfeld zählt. „Wir bieten den Leuten Hilfestellung an bei Behördengängen, informieren über unser Leistungsspektrum, beantworten Fragen oder weil sie einfach mal jemanden zum Quatschen brauchen“, erzählt Shaheed Saunders. Thomas Homann ergänzt: „Wir geben Hilfe zur Selbsthilfe, aber das geht nicht von einem Tag auf den anderen, das braucht Zeit. Wenn wir auf eine Gruppe Jugendliche treffen, können wir nur an deren Tür klopfen und müssen so lange warten, bis sie uns in ihre Komfortzone bitten.“

Zwischen echter Anteilnahme und professioneller Distanz

Die drei sind echte „Überzeugungstäter“, spielen nichts vor, sondern sind wirklich an den Schicksalen und Geschichten ihrer Klientel interessiert. „Natürlich ist es wichtig, professionellen Abstand zu halten, denn es geht ja darum, den Leuten Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Dennoch fällt es einigen manchmal schwer, nach einer Phase, in der einer von uns sie intensiv begleitet hat, loszulassen“, weiß Burc Cap, der aus Gelsenkirchen in die Seestadt gekommen ist.

„Ich verschaffe mir erst einmal einen Überblick, was hier los ist und wo der Schuh drückt“, sagt der studierte Teamleiter, der mit seinem Hintergrundwissen über gesetzliche Rahmenbedingungen und Vorgaben beeindruckt und aufgrund seiner Sprachkenntnisse ein guter Ansprechpartner für Menschen mit kurdischen und türkischen Wurzeln ist. Sein Kollege Thomas Homann ist seit November als Streetworker im Einsatz und lebt seit 1989 in Bremerhaven, nachdem er mit seinen Eltern aus Polen eingewandert ist.

„Inner Space“ in der „Bürger“ hat die Lage entspannt

Homann ist begeistert vom „Inner Space“, einem Jugendbeteiligungsraum in der „Bürger“, der sich über den Winter als wertvoller Rückzugsort etabliert hat. „Die Kids haben vorher Stress gemacht, weil sie keinen Ort hatten, wo sie unterkamen, sich austauschen und Ansprechpartner für ihre Fragen fanden. Durch das ,Inner Space‘ hat sich die Lage deutlich entspannt“, hat er beobachtet. Im Sommer seien täglich bis zu 40 Jugendliche in den Räumen, im Winterhalbjahr sogar bis zu 90. „Der Raum wird so gut angenommen, dass wir schnell nach der Eröffnung auf Werbung verzichtet haben“, berichtet Sara Appelhagen, Abteilungsleiterin im Amt für Jugend, Familie und Frauen. Das Besondere am „Inner Space“ sei, dass die Jugendlichen mitbestimmen konnten, wie er eingerichtet und was dort angeboten wird, betont sie.

Festes Angebot von montags bis freitags

Inzwischen sorgen zwei Vollzeitkräfte und vier Honorarkräfte dafür, dass von montags bis freitags von 14 von 20 Uhr geöffnet ist. Die Zeit von 14 bis 15 Uhr ist jeweils als „ruhige Zeit“ für Hausaufgaben und andere schulische Belange vorgesehen. Am Wochenende stehen regelmäßig besondere Aktionen an. „Es gibt im ,Inner Space’ klare Verhaltensregeln und ich kann die Jugendlichen nur in den Himmel loben – es läuft super“, sagt Thomas Homann.

Ähnlich erfolgreich ist auch sein Projekt in der Karl-Marx-Schule in Leherheide, wo der Streetworker ein bestehendes Musikstudio „auf Vordermann“ gebracht hat, sodass sich dort nun regelmäßig junge Talente zusammenfinden. „Sie nehmen Raps auf, manche beherrschen ein Instrument und wir nehmen Sequenzen auf, die sie für ihre Lyrics loopen.“ Der Erzieher ist froh, dass er auch durch dieses Angebot einen Zugang zu den Jugendlichen hat und sie positive Erfolge mit ihrer Musik feiern können.

Gefahr durch Vapes und Cannabis

Wie wichtig das ist, erleben die Streetworker, wenn sie den Umgang vieler Jugendlicher mit Drogen beobachten. „Besonders Vapes (Einweg-E-Zigarretten) stellen ein echtes Problem dar“, weiß Shaheed Saunders. „Nur, weil es fruchtig schmeckt, ist es nicht gesund. Das fängt schon in den Grundschulen an. Sie locken die Kids mit coolen Looks, gaukeln ihnen vor, dass sie harmlos und weniger schädlich als Zigaretten sind. Doch sie machen psychisch abhängig, haben Nebenwirkungen.“

Saunders weiß, wovon er spricht. Der Südafrikaner hat seine Abschlussarbeit über Betäubungsmittel geschrieben und warnt eindringlich davor, die Wirkung von Vapes und Cannabis trotz ihrer Legalisierung zu unterschätzen. „Heutzutage ist viel Cannabis in Hydro-THC-Qualität auf dem Markt und auch, wenn es legal ist, bis zu 25 Gramm für den Eigenverbrauch bei sich zu tragen, ist es insbesondere für labile Charaktere oft der Einstieg in eine Drogenkarriere und die Entwicklung von Psychosen.“ Mit seinem Wissen geht Saunders zwar für Informationsveranstaltungen an Schulen, doch er begegnet wie seine Kollegen allen auf Augenhöhe – „wir stigmatisieren nicht, wir informieren.“

„Heute wird alles gleich in den sozialen Medien gepostet“

Auf die Frage, ob die Hemmschwelle zur Gewalt von Jugendlichen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken sei, schütteln die Streetworker mit den Köpfen. „Nein, das ist nicht angestiegen, das war schon immer auf diesem Level“, antwortet Thomas Homann. „Der Unterschied ist, dass im Gegensatz zu früher heute alles gleich in den sozialen Medien gepostet, verbreitet und kommentiert wird.“ Damit einhergehend sei der Respekt und die Sprache unter den Leuten einer „deutlichen Verrohung“ zum Opfer gefallen. „Genauso wie respektlos die anonymen Kommentare klingen, genauso sprechen die Jugendlichen, häufig ein Spiegelbild ihres Zuhauses, miteinander. Es liegt also auch an den Erwachsenen, was sie vorleben, wie sie miteinander umgehen“, sagt Homann. „Nach meiner Erfahrung sind die meisten Jugendlichen in Ordnung, wenn man ihnen auch mit Respekt begegnet. Viele sind besser als ihr Ruf, da muss ich für sie echt mal eine Lanze brechen.“ (ran/mcw)

Drei Männer laufen nebeneinander auf dem Gehsteig und unterhalten sich dabei

Bremerhavens Streetworker Shaheed Saunders, Thomas Homann und Burc Cap (von links) unterwegs in Geestemünde.

Foto: Rendelmann