
Genesungsbegleiterin Birgit Kowski hört in Ruhe zu, wenn jemand das Gespräch mit ihr sucht. Foto: Antje Schimanke
Foto: (c) Antje Schimanke
Seelische Unterstützung
Im Kampf gegen die Dunkelheit
Das Nachtcafé in Bremerhaven ist Treffpunkt und Zufluchtsort für Menschen in seelischen Krisen.

Das Nachtcafé befindet sich in den Räumen der Tagesstätte „Boje“, Bürgermeister-Smidt-Str. 129, 27568 Bremerhaven
Foto: Antje Schimanke
Draußen liegt eine grauverwaschene Wolkendecke über Dächern und Gedanken, doch drinnen ist es warm und hell. Eine Frau betritt das Nachtcafé in der Bremerhavener Innenstadt. Sie wohnt etwas außerhalb auf dem Land und fährt mehrmals in der Woche mit dem Bus hierher.Die Rentnerin, die fortan Christa C. heißen soll, ist wegen einer Psychose in Behandlung und hütet sich davor, allzu viel allein zu sein: „Ich sehe zum Beispiel im Fernsehen eine Frau am Meer und denke, ich bin gemeint, ich soll da hineingehen“, sagt sie über ihre schweren Momente. Sie setzt sich zu Werner, der wie sie und die anderen Besucher nicht mit seinem richtigen Namen genannt werden möchte. „Das Café ist für mich so ein Anlaufpunkt, um der Dunkelheit zu entgehen“, sagt Werner, auch ein Stammgast.
An Wochentagen geöffnet
Das vom Bremer Senat geförderte Nachtcafé wurde 2017 auf Initiative des Klinikums Bremerhaven Reinkenheide eingerichtet. Es soll für Menschen in einer seelischen Krise und bei Bedarf auch für deren Angehörige als Anlaufstelle dienen und hat wochentags von 18 bis 22 Uhr geöffnet – das ist auch seit Beginn der Corona-Pandemie so geblieben.
Birgit Kowski begrüßt Christa C. und die anderen Gäste, die nach und nach eintrudeln, weil sie unter Menschen sein und reden wollen. Sie leitet das Nachtcafé gemeinsam mit einem Kollegen. Die beiden sind ausgebildete Genesungsbegleiter: Menschen, die selbst schon eine psychische Erkrankung durchgemacht haben, lernen in dieser Ausbildung, andere Betroffene zu begleiten.
Aus eigener Erfahrung
Birgit Kowski geriet 2007 in eine schwere seelische Krise. Seit sie für sich selbst einen Weg zurück in ein zufriedenes Leben gefunden hat, will sie auch andere dabei unterstützen. „Ich höre ohne Zeitdruck zu, stelle den Cafébesuchern Fragen, statt Antworten zu servieren, und gebe ihnen Impulse, um selbst aus der Krise herauszukommen“, erklärt die Expertin aus eigener Erfahrung.
Familiäre Atmosphäre
Der 23-jährige Janis geht seit über zwei Jahren ins Café und hat häufig das Einzelgespräch mit einem der Genesungsbegleiter gesucht. Heute kommt er später als die anderen, grüßt kurz in die Runde. Einige Besucher spielen Karten, andere sitzen einfach nur da und zwei hantieren gerade in der Küche, denn einmal pro Woche wird gekocht und gemeinsam gegessen. Janis holt sich Kaffee und setzt sich an einen der Tische. Dann erzählt er, wie es dazu kam, dass er sein Studium abbrechen musste.
Er habe sich gestresst gefühlt, habe den Vorlesungen nicht mehr richtig folgen können und immer weniger geschlafen. „Eines Tages wollte ich einen Freund am Flughafen abholen und wusste nicht einmal mehr, wie ich dort hingekommen war.“ Mittlerweile habe er einiges dazugelernt: Etwa, dass man gnädig mit sich umgehen und sich mit Freunden treffen müsse, um im seelischen Gleichgewicht zu bleiben. „Ich habe mich zu sehr eingeigelt“, sagt er. Deshalb seien die Besuche im Nachtcafé für ihn so wichtig gewesen, „dieser nette Umgang, die familiäre Atmosphäre“.
Feste Umgangsregeln
„Die meisten Gäste kommen über einen längeren Zeitraum, da entwickelt sich eine richtige Gemeinschaft“, sagt Birgit Kowski. Sie zeigt auf eine Liste von Umgangsregeln, die Gäste selbst hätten sie aufgeschrieben. In gemäßigter Lautstärke reden, steht dort zum Beispiel, sich gegenseitig aussprechen lassen, niemanden wegen seiner Herkunft oder Religion diskriminieren. Und kürzlich, berichtet Birgit Kowski weiter, hätten sie mit Hilfe eines Rollenspiels geübt, wie man sich in kritischen Situationen verhalten kann. „Ich bin reingekommen und habe einen auf dicke Hose gemacht, geschrien und geschimpft“, sagt Werner zu seiner Rolle als Randalierer.
Doch meist bleibt es friedlich im Nachtcafé, so auch heute. „Gemeinsames Essen und Schnacken, das ist so ein schönes Ritual“, sagt Christa C. und deutet auf den Topf mit den fertigen Spaghetti Bolognese. „Janis möchte sich heute von euch verabschieden, er fängt bald eine Ausbildung in Bremen an“, sagt Birgit Kowski und blickt in die Runde. Die anderen nicken, klopfen Janis auf die Schulter, wünschen ihm alles Gute. „Ich werde das hier bestimmt vermissen“, sagt er noch, bevor er geht.
Adresse und Öffnungszeiten
Das Nachtcafé befindet sich in den Räumen der Tagesstätte „Boje“, Bürgermeister-Smidt-Str. 129, 27568 Bremerhaven
Öffnungszeiten: montags bis freitags von 18 bis 22 Uhr,
Website: www.nachtcafe.klinikum-bremerhaven.de
Weitere Unterstützungsangebote
Wenn Menschen in psychische Krisen geraten oder unter seelischen Erkrankungen leiden und Hilfe benötigen, fällt es oft schwer, einen Überblick über die verschiedenen Wege zu bekommen. Dies gilt für die Betroffenen selbst wie auch für ihre Angehörigen. Das Internetportal psychNAVi ermöglicht die gezielte Suche nach ambulanten und stationären Therapieangeboten, Sozialpsychiatrischen Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und zahlreichen anderen Unterstützungsleistungen in Bremerhaven.
Darüber hinaus lohnt sich ein Blick auf die Online-Angebote der AOK Bremen/Bremerhaven für psychische Gesundheit. Online- Programme wie „Moodgym“ oder „Stress im Griff“ helfen dabei, schwierige Alltagssituationen zu meistern und besser mit Belastungen umzugehen. Der „Familiencoach Depression“ richtet sich an Angehörige und Freunde von Menschen mit Depressionen. Sie trainieren in diesem Programm, mit Krankheitssymptomen wie Antriebslosigkeit oder Reizbarkeit besser umzugehen und dabei auch auf sich selbst zu achten. (afu)