
Ein Mann sitzt in einem Rollstuhl an seinem Arbeitsplatz am Schreibtisch: Der Integrationsfachdienst unterstützt Menschen mit Behinderung bei der Teilhabe am Arbeitsleben.
Foto: Puchner/dpa
Trotz Handicap auf dem Arbeitsmarkt
Ein 29-Jähriger ist auf den Rollstuhl angewiesen. Dennoch ist sein größter Wunsch ein Job auf dem regulären Arbeitsmarkt – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Durch die Unterstützung des Integrationsfachdienstes Bremerhaven/Wesermünde und die Offenheit seines Arbeitgebers absolviert der junge Mann nun eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement beim Betreuungs- und Erholungswerk (BEW) in Bremerhaven.
Vorbehalte vieler Firmen
Der 29-Jährige absolvierte bereits in einer speziellen Ausbildungsstätte eine im Jahr 2018 abgeschlossene Ausbildung zum Orthopädie-Schuhmacher. „Es stellte sich dann aber heraus, dass ich keine Stelle bekomme“, bedauert er. „Es gab Vorbehalte der Firmen, was die Qualität der Ausbildung angeht, und wegen des Rollstuhls.“ Der Spartenberuf erwies sich in Kombination mit der notwendigen Barrierefreiheit als schwierige Kombination.
Hilfe vom Integrationsfachdienst
Hilfestellung gab es vom Integrationsfachdienst (IFD) Bremerhaven/Wesermünde. Die Elbe-Weser Welten gGmbH ist Trägerin des IFD, der in mehrere Unterabteilungen gegliedert ist: Neben der Arbeitsvermittlung (AV) zählen die Berufsbegleitung (BB), die Unterstützte Beschäftigung (UB) sowie die Einheitliche Ansprechstelle für Arbeitgeber (EAA) zum Angebot.
Praktikum sorgt für neue Perspektiven
Auf Empfehlung der Arbeitsvermittlung für Menschen mit Behinderung gelangte der heute 29-Jährige in die Maßnahme Unterstützte Beschäftigung, in der er sich über Langzeitpraktika neue Berufsfelder erschließen konnte. Ein Gespräch zwischen EAA und dem BEW über die Entwicklung von Nischenarbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung öffnete eine weitere Tür. Denn, so das Ergebnis, in dem Verein, der häusliche Pflege, betreutes Wohnen und psychiatrische Hilfen anbietet, könnte es Arbeit für den Rollstuhlfahrer geben – an der Rezeption des Seniorenwohnparks an der Adolf-Butenandt-Straße. „In diesem Rahmen konnte ich ein Praktikum machen und habe dabei festgestellt, dass ich mir auch Büroarbeit vorstellen kann“, berichtet er. „Außerdem kann er gut mit Menschen umgehen“, ergänzt Elke Kaune, Integrationsberaterin für Arbeitgeber (EAA).
Die Ausbildung schafft Möglichkeiten
Was als Tätigkeit an der Rezeption beim Wohnpark Günter Lemke startete, mündete inzwischen in eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement in der BEW-Hauptverwaltung. „Die Ausbildung bringt unserem Mitarbeiter mehr Möglichkeiten, und wir bekommen perspektivisch eine voll ausgebildete Kraft“, freut sich Vanessa Machado, Personalsachbearbeiterin des BEW.
Rollstuhlgerechte Einrichtung des Arbeitsplatzes
Derweil bemüht sich die Berufsbegleitung des IFD um die rollstuhlgerechte Einrichtung des Arbeitsplatzes: Weil der sich im Verwaltungsgebäude des BEW an der Wiener Straße im Obergeschoss befindet, wäre perspektivisch ein Treppenlift notwendig. Andere Aufgaben an der Rezeption im Erdgeschoss kann der 29-Jährige jedoch bereits jetzt problemlos übernehmen: Dieser Bereich ist barrierefrei.
Hilfen von unterschiedlichen Kostenträgern
Die Berufsbegleitung begleitet Beschäftigte und Arbeitgeber dort, wo es Unterstützungsbedarfe gibt. Betriebe haben die Möglichkeit, für Maßnahmen, die der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsplatz dienen, Hilfen von unterschiedlichen Kostenträgern zu erhalten. „Kostenträger für diese Anpassungsmaßnahme ist hier die Arbeitsagentur“, sagt Henrike Severiens von der Berufsbegleitung. „An diesem Beispiel kann man sehr schön sehen, was möglich ist, wenn alle Beteiligten ihrer Verantwortung nachkommen – auch wenn es durch bürokratische Verfahren und unerwartete Hürden länger dauert, als wir uns dies zunächst vorgestellt haben“, räumt Severiens ein.
Ganz unterschiedliche Beeinträchtigungen
„Wenn man es wirklich schafft, individuell geeignete Arbeitsplätze anzubieten, bekommt man auch mit einem Menschen mit Beeinträchtigungen eine vollwertige Arbeitskraft“, sagt Elke Kaune. Die Art der Beeinträchtigung kann dabei höchst unterschiedlich sein. Es gibt zum Beispiel Sehbehinderungen, Gehörlosigkeit, Lernbehinderungen und psychische Beeinträchtigungen. Das Spektrum ist groß: „Es kann sich um Studierte handeln, die aufgrund einer Erkrankung aus ihrem ursprünglichen Beruf herausgerissen wurden“, sagt Kaune. „Und es kann auch eine Person aus der Förderschule oder mit neurologischen Beeinträchtigungen sein.“
„Wir suchen den Pott zum Deckel“
Die Frage sei immer: Wo matcht es zwischen Betrieb und Bewerber? „Unsere Aufgabe ist es, den Pott zum Deckel zu finden.“ Kaune versteht sich dabei als Lotsin, die Firmen eine wertneutrale, kostenfreie Beratung zur Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigungen anbietet. Die Haltung der Unternehmen sei dabei ganz unterschiedlich. „Es gibt Betriebe, die auf mich zukommen, weil sie sich inklusiv öffnen wollen“, berichtet sie. Andere Firmen sagen, dass das bei ihren Jobs nicht funktioniere. „Die sehen dann vielfach die Risiken, aber nicht die Chancen“, bedauert Kaune. Ein weiteres Argument gegen eine Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigung: Es fehle an Personal zur Anleitung.
Ausgleichsabgaben für Betriebe
Allerdings kann es für Betriebe durchaus teuer werden, wenn sie die gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtarbeitsplätze nicht mit schwerbehinderten Mitarbeitern besetzen. In diesen Fällen sind ab einer Betriebsgröße von 20 Mitarbeitern Ausgleichsabgaben fällig, die an das Integrationsamt gezahlt und dann für die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben eingesetzt werden.
Zahlungen für unbesetzte Pflichtarbeitsplätze
Der Anteil der Pflichtarbeitsplätze und die Höhe der Ausgleichsabgabe bei Nichtbesetzung erhöht sich mit der Mitarbeiterzahl. Bei mehr als 60 Mitarbeitern müssen Unternehmen 5 Prozent der Arbeitsplätze als Pflichtarbeitsplätze vorhalten. Besetzen sie keinen einzigen davon mit schwerbehinderten Bewerbern, beträgt die Ausgleichsabgabe 815 Euro pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz und Monat. Hier kommen bei größeren Betrieben schnell Beträge im fünfstelligen Bereich zusammen. Unternehmen können sich die Höhe der Ausgleichsabgabe online (www.rehadat-ausgleichsabgabe.de) selbst ausrechnen.
Offenheit, die sich lohnt
Nicht nur aus Sicht des 29-Jährigen, der jetzt trotz Rollstuhl seine Ausbildung absolviert, hat sich die Offenheit des BEW indes gelohnt. „Das BEW verfolgt das Ziel, seinen Auszubildenden nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung nach Möglichkeit eine Weiterbeschäftigung im Unternehmen zu ermöglichen“, sagt BEW-Personalsachbearbeiterin Vanessa Machado.
Arbeitgeber, die Menschen mit Beeinträchtigungen beschäftigen möchten, können sich von der Einheitlichen Ansprechstelle für Arbeitgeber (EAA) des Integrationsfachdienstes Bremerhaven/Wesermünde beraten lassen: Elke Kaune, Tel. 0471/30053179, mobil: 0171/9747458, E-Mail: ifd.kaune@eww.de