Alarmstufe rot: Deutscher Nah- und Fernverkehr bremst die EM aus

Alarmstufe rot: Deutscher Nah- und Fernverkehr bremst die EM aus

Ein Versagen mit Ansage? Die Fußball-Europameisterschaft läuft insbesondere beim Transport längst nicht reibungslos und spiegelt die Probleme mit der deutschen Verkehrsinfrastruktur. Dass auch der Turnierdirektor ausgebremst wurde, ist bezeichnend.

Die Bahn bremst die EM aus

Verspätete Züge, überfüllte Waggons und lange Wartezeiten sorgen für Ärger bei den Fans

Nun hat auch der Turnierchef erfahren, was bereits vielen Besuchern dieser Europameisterschaft passiert ist. Philipp Lahm ist bei der Anreise nach Düsseldorf von der Deutschen Bahn ausgebremst worden.

Der EM-Direktor sollte eigentlich am Freitagnachmittag vor der Partie Slowakei gegen die Ukraine bei RTL und MagentaTV vor der Kamera stehen. Stattdessen verriet Turnierbotschafterin Celia Sasic: „Er müsste irgendwo in der Nähe von Solingen hängen, also von daher drücken wir die Daumen.“

Auch der öffentliche Nahverkehr ist überlastet

Hoffen und Bangen, um bei dieser EM von Hamburg nach Dortmund oder von München nach Düsseldorf zu kommen. Die Bahn hat halt ihre Tücken.

Doch das ist nicht das einzige Problem. Auch der öffentliche Nahverkehr, der die Fans von den Hauptbahnhöfen zu den Stadien und zurück bringen soll, ist oft überbelastet. Insbesondere nach den Spielen wirkt es verstörend, wie wenig Verkehrsmittel für den Abtransport der Menschenmassen bereitstehen.

Größtes Chaos entstand bislang in Gelsenkirchen

Das größte Chaos entstand bislang in Gelsenkirchen beim ersten Gruppenspiel zwischen England und Serbien. International reagierte die Presse mit Entsetzen. Die renommierte „New York Times“ schrieb: „Vergessen Sie alles, was Sie über deutsche Effektivität denken.“ Der englische „Independent“ kritisierte: „Es ist nicht annähernd so gut organisiert, wie man es sich vorgestellt hat. Ewige Wartezeiten und Verspätungen.“

Und beim Sender „TV4“ aus Schweden sagte der Kommentator: „Ich bin schockiert, wie alles funktioniert. Oder besser: nicht funktioniert. Es ist unglaublich. Vom Transport bis zu Sicherheitsfragen.“

Deutschland verliert an Ansehen

International war die Erwartung an den vermeintlichen Organisationsweltmeister Deutschland eine andere. Interner Tenor: Wenn es in Deutschland mit dem Transport nur halb so gut läuft wie in den für viele Milliarden aus dem Wüstensand gestampften Metros von Doha, dann wäre schon viel gewonnen.

Nun verliert Deutschland an Ansehen. Es läuft nicht alles schlecht, aber vieles eben nicht gut. Der Fußball fördert die Probleme der deutschen Infrastruktur auf Straße und Schiene wie unter einem Brennglas hervor. Durch die hohe Aufmerksamkeit der EM bekommt das jetzt auch der letzte mit.

Organisatoren bitten um Verständnis

Was sagen die deutschen Organisatoren? „Wenn es um den Einlass geht oder den Abtransport - es sind einfach viele Menschen“, sagte Lahm zuletzt im ARD-Morgenmagazin. „Es sollte jeder Verständnis haben, dass nicht alles perfekt funktioniert, wenn viele Menschen aufeinandertreffen oder irgendwo hinwollen.“

Doch die Bahn ist von notorischen Störungen und Verspätungen geprägt. Im Mai kamen lediglich 63,1 Prozent der IC- und ICE-Züge ohne größere Verzögerung ans Ziel. Die Bahn hatte für den Juni Besserung gelobt, „weil die DB ihre Bautätigkeit während der EM auf ein Minimum reduzieren wird“.

Überaltertes Netz, personelle Engpässe und technische Probleme

Vielfahrer wissen um die Unzuverlässigkeit, die aus einem überalterten Netz, personellen Engpässe und technischen Problemen resultieren. Der Transportsektor wird deshalb so genau betrachtet, weil er eine Schlüsselrolle spielen sollte, neue Maßstäbe für solch ein Großereignis zu setzen.

In den Leitlinien heißt es: „Um Maßnahmen für soziale und ökologische Nachhaltigkeit voranzutreiben, möchte die EURO 2024 mit gutem Beispiel vorangehen“.

Vision: Vorbild für Nachhaltigkeit

Fans, Fußballer und Funktionäre sollen explizit die öffentlichen Transportmittel nutzen. Parkflächen für Autos wurden weitgehend gesperrt oder kostenpflichtig gemacht.

Die Vision: „Vorbild für Nachhaltigkeit von Veranstaltungen in der Welt des Sports und Impulsgeber für eine nachhaltige Entwicklung der deutschen und europäischen Gesellschaft sein.“ Die Realität: Mitunter sind die Stadiongäste einfach froh, wenn sie angekommen sind. Irgendwie, irgendwann.

Kritiker sagen: Die Bundesregierung hatte nie vor, wegen dieses Turniers in die marode Infrastruktur zu investieren. Es habe fast die Haltung geherrscht, die Probleme zu ignorieren.

Verkehrstechnischen Engpässe nicht neu

„Dass es nicht vorangeht, ist kein Zufall“, sagt ein Insider, der täglich mit den zuständigen Stellen zu tun hat. Für die EM sei „nichts passiert, dabei wäre ein Impuls durch Investitionen dringend nötig gewesen.“ Was bei dem Turnier jetzt geschehe, sei im Grunde ein Versagen mit Ansage.

Auf der Schiene sind die Defizite so gravierend, dass sie ohnehin nicht auf die Schnelle zu beheben sind. Gerade sickerte zudem durch, dass das Bundesverkehrsministerium die Haushaltsmittel für die Autobahn GmbH um 20 Prozent kürzen will. Mehrere Verbände setzten einen Brandbrief auf und warnten vor einem Verkehrskollaps in Deutschland. Dann, wenn der Ball bei der EM längst nicht mehr rollt.

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Erstellt:
23.06.2024, 15:39 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec

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