Schotten sind wieder „Bravehearts“
Die Schottland-Flagge hing fein säuberlich über dem Zaun am Spielfeldrand. Dazu trug Andrew Syme zum Trikot der schottischen Nationalmannschaft einen karierten Kilt, der ihn als besonderen Zaungast beim öffentlichen Üben des ersten deutschen Gruppengegners identifizierte.
Schotten bereiten sich in Garmisch-Partenkirchen vor
Der in Aberdeen geborene 52-Jährige arbeitet seit 1994 in einem Restaurant auf der Zugspitze. Der höchste Berg Deutschlands wäre vom Sportplatz des 1. FC Garmisch-Partenkirchen sogar zu erkennen gewesen, wenn sich nicht die Regenwolken so tief ins Wettersteingebirge geschoben hätten. Normalerweise kicke im Stadion am Gröben sein zwölfjähriger Sohn, erzählte der 52-Jährige. Jetzt bereiten sich die Schotten dort auf das Eröffnungsspiel gegen Deutschland am Freitag (21 Uhr/ZDF) vor.
Neureuther begleitet Eintrag ins Goldene Buch
„Wir haben das schottische Wetter mitgebracht“, witzelte Co-Trainer John Carver nach dem ersten Training im Regen, „damit wir uns hier noch mehr wohlfühlen.“ Die bayrische Gemeinde mit ihrem urigen Charme passt zu den Gästen mit ihrem lebenslustigen Charakter. Klischees bedienen beide Seiten gerne. Bereits die Ankunft am Tor der Alpen geriet rührig: Als Dudelsack-Klänge ertönten, tanzte Mittelfeldakteur John McGinn von Aston Villa beim Schuhplattler mit. Der Eintrag ins Goldene Buch der Wintersporthochburg begleitete Ex-Skistar Felix Neureuther.
200.000 Schotten wollen nach München kommen
Was aber nur wie ein Vorgeschmack aus der Provinz klang, ehe der gewaltige Ansturm in der Landeshauptstadt folgt. Der Schottische Fußball-Verband (SFA) bestätigte, dass sich bis zu 200.000 Landsleute nach München aufmachen wollen. Selbst wenn nur 10.000 Anhänger über Tickets verfügen, könnte die Metropole bis zum Wochenende einem gewaltigen Schotten-Rock gleichen. Die „Tartan Army“ gilt als besonders reisefreudig, friedlich, fröhlich und trinkfest.
Das Eröffnungsspiel ist für Schottland eine Ehre
Zehn vergebliche Anläufe auf EM- und WM-Endrunden haben die Schotten hinter sich, die nun zur Entschädigung für die Entbehrungen dieses Eröffnungsspiel als Ehre begreifen. Erst der 2019 angetretene Nationaltrainer Steve Clark hat es wieder geschafft, dass die schottischen Akteure wirklich wie „Bravehearts“ rüberkommen.
Und vielleicht hätten sie schon bei der letzten EM etwas bewirkt, wenn nicht die Einschränkungen durch Corona gewesen wären. Statt rauschende Festtage im vollbesetzten Hampden-Park zu feiern, erlebten nicht mal 10.000 Besucher bei den Heimspielen gegen Tschechien (0:2) und Kroatien (1:3) ernüchternde Lehrstunden. Da half zwischendrin der Achtungserfolg gegen Erzrivale England (0:0) in Wembley wenig.
Die beste Generation seit Jahren sorgt für Ausrufezeichen
Viele finden, dass die aktuelle Generation die besten seit Jahren ist. Und Clarke sei dafür genau der richtige Coach. Der 60-Jährige wechselte beim Training die meiste Zeit mit einer Kappe auf dem Kopf und einer Kladde in der Hand von der einen Spielfeldseite auf die anderen, um seine Vorstellungen zu vermitteln. Der ehemalige Rechtsverteidiger des FC Chelsea hat mit fünf Siegen in der EM-Qualifikation - darunter ein Ausrufezeichen gegen Spanien (2:0) - eine Begeisterungswelle losgetreten, so dass ihr bester Torschütze Scott McTominay von Manchester United mit seinem Tor bei Instagram mehr Aufrufe (5,7 Millionen) erreichte als Schottland Einwohner (5,2 Millionen) hat.
Nationaltrainer Clarke ist ein Bessermacher
Nicht auszudenken, was der erstmalige Einzug ins Achtelfinale auslösen würde. Bislang wusste die Fangemeinde bei einem Turnier eigentlich immer, dass ihre Postkarten länger nach Haus brauchen würden als die Mannschaft selbst.
Was der Bessermacher Clarke seit Amtsantritt 2019 bewirkt hat, ist auch Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht verborgen geblieben. Die Schotten hätten nicht allein viel Power: „Sie sind deutlich besser, als man es von außen erwarten würde, vor allem deutlich besser, was das Fußballerische angeht.“ Eben keine klassische Kick-and-Rush-Mannschaft mehr.
Garmischs Schotte wäre mit einem 0:0 zufrieden
Als Andrew Syme von diesen Sätzen hörte, musste er allerdings schmunzeln. So viel Lob in allen Ehren, „aber ich wäre zufrieden, wenn es 0:0 endet“. Der bayrische Schotte wird die Partie übrigens im Kurpark von Garmisch-Partenkirchen vor der Freiluftleinwand verfolgen. Für Tickets in der Arena in München hatte er sich erst gar nicht beworben. Sie waren ihm schlicht zu teuer.