Die Ukraine hat nur ein EM-Motto: „Kämpfen und siegen“

Die Ukraine hat nur ein EM-Motto: „Kämpfen und siegen“

Die öffentliche Trainingseinheit der ukrainischen Nationalmannschaft schafft schon vor dem Start der Fußball-EM berührende Momente und bewegende Worte – die Politik mischt zwangsläufig beim Empfang in Wiesbaden mit.

Ukrainer will kämpfen und siegen

Berührende Momente beim öffentlichen Training vor dem Start der Fußall-EM

Mitunter braucht es einfach Ablenkung. Erst recht für Menschen, die im Krieg beide Beine verloren haben. Einige in Deutschland behandelte Kriegsversehrte haben direkt vor der Haupttribüne der Arena in Wiesbaden gesessen, als sich vor ihnen die ukrainische Nationalmannschaft aufstellte.

Wer ihre Gesichter länger ansah, konnte irgendwann ein Lächeln entdecken. Sie konnten sich zwar nicht erheben, als in Deutsch und Ukrainisch dazu aufgefordert wurde. Als die in einem weißen Kleid erschienene Opernsängerin Olena Romaniv sich das Mikrofon griff, um die Nationalhymne der Ukraine zu singen und sich daraufhin die Fußballer die Hand aufs Herz legten, konnte sich jedoch kaum einer den Gänsehautmomenten entziehen.

Öffentliches Training wird eine Solidaritätsaktion

Das öffentliche Training in der hessischen Landeshauptstadt dieses besonderen EM-Teilnehmers geriet zu einer Solidaritätsaktion, die nicht nur die fast 4000 Augenzeugen berührte. Hinterher formierten sich die kickenden Hoffnungsträger am Anstoßkreis, um ebenfalls zu applaudieren.

Akteure wie Altstar Andrej Jarmolenko, einst auch für Borussia Dortmund am Ball, nahmen blau-gelbe Anhänger in Herzform von geflüchteten Landsleuten auf den Rängen entgegen. Zuvor hatte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein die Bühne auf dem Rasen genutzt.

„Das ist nicht einfach für uns, aber wir wollen ein starkes Turnier spielen. Es ist eine Ehre für uns, hier zu sein.“

„Sie können ein Wunder vollbringen - so wie die Männer und Frauen gerade in der Ukraine ein Wunder für die Freiheit vollbringen“, rief der CDU-Politiker aus. „Ihr seid wahrscheinlich das beste Team, das es jemals gegeben hat aus der Ukraine.“ Er drücke diesem Ensemble jedenfalls genauso den Daumen wie dem deutschen Team: „Dafür haben wir zwei Daumen.“ Und an die Bevölkerung der kriegsgeplagten Nation gerichtet: „Die Männer und Frauen in der Ukraine verteidigen gerade ihr Land gegen einen Kriegsverbrecher, gegen Wladimir Putin und Russland.“

EM-Fußball und Bundespolitik

Kurz darauf ertönte aus vielen Kehlen der Slogan, der vieles verbindet: „Slawa Ukrajini - Herojam Slawa“ (Ruhm der Ukraine - Ruhm den Helden). Die Spielstätte des gerade in die 3. Liga abgestiegenen SV Wehen Wiesbaden liegt passenderweise ja an der Berliner Straße; EM-Fußball und Bundespolitik gehörten an diesem Tag irgendwie zusammen.

DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich empfand den Doppelpass jedenfalls gelungen. „Es war ein besonders herzlicher Empfang, der mich tief beeindruckt hat“, sagte Ullrich, ehe die mächtigste Funktionärin des Verbandes nach München weiterreiste. Nationaltrainer Sergej Rebrow bedankte sich noch in ihrem Beisein artig über Stadionmikrofon: „Deutschland ist ein sehr starker Partner. Nicht nur hier.“

Rebrow hält Teilnahme für elementar

Später holte der im vergangenen Jahr kurz vor dem Jubiläumsspiel gegen Deutschland (3:3) eingestellte Coach noch ein bisschen weiter aus. „Ich weiß, dass viele Menschen von diesem Krieg müde sind, aber wir dürfen nicht aufhören zu kämpfen und brauchen weiter die Unterstützung.“

Der lange in England aktive Ex-Nationalspieler hält es für elementar, bei der vierten EM in Folge mitzumachen: „Wir wollen zur europäischen Familie gehören, und in dem Krieg kämpfen wir für ganz Europa.“

Das Spannungsfeld kann aus seiner Sicht ein Ansporn sein. Insbesondere in den Playoffs gegen Bosnien (2:1) und Island (2:1) hatte Rebrow stets betont, dass seine Sportler auch die Soldaten vertreten und ihnen als Vorbild dienen müssten.

Ukraine wohnt streng bewacht in Taunusstein

Sein Team begnügte sich nach der langen Anreise im Bus von Kiew nach Warschau und im Flugzeug nach Frankfurt mit einer lockeren Einheit. Der ukrainische Unterschiedsspieler Mykhailo Mudryk vom FC Chelsea schaute sich den letzten Teil sogar auf dem Hosenboden sitzend hinter dem Tor an.

Die Delegation wohnt streng bewacht in Taunusstein, hält die Medientermine aber in Wiesbaden ab, wo Pappfiguren der prominentesten Protagonisten mit kriegerischen Bezügen ausgestellt sind. Mittelstürmer Artem Dowbyk, beim FC Girona Torschützenkönig in Spanien, wird auf seiner Abbildung so zitiert: „Der Mut unseres Militärs – unser Schlüssel zum Sieg!“

Stepanenko ist ein emotionaler Anführer

Als Sprachrohr kam Kapitän Taras Stepanenko am Donnerstag in die Mixed Zone, um auf Englisch zu übermitteln: „Jeden Morgen nach dem Aufwachen lesen wir die Nachrichten, dass Russland unsere Menschen tötet und unsere Städte zerstört. Das ist nicht einfach für uns, aber wir wollen ein starkes Turnier spielen.“

Motto: kämpfen und siegen. Der 34-Jährige von Schachtar Donezk ist der emotionale Anführer einer Mannschaft, die seit mehr dem russischen Überfall als Symbol gilt, Widerstände zu überwinden. „Es ist eine Ehre für uns, hier zu sein.“

Kampf an zwei Fronten

Ihr Trainer möchte sogar, dass seine Truppe in Deutschland wiederholt auf den Kampf an zwei Fronten angesprochen wird. „Umso häufiger wir darüber reden, desto besser kommen wir damit klar“, beteuerte Rebrow. Über Sportliches wollte der 50-Jährige (noch) nicht reden. „Dafür ist die Pressekonferenz vor dem Spiel.“

Ihren ersten Auftritt hat die Ukraine am Montag in München gegen Rumänien, dann geht es noch in Düsseldorf gegen die Slowakei (21. Juni) und in Stuttgart gegen Belgien (26. Juni). In dieser Gruppenkonstellation ist es keineswegs unmöglich, noch ein bisschen länger Ablenkung zu stiften. Einige könnten es dringend gebrauchen.

Taras Stepanenko, Kapitän Ukraine
Die Ukraine hat nur ein EM-Motto: „Kämpfen und siegen“

© Christian Charisius

Ihr Autor

Frank Hellmann

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Erstellt:
13.06.2024, 15:52 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 35sec

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