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„Das EM-Quartier darf ruhig eine Wohlfühloase sein“, hatte Bundestrainer Julian Nagelsmann vor dem Turnier gesagt, um dann aber gleich auch zu betonen: „Das bedeutet nicht, dass wir den Fokus verlieren dürfen.“
Der 36-Jährige setzt auf eine Balance zwischen klaren Strukturen und individuellen Freiheiten. So tritt er auch selbst auf. Seine Pressekonferenzen vor und nach den Spielen sind keine Veranstaltungen mit leeren Worthülsen, Nagelsmann wirkt empathisch, erklärt seine Gedankengänge, ohne schulmeisterlich zu wirken - was Kollegen, die ihn als Bayern-Trainer kannten, noch anders erlebt hatten.
Der Plan von Julia Nagelsmann ist aufgegangen
Nagelsmann zeigt bei dieser EM in jeder Situation, dass er an seinem neuen Job Gefallen gefunden hat, den er nach dem überraschenden Aus von Hansi Flick im Herbst vergangenen Jahres übernommen hat. Zunächst ließ er die Zukunft über die EM hinaus offen, doch noch vor der EM erklärte er die wichtigste Stelle des Deutschen Fußballs zur „Herzensangelegenheit“ und verlängerte.
Nach einem überragenden Auftakt gegen Schottland (5:1), einem guten Spiel gegen Ungarn (2:0) und einem durchwachsenen Auftritt beim 1:1 gegen die Schweiz zeigte sich Nagelsmann in einer Zwischenbilanz zufrieden, sein Plan ist aufgegangen.
Nun muss das Trainerteam umdisponieren
Der Plan war die klare Rollenverteilung mit unveränderten Startelf-Spielern und Feinjustierungen während des Spiels durch seine Ergänzungsspieler. Jetzt allerdings muss das Trainerteam umdisponieren.
Es droht der komplette Ausfall der bisher weitgehend überzeugenden Innenverteidigung. Jonathan Tah fehlt in Dortmund wegen seiner zweiten Gelben Karte und hinter dem Einsatz von Antonio Rüdiger steht ein Fragezeichen. Der Abwehrchef zog sich gegen die Schweiz eine Muskelzerrung am Oberschenkel zu.
Schlotterbeck und Anton für Tah und Rüdiger?
Für Jonathan Tah wird Nico Schlotterbeck spielen, der schon gegen die Schweiz für den Leverkusener nach einer Stunde eingewechselt wurde, was mehr als ein Fingerzeig war. „Wir wollten ihm die Chance geben, Rhythmus zu sammeln“, sagte Nagelsmann, der aber auch Waldemar Anton und Robin Koch als Alternative nannte.
Mehr Innenverteidiger hat er aber auch nicht. Die erste Wahl bei einem Rüdiger-Ausfall dürfte Waldemar Anton sein. Der 27-Jährige hat beim VfB Stuttgart eine überragende Saison gespielt, er verkörpert zwei wichtige Anforderungen eines Innenverteidigers: Einerseits hat er Lust am Verteidigen, er kann gnadenlos dazwischenhauen. Andererseits ist er auch technisch versiert und gut in der Spieleröffnung. In der kommenden Saison soll er in Dortmund Mats Hummels ersetzen – neben Nico Schlotterbeck in der Innenverteidigung. Insofern hätten die beiden neuen Innenverteidiger am Sonnabend ein Heimspiel.
Trainer will an Rollenverteilung festhalten
Julian Nagelsmann ließ am Sonntagabend auch durchblicken, dass er gerne an der bestehenden Rollenverteilung festhalten möchte: Das würde besonders Niclas Füllkrug treffen, der mit seinem Last-Minute-Tor die EM-Stimmung im Land gerettet hat. Der Bundestrainer sah aber auch Stammspieler Kai Havertz gut.
Auch David Raum hatte am Sonntagabend auf Anhieb funktioniert, auf der Mittelstädt-Seite sofort Druck gemacht und die entscheidende Flanke auf den Kopf von Füllkrug geschlagen. Was aber auch kein Grund sein dürfte, links hinten etwas zu verändern.
Die Königsdisziplin der Trainer
Denn: Auch die Bank ist ein wichtiger Faktor und ein großes Plus in dieser Mannschaft, bisher funktionierten alle Einwechselspieler: Besonders Niclas Füllkrug bereits mit zwei Toren, Emre Can mit dem Tor gegen die Schotten, David Raum als Vorbereiter.
„In Game Coaching“ nannte Nagelsmann nach der Kader-Nominierung diese „große Kunst des Trainer-Seins.“ Auf Spielsituationen zu reagieren. Darin unterscheiden sich, so Nagelsmann „gute von normalen und sehr gute von guten Trainern“. Für ihn sei das die „Königsdisziplin.“