Er bringt die Steine zum Sprechen
Jedes Gebäude - und beileibe nicht nur die Backstein-Schönheiten - verfügt auf den Bildern Alexander Dettmars über eine eigene Persönlichkeit. Da gibt es die kleinen, die schon etliche Stürme überstanden haben, neben den großen, selbstbewussten Kirchen, die das Stadtbild prägen. Die alten Häuser am Alten Hansehafen in Stade scheinen sich aneinander zu kuscheln, fast so als würden sie sich gegenseitig wärmen, Moorkaten verlieren in der Weite der Landschaft. In Sissach thront die Kirche wie ein Herrscher einsam auf dem Berg. Der Barkenhoff ins Worpswede, einst pulsierender Treffpunkt der Künstler, wirkt dagegen gar nicht mehr so, als ob dort „König Heinrich“ residieren würde. Die charakteristische Symmetrie des Gebäudes ist aufgehoben, die Fassade wölbt sich. Keine Frage, die heile Vogeler-Welt, ohnehin schon lange vorbei, ist völlig aus den Fugen.
„Zeitspuren“ nennt Alexander Dettmar seine Ausstellung in der Worpsweder Kunsthalle. Der Titel erschließt sich sofort. Denn der Zahn der Zeit hat an all den Bauten genagt, die der Künstler - man muss es wohl so sagen - porträtiert. Das Herz des Malers schlägt für historische Bauten, ganz taufrisch ist keines der Gebäude, die sich in der Schau vor uns aufbauen. Diese gelebte Zeit fängt Dettmar auf 40 Arbeiten ein. Ihm geht es nie darum, die Realität abzubilden, sondern um eine Stimmung, um Atmosphäre. Er gibt den Steinen eine Seele.
Dettmar zerlegt die Wirklichkeit in Einzelteile
„Ich male die Welt so, wie ich sie empfinde“, sagt der Künstler. Seine Bilder will er nicht interpretieren: „Ich bin Maler, kein Dichter.“ Schauen wir also genauer hin. Dettmar, der mit ungegenständlichen Arbeiten begann, formt das Gesehene um. Er zerlegt die Realität in flächige Einzelteile - das ist bei den Bauernkaten nicht anders als den Kirchen. Die Suche nach der Einfachheit der Form, die Paula Modersohn-Becker anstrebte, treibt auch den Zeitgenossen um.
Dettmars Bilder gleichen oft Montagen aus realer Architektur und Traumbildern, denn die Perspektive ist selten so, wie sie sein sollte. „Etwas zu malen, bedeutet gleichzeitig, etwas neu zu sehen“, findet er. Seine Bauten entfalten vielleicht gerade deshalb ihren Charakter, erheben stolz ihr Haupt über die Einheitsarchitektur unserer Tage. Sie alle malt er in Öl: „Ich bin meinem Material sehr treu, mit den Ölfarben verheiratet.“
Verheiratet ist der 71-Jährige auch mit seinem französischen Luftwaffenrucksack, ein unabdingbares Accessoire, um draußen zu malen. Denn in ihm verstaut er seine Farben und Pinsel. Mit dem Fahrrad macht er sich oft auf zu seinen Motiven. „Die allermeisten Arbeiten sind draußen kniend auf dem Boden entstanden. Bei Wind und Wetter“, berichtet er. Nur die mittleren und großen Formate vollendet er später im Atelier.
Der Künstler liebt Norddeutschland
„In dieser Ausstellung habe ich meine Liebe zum Norden mit Bildern aus Paris und Rom verbunden“, verrät der Künstler. Zu Worpswede hat er eine besondere Verbindung. „Mein Vater war Solo-Cellist und hat mal ein Konzert in der Kunsthalle in Worpswede gegeben.“ Und sein Großvater war Oberschulrat in Bremen, in Hepstedt wurde das Schullandheim nach ihm benannt. Dettmar, geboren in Freiburg im Breisgau und heute in Berlin zu Hause, hat, wie er sagt, „norddeutsche Gene“.
Doch in der Schau spazieren die Besucher nicht nur durch die Straßen von Bremen, Lübeck, Stade und Lüneburg, sondern auch durch die von Passau, Paris und Rom. Egal wo er ist, fast immer sieht der Künstler Rot. „Ich spiele mit den unterschiedlichen Rottönen“, so Dettmar, der sich als Architekt seiner Bilder versteht. So leuchtet die St. Petri-Kirche in Lübeck in den schönsten Rottürmen ebenso wie die Böttcherstraße in Bremen oder ein Straßenzug in Paris.
Menschen haben überall Spuren hinterlassen
Seine menschenleeren Stadtlandschaften erzählen alle eine eigene Geschichte, auch die der Bewohner. Trotz ihrer Abwesenheit sind die Menschen präsent, sie haben überall ihre Spuren hinterlassen. Seine Bilder sind, so sagte es Rainer Beßling in seiner Eröffnungsrede, „in einem Zwischenbereich und in Überlagerungen angesiedelt. In diesem Raum verlässt die Farbe endgültig die Gegenstände und orchestriert das Zusammenspiel der Bildatmosphären und unserer von Emotionen und Erwartungen gelenkten Blicke“.
Noch ein Punkt ist Alexander Dettmar wichtig: „Ich verlange von Kunstwerken, dass sie Kraft haben und ehrlich sind. Nur so können sie die Menschen erreichen.“ Und diese Kraft müssen seine eigenen Arbeiten ebenfalls haben. Dass er mit ihnen auch Menschen außerhalb des Kunstbetriebs anspricht, freut ihn besonders. So hat er einmal zwei Punker dabei beobachtet, die vor einer Galerie standen, in der er gerade ausstellte. Meinte der eine zum anderen: „Die Bilder sind aber schön.“ Da kann man dem Punker nur zustimmen.

© Worpsweder Kunsthalle
Er schlägt sein Atelier oft draußen auf: Alexander Dettmar an der Hamme.
Auf einen Blick
Was: „Zeitspuren: Alexander Dettmar, Malerei
Wo: Worpsweder Kunsthalle, Bergstraße 17 in Worpswede
Wann: Bis zum 9. März. Die Schau ist dienstags, donnerstags, sonnabends und sonntags von 11 bis 17 Uhr zu sehen.

© Stürzer
Ein Straßenzug in Paris: Alexander Dettmar ist oft in die Stadt an der Seine gereist.