„Ich bin innerlich älter geworden“
Einer der charismatischsten „Tatort“-Kommissare nimmt seinen Hut: Mehr als 20 Jahre lang ging Axel Milberg als spröder Kieler Ermittler Klaus Borowski in der Stadt an der Ostsee auf Ganovenjagd, doch jetzt steigt der 68-Jährige aus der Reihe aus. In der finalen Folge „Borowski und das Haupt der Medusa“ (Sonntag, 16.3., 20.15 Uhr ARD) kommt der Ermittler kurz vor seiner Pensionierung einem psychopathischen Serienmörder auf die Spur und hat nur wenige Tage Zeit, den Täter dingfest zu machen.
Herr Milberg, ein bekannter Schlagertext sagt: Abschied ist ein scharfes Schwert. Wie weh hat Ihnen der Abschied von Klaus Borowski getan, den Sie viele Jahre lang gespielt haben? Ein Schwert ist ja zweischneidig. Dieser Abschied tut mir tatsächlich weh, weil mir plötzlich klar wird: 21 Jahre sind vergangen – mir kommt es nicht so vor. Ich bin unverbraucht, ich bin innerlich nicht älter oder erschöpfter. Es war ein Geschenk, immer wieder an Themen und Stoffen mitzuwirken, immer wieder auch zu sagen: Das ist spießig, das will ich nicht. Es ist aber auch so, dass ich einfach Zeit für andere Projekte brauche.
Welche Projekte zum Beispiel?
Ein oder zwei Tage nachdem ich die für mich letzte „Tatort“-Folge abgedreht hatte, habe ich in Budapest für den Streamingdienst Disney+ gedreht. Die Serie „Vienna Games“ über den Wiener Kongress, in der ich eine schöne, skurrile Rolle mit 17 Drehtagen hatte. Da muss ja Zeit frei und verfügbar sein. Manch schönes Projekt musste abgesagt werden. Hinzu kommt: Wenn du „Tatort“-Ermittler bist, kommst du für viele andere Rollen nicht in Betracht. Weil der „Tatort“ eine solche Medienpräsenz hat, dass Caster und Regisseure sagen: Das Publikum sieht ihn vielleicht doch als Kommissar.
Sie sagten eben, dass Sie spießige Sachen abgelehnt haben. Was meinen Sie damit?
Ein Beispiel für Spießigkeit ist das Moralisieren. Wenn Schauspieler in Ermittlerrollen bei Todesfällen und deren Aufklärung ihre Betroffenheit spielen und entsprechend empört und aggressiv, eben moralisierend den Verdächtigen oder die Verdächtige vernehmen. Das halte ich für falsch, kitschig und unprofessionell. Das andere Beispiel ist, wenn Ermittler Strecke machen müssen und Sätze sagen wie: „Versuchen Sie, sich an alles zu erinnern, denn jede Kleinigkeit kann wichtig sein. Hier meine Karte, falls Ihnen noch was einfällt.“ Diese Fertigbauteile des deutschen Fernsehkrimis habe ich, haben wir versucht zu vermeiden.
Ist das Ende von Borowski eine Zäsur für den Fernsehkrimi?
Es endet mit mir, dass man einen geborenen Kieler, meistens in Winterkleidung, mit einem Schal geschützt, in Strandnähe ermitteln sieht. Ich hätte gerne öfter im Sommer gedreht, ich hätte gerne ohne Cord-Anzug gedreht. Aber das war ein Wunsch der Redaktion. Ich hätte Borowski im Outfit gerne anders gehabt, weniger diese Ausstrahlung von „Ein Mann rennt in Hausschuhen auf die Straße“. Ob mit Borowski noch mehr endet? Müssen andere sagen. Ich weiß nur, was mich an der Figur interessiert hat.
Schießen Sie los…
Sein Interesse am Bösen, an der bösen Tat. Aber nicht aus einer moralischen Überlegenheit heraus, sondern aus der Gewissheit und Erfahrung, dass das Böse überall ist und auch in uns. Mehr oder weniger aktiv. Wenn man sich die Nachrichtenlage anschaut, muss ich nicht weiter begründen, dass das Böse überall wuchert und oft straffrei ausgeht. Damit sind wir aus dem bloßen Polizeifilm herausgetreten, weil es nicht nur darum geht, aufzuklären, sondern ein Interesse zu haben an dieser parallelen Welt, in der es zu einem Mord kommt.
Wenn Sie sich Ihre alten Tatort-Folgen anschauen, empfinden Sie die Filme als ein Stück Mentalitätsgeschichte?
Ja. Es entstand ganz schnell eine Geschichte der Sprache, der Schimpfwörter, der Gewaltanwendung, der Milieuschilderung, der Emotionsäußerung, kurz: eine Sozialgeschichte. Empörten wir uns noch vor 15 Jahren über diese oder jene Äußerung oder haben als Schauspieler eine starke Emotion erzählt, sollte man das heute in der Erzählung überspringen. Weil sich der Blick der Gesellschaft auf sich selber verändert, weil wir im Fernsehen genug gesehen haben und dem Zuschauer nicht alles wiederholt werden muss.
Die letzte Folge wurde auch Journalisten nur in einer gekürzten Fassung gezeigt, der Showdown bleibt bis zur Ausstrahlung ein Geheimnis. Darf man daraus schließen, dass es mit Borowski ein spektakuläres Ende nimmt?
Haha, netter Versuch! Aber natürlich dürfen Sie das daraus schließen, auf jeden Fall.
Am Anfang war Borowski ein ziemlicher Stinkstiefel, der seinen ersten Auftritt ja nicht etwa im Tatort hatte, sondern in der Krimireihe „Stahlnetz“. Wieso haben Sie ihn so angelegt?
Ich habe ihn ja gar nicht selber so angelegt: Er war im Drehbuch zu „Stahlnetz“ als Lonely Wolf angelegt, sozial inkompetent, mürrisch, einsilbig, und dann wurde ich besetzt. Dann kam mein Vorschlag, einen „Tatort“ in Kiel zu machen, ob das nicht was wäre für den norddeutschen Raum: die Meere, die Wolken, die Alleen, die Schiffe. Okay, machen wir, aber es müsste Klaus Borowski aus dem „Stahlnetz“ mit diesem Charakter übernommen werden. Durch dieses Nicht-Teamfähige kam notwendigerweise Polizeipsychologin Frieda Jung mit ins Spiel, gespielt von Maren Eggert, die ihn therapierte. Das hat diese Figur verändert.
Sie waren an der Entwicklung des Abschiedsfalls beteiligt. Warum ist es ein Fall um einen frauenhassenden Psychopathen geworden, einen modernen Norman Bates?
Das wurde intensiv diskutiert. Es war eine Idee unseres Headautors Sascha Arango, der in all den Jahren immer wieder versucht hat, eine Poesie des Alltags, eine Schönheit des Schrecklichen hineinzubringen. Alle seine Geschichten haben eine pathologische Figur, zum Beispiel „Der stille Gast“ mit Lars Eidinger. Es ist immer wieder die Geschichte des Serientäters, der explodiert, wenn ein Triggermoment eintritt, die uns über alle Maßen fasziniert. Und von der wir alle in homöopathischen Dosen etwas in uns haben. Wir werden von einem Unbewussten gesteuert, was in qualvollen Situationen stärker ist als unsere Vernunft. Insofern ist das ein Klassiker.
Waren die Dreharbeiten zum letzten Fall sehr emotional?
Das wollte ich nicht. Ich habe mich fokussiert. Aber als ich nach Abschluss der Dreharbeiten durch Kiel fuhr, stand an verschiedenen elektronischen Anzeigetafeln: „Vielen Dank, Borowski“. Kiel hat sich auf diese Weise verabschiedet. Da bin ich mit meinem Auto auf einen Supermarkt-Parkplatz gefahren, um mir das für einen Moment in Ruhe anzuschauen, saß da einen Moment allein und dachte an die Zeit, aber nein, nicht sentimental.
Sie sind offenbar kein sentimentaler Typ…
Ich versuch‘s nicht zu sein, ich lebe im Augenblick. Und überdies: Abschiede gibt es nach jedem Film, und das ist das Glück, die Karawane zieht weiter, Aufbruch, die nächste Aufgabe kommt, der nächste Film, die nächste Lesung. Im letzten Sommer las ich Ustinovs Text zu „Karneval der Tiere“, mit Alice Lang und Lang Lang. Sie waren die Solisten an zwei Flügeln, dazu musizierte das Schleswig-Holstein-Musikfestival-Orchester. Das sind so intensive Projekte, da bleibt keine Zeit für lange Abschiede.
Haben Sie nicht wenigstens ein Andenken mitgenommen?
Ich habe nichts mitgenommen. Ich glaube man hat mir sogar etwas gegeben, die Schlussklappe, aber ich fürchte, ich habe sie liegenlassen.

© Sven Hoppe
Axel Milberg
Zur Person
Axel Milberg kam 1956 in Kiel zur Welt, er absolvierte eine Schauspielausbildung in München und begann seine TV-Karriere in den 80er Jahren mit Auftritten in Serien wie „Derrick“ – zum Durchbruch verhalf ihm 1995 die Kino-Komödie „Nach Fünf im Urwald“.
Seit 2003 ermittelte er als Klaus Borowski im „Tatort“ in seiner Heimatstadt Kiel. Populär ist Milberg aber nicht nur als kauziger Kommissar, sondern auch als Film-Ehemann von Andrea Sawatzki in der „Familie Bundschuh“-Reihe des ZDF.
2019 veröffentlichte Milberg seinen Debütroman „Düsternbrook“, in dem er seine Kindheit in Kiel verarbeitet. Der 68-Jährige ist mit der Künstlerin Judith Milberg verheiratet, das Paar hat einen gemeinsamen Sohn und lebt in München.
„Abschiede gibt es nach jedem Film, und das ist das Glück, die Karawane zieht weiter, Aufbruch, die nächste Aufgabe kommt, der nächste Film, die nächste Lesung.“
Axel Milberg, Schauspieler

© Markus Scholz