Christiane Paul über Überwachung und die Herausforderungen des modernen Lebens

Christiane Paul über Überwachung und die Herausforderungen des modernen Lebens

In der Serie „Concordia – Tödliche Utopie“ spielt Christiane Paul die Chefin einer überwachten Stadt, in der Künstliche Intelligenz Verbrechen verhindern soll. Doch ein Mord bringt die scheinbare Utopie ins Wanken.

„Ich bin wahnsinnig konservativ“

Interview: Christiane Paul über die dystopische Serie „Concordia“ und das stressige Leben in Berlin

Frau Paul, in der Serie „Concordia“ spielen Sie Juliane Ericksen, die Chefin einer utopischen Stadt, in der Künstliche Intelligenz alles und jeden lückenlos überwacht, um ein friedliches Zusammenleben zu sichern. Würden Sie dort leben wollen?

Ja, ich glaube schon. Das Gesellschaftskonzept von Concordia finde ich gut, weil es eine Stadt ist, in der man sich mit den wichtigen Themen unserer Zeit auseinandersetzt – mit Klimawandel, sozialer Gleichheit, gerechten Bildungschancen. Natürlich muss man sich fragen, ob man dafür die totale Überwachung in Kauf nehmen will. Man darf aber nicht so naiv sein zu vergessen, dass wir schon jetzt ganz viel Überwachung haben, dass wir gesehen werden, dass uns zugehört wird, dass unsere Daten bei jeder Suchanfrage, die wir bei Google starten, gespeichert und verarbeitet werden.

Sie selber leben in Berlin. Wie wohl fühlen Sie sich dort?

Berlin hat in den letzten zehn Jahren große Veränderungen erlebt. Die Mieten sind wahnsinnig gestiegen, die Einkünfte aber nicht dementsprechend. Wir haben mit Integration zu tun, mit mehr Obdachlosigkeit, mit Drogen. Ich habe das Gefühl, dass der Stadt ein Konzept für die Zukunft fehlt. Die Städte werden in Zeiten des Klimawandels heißer, wir müssen sie begrünen. Die Transportwege müssen kürzer werden, die Energieversorgung klimaneutral. Das muss Berlin jetzt angehen, um auch in Zukunft lebenswert zu sein.

Denken Sie darüber nach, aus Berlin wegzuziehen?

Das ist ein Gedanke, mit dem ich hin und wieder spiele, dass wir mal rausziehen aufs Land. Gerade wenn es mal wieder so heiß und die Stadt voll ist. Aber es hat sich noch nicht ergeben. Wenn man Kinder, eine Familie hat, ist man ja auch nicht ganz so flexibel, und außerdem liebe ich das kulturelle Leben in Berlin.

Warum gibt es zurzeit so viele Filme und Serien über utopische Gesellschaften? Träumen wir uns angesichts der vielen aktuellen Krisen in eine andere Welt?

Das kann schon sein. Ich glaube, es gibt da zwei verschiedene Wege. Es gibt einerseits die Dystopien, wobei ich sagen muss, dass ich solchen Filmen unwillkürlich aus dem Weg gehe, weil mir diese negativen Gesellschaftsentwürfe Angst machen. Und es gibt andererseits eine Rückwärtsbewegung, Filme und Serien, die in einer vermeintlich guten alten Zeit spielen, in der alles super war, so dass man sich als Zuschauer mal für einen kurzen Moment ausruhen kann. Die Serie „Stranger Things“ ist das beste Beispiel: Das ist ein Eskapismus in die Achtziger, als es noch Ressourcen ohne Ende zu geben schien, der Klimawandel kein Thema war, gerade mal kein Krieg herrschte – die goldenen Zeiten, als es scheinbar keine Probleme gab.

Künstliche Intelligenz ist ein Thema, das uns alle derzeit beschäftigt. Macht Ihnen die Technik mehr Angst oder mehr Mut?

Eher Angst – weil ich grundsätzlich eher ein Pessimist bin. Ich bin leider auch wahnsinnig konservativ und möchte bloß keine Veränderung. Vielleicht weil so viel in meinem Leben passiert, dass ich kaum hinterherkomme. Aber ich sehe die Sache auch pragmatisch, wir können den Siegeszug der Künstlichen Intelligenz ja nicht mehr verhindern, wir müssen jetzt darüber nachdenken, wie wir die Veränderungen begrenzen und regulieren. Was mir am meisten Sorge macht ist die große Einflussnahme auf die Politik, das Herstellen von Deep Fakes und Fake News durch KI. Wir können doch heute gar nicht mehr unterscheiden, ob ein Bild eine Wahrheit zeigt oder eine Fälschung ist, und so etwas kann Wahlen entscheiden.

Bedroht die KI auch den Schauspielberuf?

Das bezweifle ich. Die Leute haben die Sehnsucht nach etwas Realem, das wirklich da ist, was lebt. Und das wird nie weggehen. Ich glaube an das Menschsein. Wenn ich selber mal einen Animationsfilm sehe, freue ich mich, wenn ich danach wieder einen echten Schauspieler sehe, der echte Reaktionen zeigt, in denen ich meine eigenen Empfindungen spiegeln kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das durch etwas Künstliches ersetzt werden kann.

Die neue Serie „Concordia“ wurde überwiegend auf Englisch gedreht. Wie war das für Sie?

Das kann man schaffen. Ich habe in den vergangenen Jahren relativ viel auf Englisch gearbeitet. Von 2021 bis 2022 habe ich für das amerikanische Network CBS zum Beispiel die Serie „FBI: International“ gedreht.

War der „International Emmy“, den Sie 2016 für den Film „Unterm Radar“ bekommen haben, in dieser Hinsicht ein Türöffner?

Der „International Emmy“ wird tatsächlich wahrgenommen, auch wenn es noch mal was anderes ist als der reguläre Emmy. Aber der Preis hat vor allem mir selber eine innere Sicherheit gegeben, das Gefühl, dass man gesehen wird, dass das, was ich mache, irgendwie okay ist. Die Auszeichnung hat schon eine Relevanz und hat auf jeden Fall eine Bedeutung gehabt, auch fürs internationale Arbeiten. Kurz danach habe ich die amerikanische Serie „Counterpart“ gemacht, und so ging das immer weiter, und als nächstes drehe ich „Hijack“ für AppleTV+, wir sind gerade mittendrin.

Als welcher Typ werden Sie im Ausland besetzt?

Es ist tatsächlich ein bisschen anders als in Deutschland. Ausländische Produktionen haben eine andere Sicht auf deutsche Frauenfiguren, als wir die von innen heraus haben. „FBI: International“ zum Beispiel war als Serie eher konventionell, aber meine Rolle war einfach eine coole Europol-Agentin, klar, smart, humorvoll, durchsetzungsfähig. Es gibt generell eine große Wertschätzung für Deutschland im Ausland, weil das Land eine politische und wirtschaftliche Macht ist – und das überträgt sich ein bisschen auf die Figuren, so mein Gefühl. In „Hijack“ mit Idris Elba ist meine Figur auch in einer Führungsposition, aber auf eine gute Art – nicht hysterisch oder so. Ich mag das.

Ihre Serienfigur in „Concordia“ ist reichlich ambivalent…

Das ist eine total vielschichtige Figur, und ja, auf jeden Fall ambivalent. Eine Frau in einer Führungsposition, die so agiert, wie in Serien früher ein Mann agiert hätte. Ruhig, klar. Und bei der man nicht weiß, wo sie eigentlich steht. Das fand ich ziemlich spannend, die Juliane war deshalb ein Glücksfall für mich.

Sie sind Anfang des Jahres 50 Jahre alt geworden. Haben Sie aus diesem Anlass eine persönliche Bilanz gezogen?

Ich mache das hin und wieder, unabhängig von Geburtstagen – das ist eigentlich ganz schön. Man muss ab und zu Bilanz ziehen, weil die Midlife-Crisis auf jeden Fall kommt, ob man will oder nicht, das ist physiologisch. Deswegen gucke ich ganz gerne, wo ich stehe im Leben, was ich alles erleben durfte und wofür ich dankbar sein kann. (yvo/vk)

Juliane Ericksen (Christiane Paul) hat die Modellstadt Concordia vor knapp 20 Jahren gegründet.

© Fabio Lovino / Intaglio Films Gm

Juliane Ericksen (Christiane Paul) hat die Modellstadt Concordia vor knapp 20 Jahren gegründet.

Von links: Noah Ericksen (Steven Sowah), Juliane Ericksen (Christiane Paul), Thea Ryan (Ruth Bradley) und Isabelle Larsson (Nanna Blondell); Sie müssen herausfinden, wie es in Concordia zu einem Mord kommen konnte.

© Fabio Lovino / Intaglio Films Gm

Von links: Noah Ericksen (Steven Sowah), Juliane Ericksen (Christiane Paul), Thea Ryan (Ruth Bradley) und Isabelle Larsson (Nanna Blondell); Sie müssen herausfinden, wie es in Concordia zu einem Mord kommen konnte.

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Erstellt:
16.10.2024, 20:40 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 21sec

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