Das Marcks-Haus in Bremen zeigt die Skulpturen von Anna Franziska Schwarzbach

Das Marcks-Haus in Bremen zeigt die Skulpturen von Anna Franziska Schwarzbach

Geschundene Körper. Eine Verletzung hier, ein fehlender Arm dort. Die Eisen-Figuren, die sich im Marcks-Haus versammeln, sind vom Leben gezeichnet. Auch ihrer Erfinderin, der Bildhauerin Anna Franziska Schwarzbach, hat das Leben einiges abverlangt.

In Eisen gegossene Geschichten

Das Gerhard-Marcks-Haus in Bremen zeigt die Skulpturen von Anna Franziska Schwarzbach

Kaum ein Kunstexperte im Westen kennt Anna Franziska Schwarzbach aus dem Osten. Dabei ist die 75-Jährige eine der wichtigsten figürlichen Bildhauerinnen in Deutschland. Findet zumindest Arie Hartog, der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses. Gänzlich unbekannt ist die Künstlerin nicht, doch sie hat sich Nischen gesucht - unter anderem die Medaillenkunst und Glockenreliefs - , die von der breiteren Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen werden. Beides spielt aber in der großartigen Ausstellung in Bremen kaum eine Rolle.

Denn Kuratorin Veronika Wiegartz und die Künstlerin konzentrieren sich nur auf einen Aspekt in dem vielfältigen Werk dieser Bildhauerin: den Eisenguss. Der Titel der Schau „Alles Eisen“ ist Programm. Der Eisenkunstguss, vor allem im Klassizismus populär, ist eine überaus heikle Technik. Anders als Bronze hat Eisen eine höhere Schmelztemperatur und verliert schneller seine Fließtemperatur. Fehlgüsse sind da keine Seltenheit. Doch die haben ihre eigene Ästhetik wie die 50 kleinen Figuren eines knienden Königs beweisen, geplant als Sonderedition zur Rettung einer Gießerei. Sie kamen alle ohne Arm zur Welt, bis die Künstlerin auf die Idee kam, den Gusskasten anzuwinkeln, so dass das Eisen besser fließen konnte.

Gussfehler und Sandspuren lässt die Künstlerin stehen

Gerade solche Tücken sind es, die Schwarzbach interessieren. Sie nutzt den Guss mit seiner schroffen Oberfläche, um die Verletzlichkeit und Versehrtheit ihrer Figuren zu unterstreichen. Sie modelliert ihre Figuren zunächst in Ton. Danach entstehen Wachsmodelle, in die das Eisen gegossen wird. Dabei setzt die Künstlerin auf das Nicht-Perfekte, das Brüchige. Deshalb lässt sie Gussfehler stehen, wenn sich Sandspuren abzeichnen, um so besser.

Mal geschunden, mal gestrauchelt, mal mit Löchern im Bauch: so präsentieren sich ihre Gestalten. Zwei hagere, kniende Gestalten, die Oberfläche rau - das ist die „Bettlerin und Tod“ (1991). Oder sieben Figürchen auf hohen Stelen, alles Mitglieder der kleinwüchsigen Familie Ovitz, die der KZ-Arzt Mengele für Menschenversuche missbrauchte. Aus Kopf und Körper ragen Metallreste vom Produktionsprozess, die die Misere der Figuren verstärken. Wer da kein Mitleid empfindet, muss ein Herz aus Stein haben.

Schwarzbach sei eine Bildhauerin, die sich immer mit den Menschen beschäftige, so die Kuratorin. „Sie bringt ihren Figuren eine große Empathie entgegen, identifiziert sich mit ihnen. Sie arbeitet sich an den Geschichten ab, die hinter den Gestalten stecken.“ Anders als Gerhard Marcks, der Namensgeber des Museums, geht es ihr nicht in erster Linie um die Form, sondern um die Geschichte, will sie das Wesen der Menschen einfangen, ob es sich nun Alexander Puschkin, Erich Mühsam, Lise Meitner, Schiller, Goethe oder die Familie Ovitz handelt. Beethoven ging ihr nicht mehr aus dem Kopf, nachdem sie eine Biografie über ihn gelesen hatte. „Da musste ich ihn mit den Händen kneten“, sagt sie.

In der DDR hatte sie viel Zeit zum Nachdenken

Anna Franziska Schwarzbach, die Tochter eines Bildhauers, studierte erst Architektur, dann Kunst in Ostberlin. Sie kam auf den Eisenguss, weil sie in der DDR nur selten in Bronze arbeiten konnte. Bronze war staatlichen Aufträgen vorbehalten und die konnte die Künstlerin immer weniger ergattern, nachdem ihr erster Mann in die Bundesrepublik übergesiedelt war und sie selbst einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Den zog sie aber wieder zurück. Dennoch kann sie der DDR auch im Nachhinein noch Gutes abgewinnen. Damals hatte sie viel Zeit über die eigene Arbeit nachzudenken. „Lange Weile“ nennt sie das. Und so heißt auch eine Skulptur, die mit ihren langgezogenen Gliedern an Alberto Giacometti erinnert und mit aufgestütztem Arm in die Ferne blickt.

Wer so viel Muße zum Nachdenken hat, kommt auch auf die Idee, die eine oder andere Figur in anderen Zusammenhängen wiederzuverwenden. „Ihre Werke sind nie abgeschlossen, sie vergrößert oder verkleinert sie“, sagt die Kuratorin. So modellierte sie zu dem Köpfchen ihrer Tochter sehr viel später einen mädchenhaften Körper. Die Freifrau von Löwendal, die vor fast 200 Jahren einen Hochofen in Lauchhammer in der Niederlausitz errichten ließ, gibt es sowohl als Büste als auch als Medaille.

Dass Schwarzenbecks Figuren manchmal Collagen sind, wird erst beim genauen Hinsehen deutlich. So hat sie in ihrer Porträtbüste der Bauhaus-Designerin Marianne Brandt - sie schuf die ikonische Teekanne - eine Ofenklappe eingebaut. Die große Büste, die die Besucher am Eingang begrüßt und verabschiedet, schaut stur geradeaus zum Wilhelm-Wagenfeld-Haus auf der anderen Straßenseite. Aus gutem Grund. Marianne Brandt arbeitete einst zusammen mit Wagenfeld in der Metallwerkstatt des Bauhauses. In Bremen sind die ehemaligen Bauhaus-Kollegen nun fast wieder vereint.

Mal liegend in die Ferne blickend, mal vorwärtsschreitend, mal hockend: So präsentieren sich die Gestalten von Anna Franziska Schwarzbach in der Bremer Ausstellung.

© Sandra Beckefeldt

Mal liegend in die Ferne blickend, mal vorwärtsschreitend, mal hockend: So präsentieren sich die Gestalten von Anna Franziska Schwarzbach in der Bremer Ausstellung.

Auf einen Blick

Was: Anna Franziska Schwarzbach „Alles Eisen“

Wo: Gerhard-Marcks-Haus, Am Wall 206 in Bremen.

Wann: Bis zum 23. Februar. Die Schau ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr, geöffnet.

Zum Artikel

Erstellt:
16.12.2024, 19:36 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 26sec

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Orte