Das Theaterstück „Reibholz“ erzählt vom Leben der Binnenschiffer

Das Theaterstück „Reibholz“ erzählt vom Leben der Binnenschiffer

Abrakadabra. Das platte Land um den Bahnhof in Geestenseth verwandelt sich in einen Binnenhafen. Wie das? Fantasie ist da gefragt. Und die hat das Ensemble des Letzten Kleinods reichlich. Also Leinen los fürs dokumentarische Theaterstück „Reibholz“.

Das harte Leben der Binnenschiffer

Dokumentarisches Theaterstück „Reibholz“ erzählt von lustigen und ernsten Erlebnissen an Bord

Die knapp 90-minütige Reise des Letzten Kleinods beginnt an Land, besser gesagt vor den Güterwaggons, die als Binnenschiffe fungieren. Die sechs Schiffsführer, gespielt von Katharina Dunkel, Richard Gonlag, Sophie Hahn, Wojciech Stachura, Andreas Uehlein und Margarita Wiesner, erzählen, dass sie eigentlich gar nicht anders konnten, als Binnenschiffer zu werden, denn das war ein Beruf, der sich über die Generationen vererbte. „Meine Mutter ist eine Schifferstochter und mein Opa fährt jetzt auch noch. Mein Bruder ist auch Kapitän und Onkel und Tante auch. Von meines Opas Seite fahren fast alle“, spricht der Niederländer Jan (Gonlag) für viele.

Das Material spielt eine wichtige Rolle

Die Schiffsführer wissen natürlich auch, was ein „Reibholz“ ist, das dem neuesten Kleinod-Streich den Titel gibt. Das sind hölzerne Fender, Stoßfänger zum Schutz der Schiffe an der Kaje. „Damit da keine Beule entsteht oder das Schiff Farbe abschürft“, so erklärt es Schiffsführer Henning (Dunkel) den Landratten. Und die staunen über das authentische Flair. Nicht nur, dass die Schauspieler orangefarbene Arbeitsjacken mit der Aufschrift Niedersachsen Ports tragen (Kostüme: Miriam Ebbing), auch die Waggons haben das geladen, was die Binnenschiffe oft über die Kanäle und Flüsse transportieren: Zellulose, Mais, Holz, Salz, Reifen und Bier.

Wie bereits bei vielen Vorgängerstücken erprobt, spielt das Material bei dem neuesten Kleinod-Streich ebenfalls eine entscheidende Rolle, ist das wichtigste Requisit (Bühne: Andrea Künemund). Im Laufe der einzelnen Szenen bekommt die Ladung verschiedene Rollen zugewiesen. Eine lange Papierbahn verwandelt sich in einen Schlauch, einen Besen, mit dem Gonlag den Boden fegt. Eine Schaufel wird zum Anker, ein Förderband zum Schiff, mehrere Reifen zum Kochtopf. Selbst aus Bierkästen lässt sich, wie Andreas Uehlein beweist, ein Binnenschiff bauen.

Das Thema Binnenschifffahrt treibt Siemssen seit dem vergangenen Sommer um. Da machte der ozeanblaue Zug Halt am Binnenhafen in Braunschweig, wo das Kleinod das Stück „Hotel Einheit“ spielte. „Wir standen direkt an der Kaje und ich habe die Binnenschiffer beobachtet, die da höchstens drei oder vier Stunden anlegten.“ Siemssen begann zu recherchieren und interviewte etliche Binnenschiffer.

Spannend bis zur letzten Minute

Aus den Berichten der Zeitzeugen formte Siemssen einen dichten Theatertext, den er spannend bis zur letzten Minute inszeniert. Szenen draußen und drinnen wechseln sich ab. Die persönlich gefärbten Monologe im Inneren werden immer wieder durch Ensemble-Szenen unterbrochen. Die drehen sich ums Allgemeine, um schwierige und nicht so schwierigen Anlege-Manöver, um marode Wasserstraßen, um den Zusammenhalt und um Streitigkeiten an Bord. Der Klimawandel macht allen zu schaffen, denn die Kanäle und Flüsse führen mal zu viel, mal zu wenig Wasser.

Komische, anrührende Momente und solche, bei denen einem der Atem stockt, wechseln sich ab in dieser sehenswerten Aufführung. Auf jedem Schiff passieren Unfälle, mal richtig schlimm, wenn etwa ein Kleinkind ertrinkt, mal etwas weniger schlimm, wenn sich ein Matrose die Hand zerquetscht, weil die zwischen Reibholz und Schiffswand gerät. Oder wenn durch Unachtsamkeit das Steuerhaus mit einer Brücke kollidiert. Eine Ahnung, wie hart das Leben an Bord ist, bekommt das Publikum, wenn Wojciech Stachura mit langen Holzbrettern hantiert und gleichzeitig seinen Text spricht. Wie staubig es wird, erfahren die Zuschauer, wenn Margarita Wiesner Mais übers Förderband rollen lässt.

Anrührende Geschichten der Kinder

Anrührend sind die Geschichten der Kinder, die ihre ersten Lebensjahre an Bord verbringen, wo sie mit einer Wäscheleine um den Bauch Schwimmen lernen oder im Raps herumtollen, wahrscheinlich mit der gleichen Spielfreude, mit der Sophie Hahn mit den Blechwannen und -eimern hantiert.

Wenn Katharina Dunkels Henning sich daran erinnert, wie er in der DDR Kartoffeln und Tomaten von den Feldern klaute und das mit „war ja volkseigen“ begründet, ist das ebenso komisch wie die Widerworte eines Schiffsführers, der dem Inspektor der Schifffahrtskommission, der sich über sein altes Schiff mokiert, mit den Worten Paroli bietet: „Hast du heute Morgen in den Spiegel geguckt? Das Beste bei deinem Maul ist auch weg.“

Die Landratten tauchen ein in eine fremde Welt, in der die Binnenschiffer mit Nachwuchssorgen und einer maroden Infrastruktur kämpfen. Kein Wunder, dass an Bord auch mal zu viel getrunken wird. Einer der Protagonisten setzte sein Schiff mal unterhalb von Brake auf dem Strand. Gott sei Dank macht ihm das die Schauspieler-Crew nicht nach. Die Inszenierung läuft an keiner Stelle auf Grund. Im Gegenteil: Sie fährt volle Kraft voraus in Richtung Publikumsgunst.

Eine Frau hockt in einem Häufchen Mais, eine Szene aus "Reibholz", dem neuen Stück des Letzten Kleinods.

© Siemssen

Margarita Wiesner führt dem Publikum vor, wie staubig es beim Be- und Entladen von Mais werden kann.

Auf einen Blick

Was: „Reibholz“, Eisenbahntheater über Binnenschifffahrt

Wo und wann: Bahnhof Geestenseth bis zum 18. Mai, jeweils um 19 Uhr. Binnenhafen Brake vom 21. (ausverkauft) bis 24. Mai. Weitere Aufführungen in Hannover, Braunschweig und Haldensleben. Die Vorstellung dauert etwa 90 Minuten und ist nicht barrierefrei. Bitte wetterfest anziehen.

Karten: Für 30 (ermäßigt 25) Euro unter www.das-letzte-kleinod.de

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Erstellt:
15.05.2025, 14:54 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 27sec

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