In Worpswede widmen sich drei Museen dem Universalkünstler Bernhard Hoetger

In Worpswede widmen sich drei Museen dem Universalkünstler Bernhard Hoetger

Ein Rosinenpicker. Wie ein Schwamm saugt er alles auf. Nordische Mythen hier, ägyptische Formensprache da. Bernhard Hoetger findet Passendes sogar bei den Nationalsozialisten. Das macht ihn zu einem Künstler mit Licht- und Schattenseiten.

Vom Montmartre nach Worpswede

Zum 150. Geburtstag von Berhard Hoetger widmen sich drei Museen dem Universalkünstler

Viele Besucher machen es Bernhard Hoetger nach, picken sich die größten Rosinen heraus. Wenn sie durch Worpswede schlendern, kommen sie an seinen Bauten und Skulpturen vorbei, die bis heute das Dorfbild prägen: „Das Café Verrückt“, der Niedersachsenstein, die Große Kunstschau, das Philine-Vogeler-Haus, das Grabmal für Paula Modersohn-Becker, die Skulpturen im Garten des Diedrichs-Hofes und das Kreative Haus.

Wer war dieser Mann? Seine Gebäude - nicht zu vergessen die Böttcherstraße in Bremen - kennen alle, aber kaum jemand weiß etwas über den Baumeister. Matthias Grewing, der den Film „Bernhard Hoetger - Vom Aufstieg und Fall eines Künstlers“ produziert, findet: „Er war in Worpswede einfach immer da. Doch was hat er uns hinterlassen?“

Antworten auf diese Frage gibt es in Worpswede gleich in drei Museen: im Barkenhoff, in der Großen Kunstschau und in der Kunsthalle. Der Grund für diesen großen Aufschlag unter dem Titel „Zwischen den Welten“: Bernhard Hoetger wäre am 4. Mai 150 Jahre alt geworden. Doch die drei Häuser richten ihm keine Riesen-Geburtstagsparty aus, sondern nähern sich dem Universalkünstler aus unterschiedlichen Perspektiven. Im Barkenhoff steht die kurze, aber intensive Freundschaft zwischen Hoetger und Vogeler im Mittelpunkt, die Große Kunstschau beleuchtet „Licht und Schatten“ in seinem Leben und Werk und in der Kunsthalle gibt es den Maler und Grafiker zu entdecken.

Büste von Lee Hoetger begrüßt die Besucher

„Wir haben ja in unserem Leben die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen mehrmals erlebt“, so fasst Hoetgers Frau Lee die gemeinsame Zeit in einem Brief 1948 zusammen. Ihre Büste begrüßt die Besucher im Barkenhoff, geschaffen hat sie ihr Ehemann 1917 in seiner ägyptischen Phase. Lee ähnelt fast einer Pharaonin mit dem leicht hochgereckten Kinn und dem fein ziselierten Haar.

Kennengelernt hat Hoetger seine Frau in Paris, wo der gelernte Steinmetz wie ein Schwamm all die künstlerischen Einflüsse um sich herum aufsaugt. Er verkehrt mit den Größen der Zeichenkunst auf dem Montmartre, unter anderem mit Picasso und Matisse. Obwohl Hoetgers Anfänge in Paris hart sind, er hat kaum Geld, verlässt ihn nie das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Seine Motive findet er vor der Haustür. Den Montmartre bevölkern die Armen, die Ausgestoßenen. Wie seine Freunde, die Zeichner, will auch der Deutsche das soziale Elend festhalten. Sein „Bettler“ setzt auf eine realistische Darstellung, die bewegte Oberfläche erinnert an Auguste Rodin, den allseits verehrten Übervater der Bildhauer.

Seine Figuren werden monumentaler

Doch bald entdeckt Hoetger seine ureigene Bildsprache, die Oberflächen beruhigen sich, die Figuren werden monumentaler, blockhafter. Beim chronologischen Rundgang in der Großen Kunstschau lässt sich dieser Stilwandel nachvollziehen.

Hoetger avanciert neben Aristide Maillol, seinem Kollegen und Rivalen, zu einem angesagten Bildhauer der damaligen Zeit, gehört zur „europäischen Avantgarde“, wie es Kuratorin Kronenberger-Hüffer formuliert. Und macht eine zweite folgenschwere Bekanntschaft: Paula Modersohn-Becker. Hoetger erinnert sich so: In ihrem Atelier „erlebte ich still und ergriffen ein Wunder. Sie hing an meinen Lippen. Ich konnte ihr nur sagen: ,Es sind alles große Werke, bleiben Sie sie selbst und geben Sie den Besuch der Schule auf.‘ Sie war glücklich erlöst und schrieb mir am folgenden Tage einen rührenden Brief.“

Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, so groß, dass Hoetger sogar nach Worpswede zieht. Er schwärmt: „Ich wohne in einer fabelhaften Gegend - alles Ebene - Heide, Wasser und Wiesen, mitten ein herrlicher Berg mit Kiefernbestand.“ Die Faszination für die Moorgegend ist so stark, dass er sogar eine neue Ausdrucksform für sich entdeckt: die Malerei. In der Kunsthalle sind seine Bilder zu sehen, mit dickem Farbauftrag modelliert er nahezu seine Motive. Seine Skulpturen führen nun vor Augen, wie sehr das harte Leben die Gesichter der Moorbauern zeichnet.

Enge Freundschaft mit Heinrich Vogeler

Und er findet für kurze Zeit noch einen weiteren neuen Freund: Heinrich Vogeler. Die beiden Künstler arbeiten zeitweise beide für den Keksfabrikanten Bahlsen. Hoetger plant am Rande von Hannover eine riesige Fabrik- und Wohnanlage, die TET-Stadt, die altägyptische Hieroglyphe für Unvergänglichkeit dient dem Butterkeks als Signet. Die TET-Göttin in der Schau zeugt von dieser Zeit.

Sowohl Hoetger als auch Vogeler glauben an die Geburt des neuen Menschen, Hoetger modelliert ihn, Vogeler hält ihn auf Gemälden fest. Doch in ihren Weltanschauungen stimmen sie immer weniger überein. „Hier in dieser Landschaft, in der Heimat unserer Ahnen, liegt die schöpferische Kraft zur Erneuerung Deutschlands“, sagt Hoetger, während der einstige Jugendstil-Künstler sich zu den Kommunisten hingezogen fühlt. Für Vogeler wird die Ideologie wichtiger als die Kunst, während für Hoetger die Kunst immer an erster Stelle kommt. Er ist kein nationalsozialistischer Künstler, da kann er sich den braunen Herren noch so sehr andienen. „Rein formal war er Nazi“, findet Kurator Stefan Borchardt. „Er ist 1933 freiwillig in die Partei und die Reichskulturkammer eingetreten. Und er ist unfreiwillig 1938 aus beiden ausgeschlossen worden.“

Der Architekt arbeitet wie ein Bildhauer

Hoetgers Pech: Seine Architektur prägt den öffentlichen Raum. Seine Bauten lassen sich nicht verstecken, ziehen die Blicke auf sich. Denn sie sind mehr als ungewöhnlich. Der Baumeister, der nie Architektur studiert hat, arbeitet auch bei seinen Gebäuden wie ein Bildhauer. Seine Häuser gleichen begehbaren Skulpturen. Beim Café Worpswede, im Volksmund „Café verrückt“ genannt, verzichtet er auf die damals neu aufkommenden Schrauben und Nägel. Alle Balken der Fachwerkkonstruktion sind ganz altertümlich verzapft. Zudem liebt er das Unperfekte. Für die Mauern verwendet er nur Steine, die in der Ziegelei ausgemustert wurden und lässt sie unregelmäßig vermauern. Diese expressiven Fassaden sind den Nationalsozialisten nicht geheuer. Hitler schäumt auf dem Reichsparteitag 1936: Hoetgers Bauten seien „undefinierbare nordische Phrasen“ aus „irgendeinem sagenhaften atlantischen Kulturkreis. Der Nationalsozialismus lehnt diese Art von Böttcherstraßen-Kultur schärfstens ab.“

Der Künstler ist in der ganzen Welt zu Hause

Die Nachgeborenen arbeiten sich immer noch an diesem widersprüchlichen Geist ab. Bei Lichte besehen ist Hoetger alles andere als ein nationaler Künstler, er ist in der gesamten Welt zu Hause. Er pickt sich seine Rosinen sowohl aus dem Christentum, aus dem alten Ägypten als auch aus der nordischen Mythologie heraus.

Hell und Dunkel, Gut und Böse: Hoetger thematisiert immer wieder die Bedeutungskraft dieser Gegensatzpaare. In seiner 15-teiligen Keramikserie „Licht und Schatten“ stehen sich positive Eigenschaften wie Glaube und Hoffnung und negative wie Habgier und Wut gegenüber. Als 15. Majolika überragt eine weibliche Figur das Ensemble, die - auf einer Schattenfigur stehend - den Sieg des Lichts über das Dunkle symbolisiert.

Ist Hoetger ein Guter oder ein Böser? Die Leipziger Künstlerin Julia Kiehlmann meint: „Die Aufgabe besteht darin, sich selbst zu befragen. Was ist das Erbe dieser Zeit?“ Sie hat in der Rotunde einen Kreis aus kaputten Stühlen aufgebaut. „Es sind lauter Versehrte, die sich da in einer Therapiegruppe zusammengefunden haben“, sagt sie. Einer dieser Versehrten könnte Hoetger sein, der als Bildhauer abgemeldet, 1948 verarmt und depressiv mit 75 Jahren in der Schweiz stirbt.

Lee Hoetger begrüßt die Besucher im Barkenhoff, geschaffen hat ihr Ehemann diese Büste 1917 in seiner ägyptischen Phase.

© Jörg Sarbach/Worpsweder Museumsverbund

Lee Hoetger begrüßt die Besucher im Barkenhoff, geschaffen hat ihr Ehemann diese Büste 1917 in seiner ägyptischen Phase.

Hoetgers Faszination für die Moorgegend ist so stark, dass er sogar eine neue Ausdrucksform für sich entdeckt: die Malerei. Die „Worpsweder Landschaft“ malte er 1923/24.

© Jörg Sarbach/Worpsweder Museumsverbund

Hoetgers Faszination für die Moorgegend ist so stark, dass er sogar eine neue Ausdrucksform für sich entdeckt: die Malerei. Die „Worpsweder Landschaft“ malte er 1923/24.

Auf einen Blick

Was: Bernhard Hoetger: „Zwischen den Welten“

Wo: Barkenhoff in der Ostendorfer Straße 10, Große Kunstschau in der Lindenallee 5 und Kunsthalle in der Bergstraße 17 in Worpswede

Wann: Bis zum 3. November. Barkenhoff und Große Kunstschau sind täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, die Kunsthalle dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr.

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Erstellt:
18.03.2024, 12:06 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 49sec

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