Péri ist der Meister der Betonkunst
Die alte Frau ist nicht allein nach Bremen gekommen. Es begleiten sie „Peri’s People“, so der Titel der Ausstellung. Péris Leute wirken überaus sympathisch. Die Besucher im Gerhard-Marcks-Haus fühlen sich sofort zu ihnen hingezogen. Allein, zu zweit und in Gruppen erzählen sie vom Leben der einfachen Leute. Wir treffen auf Traurige und Vergnügte, auf alte Männer und junge Paare, auf Mütter mit ihren Kindern und Einzelgänger, auf ein schlafendes Mädchen und Musiker. Sie ziehen alle die Blicke auf sich. Warum bloß ist der Künstler, der so ausdrucksstarke Figuren erfand, vergessen?
Der gebürtige Ungar Peter László Péri (1899-1967), der Jude und Kommunist, der 1919 nach Berlin und dann 1933 nach London floh, hatte das Pech, nirgendwo dazuzugehören. Ein kommunistischer Bildhauer, der sich nicht für den sozialistischen Realismus interessierte, ein Künstler, der an der Figur festhielt, obwohl gerade in der Nachkriegszeit die Abstraktion angesagt war, passte nirgends so recht hin. Das wirkt bis heute nach. Arie Hartog, der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses, sagt: „Noch immer wird Kunstgeschichte vor allem nach nationalen Mustern geschrieben. Und Künstler, die sich quer durch Europa bewegen, fallen häufig durch das Raster.“
Zwei kleine Museen haben sich zusammengetan
Grund genug für das kleine Haus, dem Vergessenen eine Ausstellung auszurichten - zusammen mit dem Kunsthaus Dahlem in Berlin. Das ist nur möglich, weil die deutschen Museen anders als die britischen sich nicht ausschließlich selbst finanzieren müssen. „Obwohl sein Nachlass in Großbritannien liegt, scheuen die Museen dort eine Ausstellung“, weiß Hartog. „Es heißt, den kennt ja keiner, da kommen zu wenig Besucher.“
Schade für die Briten, ein Glücksfall für die Bremer. Denn im Marcks-Haus ist ein höchst eigensinniger Künstler zu entdecken, der für einige Jahre zu den fortschrittlichsten europäischen Bildhauern seiner Zeit gehörte. Kuratorin Veronika Wiegartz hat sowohl Arbeiten aus dem Früh- wie aus dem Spätwerk zusammengetragen. 80 Plastiken, Reliefs und Grafiken nehmen die Besucher mit auf eine Entdeckungsreise.
Die meisten Werke aus der Frühzeit zerstörten die Nazis, sie existieren bestenfalls noch auf Fotografien. Péri, der überzeugte Kommunist, stritt nach der Niederschlagung der Räterepublik in Ungarn in Berlin für eine bessere Welt. Mit seiner Kunst.
Herkömmliche Perspektive lehnte er ab
Er arbeitete als Karikaturist für die „Rote Fahne“ und fertigte Plakate an. Der Konstruktivismus, der von streng geometrischen Formen ausging, war sein Ding. Eine herkömmliche Perspektive lehnte er ab, alle Bildteile sollten gleichwertig nebeneinanderstehen. In Linolschnitten probiert er diese neue Bildsprache aus. Auch seine Architekturentwürfe atmen den Geist der Zeit, es sind visionäre Ideen für eine künftige Gesellschaft.
Doch um 1928 wendete er sich von der Geometrie ab und der Figur zu. Auf seinen Reliefs kippte er Szenen wie die Arbeiter auf einem Baugerüst, die wir von neusachlichen Fotografien kennen, von der Waagerechten in die Senkrechte. Und er entdeckte die frei stehende Figur. Anders als viele seiner Kollegen, die hübsche und sportliche Frauen erschufen, orientierte sich Péri an der oft unschönen Realität. Bei seiner „Sitzenden“ hängen die Brüste, sie hockt breitbeinig vor uns.
Natürlich ergriff der Kommunist Partei im Spanischen Bürgerkrieg. Seine überlebensgroße Plastik „Aid Spain“ (1937), aus Bochum angereist, zeigt ein Kind, das sich nach einem Bombenangriff ängstlich an seine Mutter klammert. Für die Opfer der deutschen Angriffe aus der Luft auf London fand er ebenfalls eindrückliche Bilder.
Modellieren am Küchentisch
Erst in England entwickelte Péri sich zu einem wahren Meister der Betonkunst. Da er sich anfangs kein Atelier leisten konnte, entstanden die Arbeiten zunächst am Küchentisch. „Es war ein schreckliches dreckiges Material“, so Hartog. Das der gelernte Steinmetz bewusst gewählt hatte. Denn er wollte mit einem „proletarischen“ Material arbeiten, Marmor und Bronze erschienen ihm zu bürgerlich. „Er hat eine Methode entwickelt, wie er Beton modellieren konnte“, weiß der Museumsdirektor. Der Bildhauer war stolz darauf, seine Kunst nannte er „pericrete“, eine Verbindung aus seinem Namen mit dem englischen Wort für Beton „concrete“. Seine Figuren wurden nun runder, vorher gestaltete er die Rückseite meist flach. So hat das sitzende Mädchen mit überkreuzten Beinen von 1936 endlich einen Hintern, der den Namen verdient.
Nach dem Krieg experimentierte Péri mit Polyesterharz und Glasfaser. Seine Menschlein scheinen wie eingefroren in der Bewegung, als hätte der Bildhauer sie mitten im Lauf gestoppt. Diese expressiven Figürchen zaubern einem ein Lächeln ins Gesicht. Selbst die Alte mit dem eingefallenen Mund scheint sich über diese Wiederentdeckung zu freuen.

© Beckefeldt/Marcks-Haus
Auf den Spanischen Bürgerkrieg reagierte Péri mit seiner Kunst. Diese überlebensgroße Mutter-Kind-Darstellung von 1937 war sein künstlerischer Appell die spanische Republik zu unterstützen.
Auf einen Blick
Was: „Péri’s People“
Wo: Gerhard-Marcks-Haus, Am Wall 208 in Bremen
Wann: Bis zum 2. Juni. Die Schau ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, donnerstags bis 21 Uhr. Am Karfreitag, Ostersonntag und -montag, Christi Himmelfahrt, Pfingstsonntag und -montag geöffnet.
Karten: 10 (ermäßigt 5) Euro

© Beckefeldt/Marcks-Haus
Mal winzig, mal groß: Péri experimentierte bei seinen Plastiken wie bei der Nackten (in der Mitte) mit unterschiedlichen Größen.