Es geht darum, die AfD zu vermeiden
Wie blickst du heute auf dein 20-jähriges Ich zurück, das das Lied „Hofgarten“ schrieb? Darin geht es extrem vulgär zu.
Ich würde ein Stück weit über ihn lächeln. Und mir ein paar Sorgen machen, wo das wohl hingeht mit dem Jungen. Ich wüsste auch überhaupt nicht, was der seinerseits von mir hielte. Aber ich hätte Vertrauen.
Inwiefern?
Abgesehen von „Hofgarten“ gab es damals schon einige gehaltvollere Songs von uns, die gezeigt haben, dass da jemand versucht, zu reflektieren, und sich umschaut, was los ist in der Welt. Aber das Lied war gerade wegen seiner Blödheit für uns interessant. In die gleiche Kerbe schlug ja auch „Eisgekühlter Bommerlunder“. Wir hatten uns bei diesen beiden Nummern vorgenommen, jedes Niveau zu unterbieten und die mit Abstand peinlichsten Texte zu bringen, das Schlechteste vom Schlechten. Und wir freuten uns über die Fassungslosigkeit der Leute, die das gehört haben: Das könnt ihr uns doch nicht ernsthaft als Song anbieten! Daran hatten wir Spaß.
In deinem neuen Buch „Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer - Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik“ (Piper Verlag) schreibst du über Gebrauchslyrik. Auf einer zweiten Ebene ist das aber auch eine Biografie: wie Du dich als Texter weiterentwickelt hast.
Ich hoffe, dass ich in meinen 45 Jahren als Texter handwerklich besser geworden bin. Das muss auch die Waffe gegen das Älterwerden und den körperlichen Verfall sein: dass man sich bei der Qualität der Gedanken immer noch steigern kann. Dass man sich textlich und musikalisch noch subtiler und differenzierter auszudrücken vermag. Vielleicht bedeutet das einen Vorteil, wenn man älter wird.
„Sie leben zu zweit in der Einsamkeit und vermissen sich dabei“, schreibst Du in dem Lied „Er denkt, sie denkt“. Das ist Gebrauchslyrik im Stile Erich Kästners. Fällt Dir das leicht?
Das Schreiben kann ein Kampf sein. Ich nehme das jedes Mal von Neuem wirklich ernst. Natürlich gibt es Themen, bei denen man sich über etwas lustig macht oder einen humorvollen Text aufs Papier bringt. Der ist dann auch mal aus dem Ärmel geschüttelt. Aber wenn es einem ernst ist, wenn man einen Kommentar zu den aktuellen Umständen bringen will, dann muss man sich jedes Wort gut überlegen. Und dann darf man auch länger über den Zeilen sitzen, wochen- und monatelang versuchen, das Optimum herauszuschleifen. In der jetzigen Zeit verspüre ich zum Beispiel das Bedürfnis, mich über die extremen Tendenzen zu äußern, die gerade politisch im Raum sind. Warum lassen sich so viele Menschen davon einfangen? Da noch mal Stellung zu beziehen nach all den Liedern, die wir zu dem Thema schon gemacht haben, ist nicht leicht und das darf dann auch mal ein Kampf sein. Ein solcher Text muss gelingen, sonst ist er nicht nur überflüssig, sondern kontraproduktiv.
Ich hoffe, dass ich in meinen 45 Jahren als Texter handwerklich besser geworden bin.
Bist du dabei, so etwas zu schreiben?
Nicht konkret. Aber bei mir ist das Bedürfnis hoch, etwas dazu zu sagen. Gleichzeitig ist gerade bei politischen Texten die Zeit so schnelllebig, dass man aufpassen muss, nicht vorbeizuschießen mit dem, was man sagt. Andererseits, ein Lied wie „Europa“ ist heute noch genauso aktuell wie vor zehn Jahren, als wir es geschrieben haben. An der Notlage der Flüchtlinge im Mittelmeer hat sich nichts getan.
Gibt es neuere Texte anderer Künstlerpersönlichkeiten, die dich beeindrucken?
Da gibt es jede Menge. Ich denke da zum Beispiel an den Song „Hurra die Welt geht unter“ von K.I.Z oder an die Antilopen Gang und ihr neues Album. Da sind viele gute Sachen drauf. Die gehen mit ihren Texten teilweise an die Schmerzgrenze. Eine ganz tolle Band, die bereit ist, ins Feuer zu gehen für ihre Gedanken. Oder Marteria mit seinem „Welt der Wunder“. Kein politisches Lied, aber unfassbar schön und ermutigend.
Du schreibst im Buch, dass dein Name bei manchen Leuten ein Trigger ist für Hasskommentare. Warum ist das so?
Tja, das muss man sich wohl erarbeiten.
Wie hast Du es geschafft?
Vielleicht einfach dadurch, dass ich mit manchen Aussagen polarisiere und oft eine feste Meinung habe.
Packen Dich solche Reaktionen?
Wir dürfen uns davon nicht einschüchtern lassen. Es ist heute oft so, dass durch die Sozialen Medien Mehrheiten generiert werden, die überhaupt nicht da sind, und auf diese Weise vorgegaukelt wird, dass eine große Empörung aus allen möglichen Richtungen kommt. Und wenn man der Sache auf den Grund geht, merkt man oft, dass es eigentlich nur zwei, drei Absender gibt, die es schaffen, den Eindruck zu erzeugen, als wäre es eine breite Meinung.
Obwohl Du viele Leute triggerst, gibst du Persönliches preis im neuen Buch. Zum Beispiel, dass Du betest.
Mir ist aufgefallen, dass ich in wirklich bedrohlichen Situationen in diesen Modus verfalle: „Lieber Gott, wenn es dich gibt, dann mach doch bitte dies oder jenes.“ Man möchte ja nichts unversucht lassen, um das Unglück abzuwenden. Es ist mir im Leben häufiger widerfahren, dass ich ein Stoßgebet losgelassen habe, wenn ich nicht wusste, was ich tun sollte. Und hin und wieder mal eine Kerze in der Kirche anzünden, kann ja auch nicht schaden.
Das ist ein Ausdruck von Zuversicht.
Ich glaube, dass es grundsätzlich guttut, mit Zuversicht durchs Leben zu gehen. Selbst wenn man einen schweren Schlag hinnehmen musste. Und auch wenn es so scheint, dass uns die Gerechtigkeit im Stich gelassen hat oder wir gegen Umstände kämpfen, die wir vielleicht nicht verdient haben.

© Rolf Vennenbernd
Bei Liedern wie „Hofgarten“ oder „Eisgekühlter Bommerlunder“ hatten sich die Toten Hosen vorgenommen, jedes Niveau zu unterbieten, berichtet Sänger Campino (Mitte) im Interview
Ich habe bei Dir eine Bewegung hin zur Stille wahrgenommen. Dazu gehört, dass Du im Kloster gewesen bist.
Das ist nun schon sehr lange her. Damals hatte ich noch Vorurteile, als ich dorthin eingeladen wurde. Das wird eine strenge Angelegenheit, dachte ich, die haben bestimmt keinen Humor. Bei meinem ersten Besuch durfte ich dann feststellen, dass die Mönche wesentlich offener im Gedankenspiel sind, worum es eigentlich beim Glauben geht. Ich habe den Eindruck, dass die Gemeindekirchen dem Papst gegenüber viel mehr die Haltung einer Filiale haben als die Klöster. Dort ist man viel selbstkritischer, und das fand ich interessant. Ein anderes Vorurteil von mir war, dass die Mönche völlig weltabgeschieden und für sich sind.
Das stimmt nicht?
Als ich 1996 das erste Mal da war, war ich überrascht, dass beim Mittagessen vorgelesen wurde. In der Mitte des Raums saß einer der Mönche und las aus einem Buch vor, während die anderen gespeist haben. Es ging um eine Frauenrechtlerin in Südamerika. Das hat mich damals beeindruckt. Es war eine aufgeschlossene und offene Atmosphäre. Trotzdem war es nicht so, dass ich aus dem Kloster nach Hause zurückgekehrt bin und dann all die Probleme nicht mehr gesehen hätte, die die Kirche heutzutage hat.
Hast Du Angst vor der nächsten Bundestagswahl?
Zurzeit frage ich mich eher: Bin ich bereit mitzuhelfen, dass wir mit einem akzeptablen Ergebnis da rauskommen? Kann ich es mir leisten, hier auf dem Sofa tatenlos sitzen zu bleiben? Oder möchte ich meine Reichweite nutzen und mithelfen, dass die Leute bei Sinnen bleiben?
Du hast das Gefühl, dass es darum geht, das Schlimmste zu vermeiden?
Es geht vor allem darum, die AfD zu vermeiden. Dass man fast erleichtert ist, wenn sie unter 20 Prozent bleibt, ist schon verrückt.
Campino