Die Totenklage eines guten Freundes
Oliver Peuker bringt den Dichter und die Malerin nicht zurück auf den Barkenhoff, wo sich Paula Modersohn-Becker und Rainer Maria Rilke im Spätsommer 1900 tatsächlich kennenlernten, sondern ins Strohballenhaus im Garten, dem perfekten Ort für eine Totenklage. Die mit Lehm verputzten Wände und der mit Rindenmulch bedeckte Boden sind das Gegenteil von dem prächtigen Jugendstilhaus, in dem Heinrich Vogeler einst residierte und seine Feste feierte.
Die Träume der Barkenhoff-Familie
Dort stand „König Heinrich“, wie die Worspweder Bauern einst spotteten, einem illustren Freundes- und Bekanntenkreis vor, der Barkenhoff-Familie. Die Bewohner und ihre Gäste träumten vom irdischen Paradies, von einer märchenhaft harmonischen Welt. Mit dabei waren Paula Becker und ihre Freundin Clara Westhoff, Otto Modersohn, Martha Schröder und eben in jenem „legendären Sommer“, wie Peuker sagt, auch Rilke, der nach seiner zweiten Russlandreise sechs Wochen in Worpswede Station machte. „Paula Becker kam aus Paris zurück“, weiß Peuker. „Es entstand eine der interessantesten Künstlerfreundschaften des 20. Jahrhunderts.“
Die beiden verstanden sich auf Anhieb, sie lobte sein „zartes, lyrisches Talent“. Rilke notierte am 16. September in seinem Tagebuch: „Dann war ich im Lilien-Atelier. Thee erwartete mich. Eine gute und reiche Gemeinsamkeit in Gespräch und Schweigen. Es wurde ein wundersam Abend; wovon die Worte gingen: von Tolstoi, vom Tode, vom Leben und von der Schönheit in allem Erleben, von Sterbenkönnen und Sterbenwollen, von der Ewigkeit und warum wir uns Ewigem verwandt fühlen.“ Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, in der sich die Nietzsche-Fans nicht nur über Philosophie austauschten, sondern auch über die Kunst. Beide Ausnahme-Künstler waren damals noch auf der Suche nach ihrem ureigenen Ausdruck, sie waren, so Peuker, „in der Prägungszeit ihrer Künstler-Karrieren“.
- Was: „Rilkes Requiem für Paula“
- Wo: Strohballenhaus im Garten des Barkenhoffs in der Ostendorfer Straße 10 in Worpswede
- Wann: Vom 18. Juli bis 10. August. Die Vorstellungen finden freitags, sonnabends und sonntags statt, jeweils um 17 und um 18 Uhr.
- Karten: kosten 18 Euro. Reservierungen unter tickets@cosmosfactory.de
Rilke und Paula Becker waren fast gleich alt. Sein 150. Geburtstag wird noch in diesem Jahr gefeiert, er wurde am 4. Dezember 1875 geboren, sie zwei Monate später am 8. Februar 1876. Ihr richten die Worpsweder Museen schon jetzt einen großen Ausstellungsreigen aus. „Ich hatte eigentlich keine Wahl“, scherzt Peuker. „Als Rilke-Fan wollte ich zum 150. Geburtstag dabei sein.“
Wenige Requisiten genügen für das Solo
Für seine Gratulation verwandelt er das „Requiem für eine Freundin“ in ein intimes Solo, in eine archaische Totenklage, bei der wenige Requisiten genügen: ein Baumstamm, ein Stuhl, ein Tisch, ein Kerzenständer, eine Rose. Den Text kennt Peuker gut, er hat ihn bereits 2011 und 2013 am gleichen Ort aufgeführt. Doch der Theatermann spricht von einer Neu-Inszenierung, da er keine Aufzeichnungen von der damaligen Produktion hat. „Nicht nur Rilke und Paula kehren zurück, auch für mich ist es ein Comeback. Ich habe in den letzten Jahren vor allem als Regisseur, nicht als Darsteller gearbeitet. Und ich hatte große Lust, den Text zu lernen.“ Dabei sei das eigentlich die am wenigsten beliebteste Aufgabe am Schauspieler-Beruf.
Rilkes bewegendes „Requiem“ gleicht einem stummen Selbstgespräch mit der Freundin. Mit dem Gedicht, zu Allerseelen 1908 geschrieben, nahm der Dichter Abschied von Paula Modersohn-Becker, die am 20. November 1907 im Alter von 31 Jahren im Kindbett starb. Sie ließ ihn nicht los, erschien ihm als Geist. Sie war, so Rilke, „die einzige Tote, die mich beschwert“, vielleicht auch, so Peuker, „weil er nicht Abschied nehmen konnte“. „Ich habe Tote, und ich ließ sie hin und war erstaunt, sie so getrost zu sehn, so rasch zuhaus im Totsein, so gerecht, so anders als ihr Ruf. Nur du, du kehrst zurück; du streifst mich, du gehst um, du willst an etwas stoßen, daß es klingt von dir und dich verrät“, so beginnt seine Totenklage. „Bist du noch da? In welcher Ecke bist du? - Du hast so viel gewußt von alledem und hast so viel gekonnt, da du so hingingst für alles offen, wie ein Tag, der anbricht“, heißt es an anderer Stelle.
Allgemeingültige Bilder für Trauer und Schmerz
Rilke fragte sich, wie er mit dem Verlust umgehen sollte und wie er die Leere füllen könnte. „Er drückt die Unsicherheit desjenigen aus, der zurückbleibt“, findet Peuker. Er schenkt nicht nur seiner toten Freundin nachträglich ein Kunstwerk, sondern er findet allgemeingültige Bilder für die Trauer und Schmerz. 24 Mal will Peuker in die Rolle Rilkes schlüpfen.
Freudiger könnte es nächstes Jahr auf dem Barkenhoff zugehen, falls Peukers Pläne Wirklichkeit werden sollten. „Mein Leben soll ein Fest sein, ein kurzes, intensives Fest“, schrieb die Malerin einst in ihr Tagebuch. Und so ein theatrales Fest möchte Peuker veranstalten, bei dem alle Geistesverwandten auftreten, die für Paula Modersohn-Becker wichtig waren. Doch ob er diese Feier wirklich geben kann, steht noch in den Sternen.
Auf einen Blick