Sie malen trotz aller Widerstände
Hand aufs Herz: Wie viele Namen von Künstlerinnen fallen Ihnen spontan ein? Frida Kahlo sicherlich, Paula Modersohn-Becker vielleicht. Wie wäre es noch mit Käthe Kollwitz? Selbst die meisten Kunstinteressierten müssen passen, wenn sie mehr als drei Namen von Malerinnen oder Bildhauerinnen nennen sollen, erst recht, wenn es um Künstlerinnen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert handelt.
Dabei und das macht die Ausstellung „Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten“ im Bucerius Kunst Forum in Hamburg deutlich, haben Frauen zu allen Zeiten gemalt und gezeichnet. Ob sie dabei immer genial waren, wie der Titel nahelegt, sei dahingestellt. Doch sie haben Sehenswertes geschaffen, es dabei aber nie in den kunstgeschichtlichen Kanon geschafft. „Die Geschichte der Kunst“ von Ernst Gombrich, ein Muss für alle Kunststudenten, nennt noch 1996 in der 16. Auflage nur eine Künstlerin. Die Kunstgeschichte, so scheint es, ist die größte Feindin der Malerinnen und Bildhauerinnen.
Seit den 1970er Jahren betreiben Wissenschaftlerinnen Aufklärungsarbeit. „Das unterdrückte Talent“ von Germaine Greer ist mittlerweile mindestens so ein Standardwerk wie das von Gombrich. Zudem gab es in den letzten Jahren viele Einzel-Ausstellungen, Artemisia Gentileschi in London zum Beispiel, in diesem Jahr in Hamburg die großartige Gabriele-Münter-Schau.
Zünfte waren eine reine Männerlobby
Doch der „Kampf um Sichtbarkeit“, so hieß 2019 eine Ausstellung in der Alten Nationalgalerie in Berlin, dauert immer noch an. Eigentlich begann dieser Kampf bereits in der Renaissance. Ausgerechnet in der Epoche des Aufbruchs hatten Frauen immer weniger zu melden, die Zünfte verwandelten sich in eine reine Männerlobby. Die Frauen, die es trotz solcher Einschränkung zur Kunst zog, benötigten Unterstützung und wo fanden sie die besser als in der Familie. Kuratorin Katrin Dyballa: „Wenn die junge Frau das Glück hatte in eine Künstlerfamilie hineingeboren zu sein, dann hatte sie die besten Voraussetzungen.“
Als Erste tritt uns die junge Katharina van Hemessen entgegen. Ein wenig scheu schaut sie uns an, Pinsel und Palette in der Hand. Wer hätte das gedacht? Das erste bekannte Bild, das einen Künstler beziehungsweise in diesem Fall eine Künstlerin bei der Arbeit zeigt, stammt von einer Frau. Und einer stolzen noch dazu. Die Inschrift vermerkt: „Ich, Caterina de Hemessen, habe mich gemalt 1548, ihres Alters 20.“
Nicht alle der ausgestellten Werke haben diese Strahlkraft. Denn natürlich gibt es auch die Angepassten, die sich - warum auch nicht? - dem herrschenden Geschmack unterwarfen. Oder die sich in der Nische Druckgrafik einrichteten, um überhaupt mitspielen zu können. Denn Frauen durften bis ins 18. Jahrhundert hinein oft nicht in Öl malen. Deshalb wich Giovanna Garzoni auf Temperafarben aus. Ein „Schoßhund mit Keksen und chinesischer Tasse“ (1648) gehört ebenso zu ihren Motiven wie ein Teller voller leckerer Kirschen.
Effektvoll ausgeleuchtete Porträts
Doch die 26 in der Ausstellung versammelten Künstlerinnen beschränkten sich nicht nur auf niedliche Sujets. Staunend laufen die Besucher durch die Räume, bewundern die effektvoll ausgeleuchteten Herrscherporträts, die Blumenstillleben, die Genreszenen, Historienbilder und immer wieder Selbstporträts. Und wundern sich darüber, dass sie noch nie etwas von Giulia Lama gehört haben, die lange vor Goya Tod und Gewalt thematisierte. Oder von Elisabetta Sirani aus Bologna, die sogar eine eigene Malschule eröffnete.
Marietta Robusti, genannt La Tintoretto galt als Wunderkind, das einige Herrscher an ihren Hof holen wollten. Doch ihr Vater, der berühmte Tintoretto, ließ sie nicht gehen, ob aus Liebe oder ob er die begabte Mitarbeiterin in seiner Werkstatt benötigte, bleibt offen. Als Künstlerin ist seine Tochter schwer zu fassen, da sie ihre Werke nicht signierte. Nur eine Zeichnung ist ihr zweifelsfrei zuzuschreiben. Das war eben der Nachteil, wenn die Frauen dem Vater, Bruder oder Ehemann zur Hand gingen. Das musste auch Michaelina Wautier erfahren, deren Arbeiten der ihres Bruders Charles sehr ähneln.
Direkter Vergleich mit den Bildern von Kollegen
Die Ausstellung erlaubt fast immer den direkten Vergleich. Denn die rund 140 Werke aus drei Jahrhunderten stammen nicht nur von den Frauen, sondern auch von ihren Weggefährten, Lehrern, Vätern, Brüdern, Ehemännern und Kollegen. Wer war denn nun der bessere Maler, er oder sie? Das ist nicht immer einfach zu entscheiden. Rachel Ruyschs Blumenstillleben sind handwerklich mindestens so gekonnt wie die ihres Amsterdamer Lehrers Willem van Aelst, um 1650 einer der führenden Meister auf diesem Gebiet.
In sieben Kapiteln erzählt die Schau, wie die Frauen die Widerstände überwanden. Oft war eine Karriere nur vor der Ehe möglich wie bei Judith Leyster, geboren 1606. Sie leitete sogar eine eigene Werkstatt und spezialisierte sich - auch das im 17. Jahrhundert ungewöhnlich - auf Genremalerei. Ihr „Lustiger Zecher“ hält in der rechten Hand einen stattlichen Bierkrug, in der linken eine Pfeife, denn damals wurde in den Niederlanden kräftig geraucht, obwohl es verpönt war. Ihr Trinker muss den Vergleich zu Franz Hals nicht scheuen, der ungefähr zur gleichen Zeit dasselbe Sujet malte. Dann heiratete Leyster und arbeitete wahrscheinlich nur noch anonym in der Werkstatt ihres Mannes.
Zappi gibt seine Karriere zugunsten seiner Frau auf
Manchmal allerdings fanden die Künstlerinnen auch einen Mann, der sie ohne Wenn und Aber unterstützte. So wie Sonfonisba Anguissola, die von ihrem Vater gemanagt wurde. Oder wie Lavina Fontana, die mit ihren Porträts so erfolgreich war, dass ihr Mann Giovanni Paolo Zappi seine Karriere zugunsten seiner Frau aufgab.
Es gab also Lichtblicke und manchmal sogar Wunder. Wie bei Anna Dorothea Therbusch, die erst mit 40 Jahren durchstartete, nachdem ihr Mann, ein Gastwirt, gestorben war und die sich nicht einschüchtern ließ von den männlichen Vorbehalten. 1766 wollte sie aufgenommen werden in die wichtigste Kunstakademie Europas, der Académie Royale in Paris. Und scheiterte. Der Philosoph Denis Diderot, einer ihrer Bekannten, berichtete über das demütigende Aufnahmeverfahren: „Es fehlt ihr nicht an Talent. Es fehlt ihr an Jugend, Schönheit, Bescheidenheit, Koketterie. Sie hätte vom Verdienst unserer großen Künstler schwärmen, bei ihnen Unterricht nehmen, mehr Busen und eine ansehnlichere Hinterpartie haben und beiden den Künstlern darbieten müssen. Sie zeigt der Akademie ihre erste Arbeit, ein ziemlich kraftvolles Nachtstück. Die Künstler sind nicht höflich. Taktlos fragt man sie, ob das Bild von ihr sei.“ Doch Therbusch gibt nicht auf, das zweite Aufnahmeverfahren bestand sie.
Ihr Beispiel zeigt, dass die Künstlerin nicht nur Talent, sondern im gleichen Maß über Hartnäckigkeit verfügen musste. Vielleicht waren die Künstlerinnen nicht immer Genies im landläufigen Sinne. Ihr Genie lag vor allem in der Fähigkeit, sich gegen alle Widerstände zu behaupten und an sich zu glauben. Eigenschaften, die auch heute nicht schaden können, wenn sich eine Frau im Kunstbetrieb durchsetzen will.

© Klassikstiftung Weimar
Ungeschönt, ihr Alter nicht verheimlichend, malt sich um 1776 die fast 60-jährige Anna Dorothea Therbusch. Die Künstlerin sitzt hinter dem Fenster mit einer Skizzenmappe auf den Knien, darauf ein Blatt Papier und ein Einglas - ein Verweis auf ihre Sehschwäche.

© Jörg P. Anders/Staatliche Museen zu Berlin
Judith Leysters „Lustiger Zecher“ kippt um 1630 mit der rechten Hand einen stattlichen Bierkrug, in der linken hält er eine Pfeife. Das Rauchen war Anfang des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden in Mode gekommen.
Auf einen Blick
Was: „Geniale Frauen - Künstlerinnen und ihre Weggefährten!
Wo: Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12 in Hamburg
Wann: Bis zum 28. Januar. Die Schau ist täglich von 11 bis 19 Uhr geöffnet

© Gallerie degli Uffizi
Die Großherzogin der Toskana, Vittoria della Rovera, ließ sich oft mit ihren Schoßhunden darstellen. Dieser hier hat es 1648 ganz allein aufs Bild von Giovanna Garzoni geschafft.

© Bockwoldt/dpa
Staunend laufen die Besucher durch die Räume der Hamburger Ausstellung, bewundern die effektvoll ausgeleuchteten Porträts, die Blumenstillleben, die Genreszenen, Historienbilder und religiöse Motive wie „Christus unter den Schriftgelehrten“ von Michaelina Wautier und ihrem Bruder Charles Wautier.