Spektakuläre Premiere in Bremerhaven: Comedy-Oper als Affenzirkus

Spektakuläre Premiere in Bremerhaven: Comedy-Oper als Affenzirkus

Herrrrreinspaziert! Staunen Sie, lachen Sie, schnappen Sie nach Luft! Der fabelhafte Affenzirkus „Großer Kokolores“ erwartet Sie mit Schnädderädäng und Show, Witz, Wahnsinn, Comedy und Poesie zur spektakulären Opernpremiere am Stadttheater Bremerhaven.

Comedy-Oper als großer Affenzirkus

Erste Premiere am Stadttheater Bremerhaven: Jubel zu Prokofjews Opern-Parodie um „Drei Orangen“

Oben Bühne, unten Publikum? Vergessen Sie's. Der Zuschauerraum wird Bühnenbild, das Ensemble mischt sich unter die Besucher, vom Balkon brüllt wer „Aufhören!“, im Parkett dingelt penetrant ein Handy, dessen Besitzerin lauthals den Saal verlässt - alles Show. Schrill, schnell, gut.

Motto: Tempo, Tempo, Tempo! Nur nichts verpassen, streame und swipe durchs Leben, breaking news überholt breaking news... Es ist absurd. Und real - das „Fomo“-Syndrom. „Fear of missing out“ nennen Studien die Sucht nach digitaler Erlebnisflut. Die Spielzeiteröffnung des Stadttheaters Bremerhavens bringt das auf die Bühne - als großes Kino mit großem Orchester.

Die so überdrehte wie klug und originell überzeichnende Inszenierung des Regisseurs und Bühnenbildners Julius Theodor Semmelmann von Sergej Prokofjews Opern-Parodie „Die Liebe zu den drei Orangen“ packt am Großen Haus den Zeitgeist ätzend, böse und charmant am Kragen. Am Ende rhythmischer Beifall, Bravos und ein leises Buh.

Dieses außergewöhnliche, sehr laute, wenig melodiöse Werk voller Nonsens ist unter Opern-Fans eher Geschmackssache. Aber unleugbar eines: Eine Liebeserklärung an das Theater, das das Leben und alles Absurde in Magie verwandeln kann.

Mit Schmackes gescheppert und gehupt

Als sich Prokofjew 1919 im US-Exil einer aus den Fugen geratenen Welt und der rasanten Dynamik der künstlerischen Avantgarde ausgesetzt sah, griff er nach dem Stoff einer alten Commedia dell‘Arte, um daraus seine energieknisternde, rhythmisch akrobatische, oft chaotisch wirkende, aber raffiniert strukturierte Revue-Oper zu komponieren.

Irrwitzig abgedreht, das Revue-Märchen im Operngewand "Die Liebe zu den drei Orangen" von Sergej Prokofjew: In dieser Szene mischt der abgehalfterte "Comedian" Truffaldino - Andrew Irwin - die dekadente Hofgesellschaft auf.

© Stadttheater/Sandelmann

Irrwitzig abgedreht, das Revue-Märchen im Operngewand „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Sergej Prokofjew: In dieser Szene mischt der abgehalfterte „Comedian“ Truffaldino - Andrew Irwin - die dekadente Hofgesellschaft (herrlich komödiantisch agiert der Chor des Stadttheaters Bremerhaven) auf, alles im Farbenrausch der witzig-detailverliebten Kostüme von Devin McDonough.

Da wird mit Schmackes gehupt, geschnarrt, gescheppert, gekeckert, geglitzert, gepupst, geswingt und geschliert. Das Philharmonische Orchester Bremerhaven bleibt der schillernd dahin preschenden Partitur - angetrieben und gezügelt von Generalmusikdirektor Marc Niemann - nichts schuldig.

Das Ensemble - skurril und detailverliebt von Devin McDonough im Stil zwischen Rokoko, Sixties und Fantasy kostümiert - auch nicht. Ob Solisten, Chor und Extra-Chor: In enormer musikalischer Disziplin geben alle lustvoll dem „Affen Zucker“. Einem Affen, der zu Beginn auf Großbildleinwand grinsend den Metro-Goldwyn-Meyer-Löwen ersetzt: Vorhang auf für die Semmelmann-McDonough-Film.

Sie zocken um das Leben des melancholischen Prinzen: Die fiese Zauberin Fata Morgana - links oben Sopranistin Meredith Hoffmann-Thomson in ihrer Antrittsrolle am Stadttheater Bremerhaven - will dessen Verderben und der freundliche Magier Tschelio (rechts oben Bassist Frederic Mörth) sein Wohl. Der Prinz (Tenor Weilian Wang, Mitte rechts) und sein machtgieriger Gegenspieler Leander (links, Kai Preußker) versuchen einander auszustechen - immer kommentiert vom Opernchor des Stadttheaters.

© Stadttheater/Sandelmann

Sie zocken um das Leben des melancholischen Prinzen: Die fiese Zauberin Fata Morgana - links oben Sopranistin Meredith Hoffmann-Thomson in ihrer Antrittsrolle am Stadttheater Bremerhaven - will dessen Verderben und der freundliche Magier Tschelio (rechts oben Bassist Frederic Mörth) sein Wohl. Der Prinz (Tenor Weilian Wang, Mitte rechts) und sein machtgieriger Gegenspieler Leander (links, Kai Preußker) versuchen einander auszustechen - immer kommentiert vom Opernchor des Stadttheaters.

Im Mittelpunkt: Der depressive Prinz. Weilian Wang gibt als neues Ensemblemitglied seinen Einstand mit schlankem, Oberton-gleißenden Tenor, der sich mit der Präzision einer Black&Decker in Spitzentöne schraubt, in lyrischer Pianokultur schimmert und in Staccato-gehämmertes fieses Hahaha ausbricht.

Dafür wird er verflucht - von der Hexe Fata Morgana. Die schwebt per Seil von oben ein und bekommt von der ebenfalls neu engagierten Sopranistin Meredith Hoffmann-Thomson mit strahlkräftigem Timbre und dramatischem Aplomb starke Präsenz, cool toupiert und bebrillt in Hitchcocks „Marnie“-Optik.

Livecam-Projektion karikiert TV-Kochshows

Ihr Opfer: Der König. Auch für Timothy Edlin ein tolles Debüt am Haus. Sein edel leuchtender und souverän geführter Bass setzt im Getöse innige Akzente, bewegend ernsthaft: „Gegen den Vater hebst du die Hand?“ Umso verblüffender seine Mutation zur „bösen Köchin“, die für die Orangen schon die Zitruspresse zückt - als riesige Livecam-Projektion ein köstlicher Hieb auf die TV-Küchen-Manie.

Großer Zauberzinnober in der Wüste: Der chronisch melancholische Prinz - Tenor Weilian Wang gibt hiermit sein Bremerhaven-Debut - und sein Kumpel, der Spaßmacher Truffaldino (Andrew Irwin) sind auf die Hilfe des Magiers Tschelio (Bassist Frederic Mörth) angewiesen.

© Stadttheater/Sandelmann

Großer Zauberzinnober in der Wüste: Der chronisch melancholische Prinz - Tenor Weilian Wang gibt hiermit sein Bremerhaven-Debut - und sein Kumpel, der Spaßmacher Truffaldino (Andrew Irwin) sind auf die Hilfe des Magiers Tschelio (Bassist Frederic Mörth) angewiesen.

Schön bös: Das mordlüsterne Duo Clarice-Leander. Mezzo Boshana Milkov, mit expressiver Wucht nahe einer Shakespeare'schen Lady Macbeth, lässt erdige Tiefe und leidenschaftliche Höhe glühen. Mit drahtigem Kavaliersbariton mimt Gast Kai Preußker den machtgierigen Intriganten.

Noch ein prägnanter Gast: Bassist Frederic Mörth schenkt dem gutmütig-hilflosen Zauberer Tschelio - ein Bilderbuch-Magier von Dumbledorschem Format - viel Komik, Würde und eine sonore Tiefe.

Wie viel Commedia dell‘Arte noch in dieser Revue steckt, spielen diese vier „Klassiker“ allerliebst: Spieltenor Andrew Irwin schenkt dem abgehalfterten, zu Munterkeit zäh entschlossenen Spaßbold Truffaldino menschlich berührende Züge, Bariton Marcin Hutek dem trotteligen Spickzettel-Diener Pantalon Samtstimme - und dem irren Luftgeist Farfarello im aufgeblasenen Harlekin-Overall mit Elektroföhn dämonische Häme. Als gewitzte „Colombina“ Smeraldina wirbelt Katharina Diegritz mit silbrigem Soubretten-Timbre durch die Wüste.

Ins Herz des Abends singt Victoria Kunze ihre Orangen-Prinzessin Ninetta: Die wird von der Hexe in eine niedliche Ratte verwandelt und vom Prinzen gerettet. In den lyrischen Duetten am Schluss gibt Prokofjew nach allen chromatischen Intervalleskapaden melodiöser Schönheit Raum: Victoria Kunzes Perlmutt-Sopran lässt sie blühen und voll Wärme leuchten.

Und nun Happy End? Nix da. Der jede Szene aasig kommentierende Chor drängelt zum Schlussakkord an die Rampe, trampelt die Liebenden nieder, den nächsten breaking news entgegen. Black out.

Was: „Die Liebe zu den drei Orangen“, Oper von Sergej Prokofjew. Wo: Stadttheater Bremerhaven, Großes Haus. Wer: Inszenierung/Bühnenbild Julius Theodor Semmelmann, Kostüme Devin McDonough, Chor Edward Mauritius Münch, Licht Katharina Konopka. Wann: 21.September; 4., 16., 24. Oktober. Karten: 47,15 Euro - 21,15 Euro. Mail an: kasse@stadttheaterbremerhaven.de. Telefon: 0471-49001.

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Erstellt:
14.09.2025, 18:08 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 17sec

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