
Oliver Peuker, künstlerischer Leiter
im Pferdestall Bremerhaven
Foto: Yvonne Bösel
Barhocker: Oliver Peuker vom Pferdestall
Adrenalin-Junky kämpft für den Erhalt der Subkultur
Impulse treiben ihn an. „Musik, Kunst oder Orte müssen in mir etwas auslösen.“ Und genau das passierte Oliver Peuker vor fast 20 Jahren als Zuhörer einer Lesung im Pferdestall.
„Ich habe es sofort gespürt. Ich hatte Lust, in der besonderen Atmosphäre, die ich eher in einer Großstadt wie Berlin oder Paris erwartet hätte, etwas Subkulturelles auf die Beine zu stellen.“
Ort der Weltmusik
Der Schauspieler, Regisseur und Leiter der Cosmos Factory Theaterproduktion war gerade von Berlin in die Region gezogen und nahm Kontakt zum Verein Kunst und Nutzen auf. „So entstand die Idee, aus dem Pferdestall einen Ort der Weltmusik zu machen, etwas entstehen zu lassen, was es bisher hier noch nicht gab. Bremerhaven hatte ja schon immer den Trend, als Tor zur Welt zu fungieren, was ja mit dem Auswandererhaus auch deutlich zum Ausdruck kommt.“
Seit 2004 ist er der künstlerische Leiter des Pferdestalls und sorgt dort für außergewöhnliche Kulturerlebnisse. „Wo findest du die ganzen Künstler aus aller Herren Länder?“
Kein Mainstream
„Mittlerweile wie von selbst. Ich bekomme wahnsinnig viele Angebote mit Demos und Links zur Musik von Bands, Ensembles oder Solokünstlern. Es muss mir gefallen, es sollen besondere Erlebnisse sein. Mainstream wird es im Pferdestall nicht geben, das wird diesem Freiraum für Inspiration sonst nicht gerecht.“
Seinem kreativen Freiraum für die Umsetzung hochwertiger Live-(Sub)Kultur aus der ganzen Welt sind dem 56-Jährigen seit dem Ausbruch der Pandemie viele formale Grenzen gesetzt.
Anerkennung von Impfstoff
„In der jetzigen Situation ist es gelinde gesagt schwierig, das Programm international zu besetzen. Das Wort Wahnsinn trifft es wohl eher. Ich gebe mal ein Beispiel: Ich hatte eine russische Band gebucht. Diese ist mit dem Impfstoff Sputnik gegen Covid durchgeimpft. Der ist hier aber nicht anerkannt. Wenn solche Künstler eine Europatournee machen wollen, müssten sie sich theoretisch in jedem Land mit anerkannten Stoffen impfen lassen. Das kann aber nicht gesund sein, sich überall durchimpfen zu lassen, damit sie auftreten können. Das ist absurd. Genauso verhält es sich mit Künstlern aus den USA, die kommen ja nicht nur für den Pferdestall aus Übersee, sondern für ganz Europa und stoppen eben auch hier.“
Frust
Aus diesem Grund hagelte es in den vergangenen Monaten aufgrund wechselnder Vorgaben und Inzidenzstufen Stornierungen von Gigs. „Man kann sich auf nichts verlassen, alles ändert sich ständig. Das ist viel Arbeit für nichts und entsprechend frustrierend. Es ist keine gute Zeit für Live-Kultur.“ Oliver Peuker erinnert sich an die wenigen Konzerte, die im vergangenen Jahr möglich waren. „Die Leute haben geweint, weil sie glücklich waren, endlich wieder Livemusik zu hören. Sie haben Konzerte besucht, die sonst gar nicht ihr Genre waren. Die haben uns die Bude eingerannt und ich hätte noch viel mehr Menschen erreichen können als sonst. Ich bin überzeugt, es ist das gemeinsame Erlebnis, was fehlt. Dieses menschliche Miteinander ist ein elementares Bedürfnis, das in den vergangenen zwei Jahren gelitten hat und dadurch noch größer geworden ist. Streamingkonzerte oder Videos können das nicht ersetzen.“
„Torpedo Corona“
Der zweifache Vater schaut nachdenklich in sein Whiskyglas, das er sanft schwenkt. Als er aufschaut, treffen sich unsere Blicke.
„Mich persönlich hat der Torpedo Corona auch voll ins Zentrum getroffen. Aber mir tun vor allem die Jugendlichen leid, die jetzt schon zwei Jahre verloren haben. Die kann man nicht auf Dauer einsperren und ihnen das Leben verwehren. Sie sind unsere Zukunft. Ich habe mein Leben gelebt, ohne mir Gedanken darüber machen zu müssen, ob ich andere gefährde.“
Skirennen
Als Jugendlicher fuhr der gebürtige Allgäuer Skirennen, nahm an rasanten Stadtmeisterschaften teil und war ehrgeiziger Sportler. „Vor jedem Rennen bin ich die Strecke abgelaufen, habe mir Besonderheiten eingeprägt, damit ich es während der Abfahrt mental abrufen kann. Ich war ein echter Adrenalin-Junky. Vielleicht bin ich deshalb auch Schauspieler geworden, obwohl meine Eltern alles andere als begeistert von der Idee waren.“
Klettertour
Er schmunzelt. „Ich war der Erste in der Familie, der Abitur gemacht hat und es wurde erwartet, dass ich Medizin oder Betriebswirtschaft studiere. Entsprechend hielt sich die Begeisterung über meinen Entschluss in Grenzen.“ An seine Grenzen stieß Oliver Peuker bei seiner Mutter erst kürzlich erneut. Aber auf eine ganz andere Art: „Wir waren zusammen mit meinem Bruder auf einer Klettertour. Ich bin noch ziemlich fit, aber während ich nach einer Weile überlegt habe, ob ich abbreche, ist meine 76-jährige Mutter an uns vorbei wie eine Bergziege. Also habe ich durchgehalten und zum Glück hat sich mein Körper erinnert. Wir sind alle da hochgeklettert.“
Kartenspiel um Bonbons
Mit dem verstorbenen Vater verbindet Oliver Peuker die Erinnerung an Schafkopfabende und Frühschoppen bei Kartenspiel. „Das hatte zur Folge, dass ich als Kind meine Freunde beim Kartenspielen um Bonbons abgezogen habe.“
„Der Kleine war ja ein Schlawiner!“lache ich. „Überrascht?“ fragt er gespielt verwundert und setzt noch einen drauf: „Nun, eine meiner intensivsten, düstersten Rollen als Theater-Schauspieler in Berlin war der Voland im Stück „Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow. Der ist mit dem verführerischen Mephisto in Goethes Faust vergleichbar. Wegen meiner Interpretation war ich vielen auch jenseits der Bühne unheimlich. Hmm, vielleicht ist ja tatsächlich was hängen geblieben, denn ich bin jetzt im Teufelsmoor zu Hause.“
Von Rita Rendelsmann (Text), Yvonne Bösel
(Studio 23, Fotos), in der Bar des Vier-Sterne-Superior Hotels HAverkamp

Nachdenklicher Oliver Peuker
Foto: Yvonne Bösel

Foto: Yvonne Bösel
Barhocker