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Blick auf die Monitore in der Leitstelle der Bundespolizei am Bremer Hauptbahnhof. Alle Wege und Ecken werden hier erfasst.
Ein Ort zum Innehalten ist der Bremer Hauptbahnhof nicht. Zu laut, zu hektisch, Gewusel. 140.000 Menschen laufen täglich durch die große Halle und den Tunnel zur Bürgerweide. Das lockt auch Kriminelle an. Und das bereitet vielen Sorgen.
Gefühlt ist immer was los im Hauptbahnhof. Ruhe? Fehlanzeige. Menschen eilen zu ihren Züge, Pendler hetzen auf dem Weg zum Job, beim Bäcker in der Haupthalle bilden sich lange Schlangen, vor dem Infoschalter der Deutschen Bahn sowieso. Vielen Reisenden bescheren diese Menschenmassen ein ungutes Gefühl, das subjektive Sicherheitsempfinden leidet.
Viele Bahnhofsbesucher verhalten sich unvorsichtig
Denn: Gewühl, Gewusel, Gedränge - das lockt immer auch Kriminelle an. Der Bahnhof hat eine Sogwirkung. Taschen- und Gepäckdiebe sind auf leichte Beute aus. Und die können sie auch machen, weil sich viele Bahnhofsbesucher unvorsichtig verhalten. Mal steckt das Handy viel zu locker in der Gesäßtasche, dann wieder hängen Rucksäcke nur fahrlässig gesichert auf dem Rücken. Das zieht Diebe an. Magisch sogar. Die Fallzahlen, was Taschen- und Gepäckdiebstähle betrifft, steigen. Rund 100 Vorfälle gab es laut Bundespolizei in diesem Jahr, 2021 waren es insgesamt nur 75, 2020 sogar nur 61.
Aber die Gauner haben auch einen Feind: eben die Bundespolizei. Denn die Beamten haben das Geschehen am Bremer Hauptbahnhof gut im Blick, sie kennen ihre Pappenheimer. Dabei hilft modernste Videotechnik.
„Wir haben 128 Videokameras im Hauptbahnhof, die Bilder in höchster Qualität liefern. Jeder Winkel lässt sich hier einfangen“, sagt Holger Jureczko, Pressesprecher der Bundespolizeiinspektion Bremen. „Wenn man die Geräte der Landespolizei mitzählt, die es rund um den Bahnhof auch noch gibt, dann kommen wir sogar auf 185 Kameras.“
Die potenziellen Straftäter wüssten um die vielen Kameras, sagt die Polizei. Die hätten eine abschreckende Wirkung. „Was Gewaltdelikte betrifft, ist der Hauptbahnhof schon ein sicherer Ort“, sagt Pressesprecher Jureczko.
Videobilder mit Beweiskraft - schlechte Chancen für Straftäter
Alle Videobilder werden aufgezeichnet. So können die Ermittler nach Eingang einer Anzeige schnell nachvollziehen, was passiert ist. Potenzielle Täter können am Bildschirm per Mausklick durch den Bahnhof verfolgt werden. So hat auch der Sexualstraftäter schlechte Karten, der eine Frau beim Aussteigen aus dem Regionalexpress am Gesäß begrapscht hatte, diesen Vorgang aber leugnete. Den Kameras entgeht kaum etwas, die Bilder haben Beweiskraft. „Datenschutz ist immer gewährleistet“, sagte Bundespolizei-Pressesprecher Jureczko. Man sei nicht bei Big Brother, wo jeder Bahnhofsbesucher auf Schritt und Tritt verfolgt werde. Aber wenn Bedarf besteht, sind die Bilder abrufbar - gestochen scharf.
Hier ein Beispiel aus dem Dezember 2016, wie effektiv die Videoüberwachung am Bremer Hauptbahnhof funktioniert:
Betrunkener Mann stürzt und wird von einem vermeintlichen Helfer beklaut
Eine auf einem Bahnsteig 7/8 installierte Kamera hat einen widerlichen Vorfall festgehalten. Zu später Stunde war ein augenscheinlich betrunkener Mann auf der Treppe zum Bahnsteig ins Trudeln geraten und gestürzt. Er blieb bewusstlos mit einer Platzwunde am Kopf auf den Stufen liegen.
Ersthelfer eilten herbei und kümmerten sich um den Mann. Vorbildlich - aber das galt nicht für alle Helfer. Ein „Kümmerer“ nutzte im Gewühl und der Hektik die Situation aus und griff sich die Geldbörse des Verletzten. Zack, das ging in Sekundenschnelle. Keiner bemerkte was. Aber auf der Videokamera ließ sich der Diebstahl nachvollziehen. Der Zoom machte es möglich.
Die Ermittler erkannten auf den Bildern das Gesicht des Täters. Es handelte sich um einen „alten Bekannten“. Bundespolizisten konnten ihn am Tag danach festnehmen.
Reisende und Besucher des Bremer Hauptbahnhofs sollten immer aufmerksam und vorsichtig sein. Denn wenn sich die Gelegenheit bietet, sind Taschen- und Gepäckdiebe zur Stelle, trotz Kameras. Und auch, wenn die Täter später bei Durchsicht der Bilder identifiziert werden: Viele Opfer leiden auch später noch unter der traumatischen Erfahrung eines Diebstahls. Die eigenen Sachen tauchen nicht mehr auf, sie wurden zu Geld gemacht, beispielsweise auf dem Hehlermarkt.
Auch hier ein Beispiel:
Frau aus Bremen klaut indischem Studenten die Notebook-Tasche
Tragischer Vorfall im Westflügel des Bremer Hauptbahnhofs, Oktober 2022: Ein Student aus Indien wollte sich schnell stärken und eine Kleinigkeit in einem Schnellrestaurant bestellen. Der Mann legte seine Notebook-Tasche kurz auf einem Tisch ab - und flugs war sie weg. Ohne Videobilder hätte man den Täter wohl lange suchen können. So aber wurde schnell klar: Eine Frau hatte sich die Tasche geschnappt. Man konnte sie mit Hilfe der Kameras auf ihrem Weg durch den Hauptbahnhof verfolgen. Die Polizei identifizierte auf den Bildern eine 56-Jährige - bekannt wegen Ladendiebstahls und Beleidigung. Bitter: Das Notebook, auf dem sich eine frische, fast fertige Masterarbeit befand, und eine Kreditkarte blieben verschwunden.
Tatverdächtige aus Marokko geraten in den Fokus
Auch wenn die Videoüberwachung hilft, Straftaten aufzuklären und den Bremer Hauptbahnhof zu einem recht sicheren Ort macht - das Problem der steigenden Fallzahlen bei Taschen- und Gepäckdiebstählen bereitet der Bundespolizei durchaus Kopfzerbrechen. Auffällig dabei: Was die Nationalität der Täter angeht, belegt Marokko in 2022 den Spitzenplatz. Laut Bundespolizei sind allein in diesem Jahr 15 Täter, die aus dem nordafrikanischen Land stammen, am Bremer Hauptbahnhof ermittelt worden. 2021 waren es nur zwei.

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Bis zu 140.000 Menschen am Tag halten sich im und am Bremer Hauptbahnhof auf.

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Eine Streife der Bundespolizei bei einem Kontrollgang im Hauptbahnhof.

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Überall im Bremer Hauptbahnhof befinden sich Videokameras - insgesamt gibt es 128.