Julia Tiedemann, Landeschefin der Bürger in Wut (BiW) Bremen steht vor dem Rathaus der Stadt Bremerhaven. Foto: Hartmann

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Julia Tiedemann, Landeschefin der Bürger in Wut (BiW) Bremen, steht vor dem Rathaus der Stadt Bremerhaven. Foto: Hartmann

BiW kritisieren „Stellen-Wildwuchs“ in der Verwaltung

„Bürger in Wut“ kritisieren den „Stellenwildwuchs“ in der Bremerhavener Verwaltung. Seit 2019 seien 500 Stellen überplanmäßig eingerichtet worden.

Kritik an „Stellenwildwuchs“

Bürger in Wut: Seit 2019 sind 500 überplanmäßige Stellen geschaffen worden

Die „Bürger in Wut“ kritisieren den „Stellenwildwuchs“ in der Bremerhavener Verwaltung. Seit 2019 seien demnach 500 Stellen durch die Hintertür überplanmäßig eingerichtet worden - was eigentlich nur für Ausnahmefälle vorgesehen ist.

Wie viele Menschen die Stadtverwaltung benötigt, um ihre Aufgaben zu erledigen, entscheidet in der Regel die Stadtverordnetenversammlung mit dem Stellenplan, der Teil des Haushaltes ist. Derzeit sind dort knapp 5000 Stellen verzeichnet. In dringenden, unaufschiebbaren Ausnahmefällen dürfen unterjährig zusätzliche Stellen außerplanmäßig geschaffen werden - und hier setzt die Kritik der „Bürger in Wut“ an. „Was für Ausnahmen gedacht ist, ist längst zur Regel geworden“, ärgert sich Julia Tiedemann von den „Bürgern in Wut“ (BiW). Demnach sollen seit 2019 inzwischen schon 500 außerplanmäßige Stellen „durch die Hintertür“ entstanden sein, davon 194 unbefristet.

Neue Stellen werden durch die Hintertür geschaffen

Für diese Stellen-Neuschaffungen muss nur der Ausschuss für Personal und Organisation mit 14 Mitgliedern zustimmen. „In jeder Ausschusssitzung werden mit der Stimmenmehrheit der rot-schwarz-gelben Regierungskoalition Stellenneuschaffungen beschlossen“, kritisiert Tiedemann. Die Verwaltung wachse und wachse. Die Kosten für diese außerplanmäßige personelle Aufstockung summieren sich laut BiW seit 2019 auf mehr als acht Millionen Euro. Die „Bürger in Wut“ bezweifeln, dass die zusätzlichen Stellen wirklich unvorhergesehen dringend notwendig werden - eher wolle man wohl mit der Praxis die Haushaltsberatungen und somit die Stadtverordnetenversammlung umschiffen. „Die Verwaltung führt ein Eigenleben“, ist sich Tiedemann sicher.

FDP: Verwaltung hat tatsächlich viele neue Aufgaben

Die Fraktionsvorsitzenden von CDU und FDP widersprechen. Hauke Hilz ist Fraktionschef der FDP, einer Partei, die dafür bekannt ist, eher schlanke Verwaltungen zu fordern und zu fördern. Hilz macht deutlich, dass tatsächlich viele neue Aufgaben auf die Stadtverwaltung eingeprasselt seien, die den Mehrbedarf an Stellen rechtfertigen. Er benennt den Zustrom an Geflüchteten aus der Ukraine und aus anderen Ländern. Die Stadt wachse, und mit ihr auch der Bedarf an Plätzen in Kitas und Schulen. Vor allem in den Jahren 2021 und 2022 seien viele der neu geschaffenen Stellen durch Drittmittel hinterlegt.

Herkules-Aufgabe: Für die Versorgung der Geflüchteten wie in der Jugendherberge musste die Stadt viele neue Stellen schaffen. Foto: Hartmann

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Herkules-Aufgabe: Für die Versorgung der Geflüchteten wie in der Jugendherberge musste die Stadt viele neue Stellen schaffen. Foto: Hartmann

CDU: Mussten mit mehr als tausend Flüchtlingen umgehen

CDU-Fraktionschef Thorsten Raschen, ebenfalls nicht als Freund überbordender Verwaltungen bekannt, sieht das ähnlich. „Wir mussten mal eben mit mehr als tausend Flüchtlingen umgehen, die neu in der Stadt ankamen“, erklärt er. Das ziehe natürlich erhöhten Personalbedarf nach sich. Im Zuge der Corona-Pandemie habe zuvor das Gesundheitsamt personell aufgestockt werden müssen. Raschen macht deutlich: Sollten die Krisen abflachen, gebe es die Chance, die Stellenanzahl wieder zurückzuführen, da viele Beschäftigte aus der Baby-Boomer-Generation in den kommenden Jahren in den Ruhestand wechseln würden.

Magistrat: Stellenbedarf können sich unterjährig ergeben

Magistratssprecherin Laura Bohlmann-Drammeh verweist auf die Antwort des Magistrats an die Bürger in Wut. Demnach sei es nicht immer möglich, im Vorfeld oder per „Strategie“ so zu planen, dass sich nicht während eines laufenden Haushaltsjahres neue Stellenbedarfe ergeben. „Es kommt ja schon vor, dass Themen während des laufenden Haushaltsjahres auf Bund- oder Länderebene beschlossen werden und dazu führen, dass sie in der Verwaltung umgesetzt werden müssen und dann eben zusätzliches Personal gefordert ist“, so Bohlmann-Drammeh. Auch eine Erhöhung von Fallzahlen könne dazu führen, dass außerplanmäßig Personal aufgestockt werden müsse.

BiW kritisieren „Stellen-Wildwuchs“ in der Verwaltung

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„Bürger in Wut“ haben Klage eingereicht

Die „Bürger in Wut“ wollen das nicht gelten lassen. Der Ukraine-Krieg könne erst ab Februar 2022 Auswirkungen gehabt haben, nicht aber in den Jahren 2020 und 2021. Und die außerplanmäßigen Stellenschaffungen im Personalamt, der Magistratskanzlei oder bei Seestadt Immobilien könnten schlecht mit der Corona-Pandemie begründet werden. In einem aus Sicht der „Bürger in Wut“ besonders hervorstechenden Fall beschreiten sie jetzt den Klageweg. Sechs Pool-Stellen mit der vagen Beschreibung „Digitalisierung/Wissensmanagement“ wurden als unaufschiebbar von den Ausschussmitglieden mehrheitlich durchgewunken. „Der Ausschuss beraubt sich mit solchen Entscheidungen seiner Funktion“, findet Tiedemann.

Die Klage, die vor dem Verwaltungsgericht verhandelt wird, solle jetzt im besten Fall dazu führen, dass sich die Verwaltung bei Stellenschaffungen wieder diszipliniere und außerplanmäßige Bedarfe gut begründe - und dass der von der Stadtverordnetenversammlung beschlossene Stellenplan wieder das Maß aller Dinge werde.

Disziplin ist gefragt

Wenn eine Stadt plötzlich Krisen wie die Corona-Pandemie oder den Ukraine-Krieg mit den vielen Geflüchteten zu bewältigen hat, braucht sie kurzfristig mehr Personal. Dafür ist das Instrument der überplanmäßigen Stellenschaffung notwendig. Es sollte aber die Ausnahme, nicht die Regel sein. Wenn das Instrument überstrapaziert wird, wofür die Zahl von 500 Stellen seit 2019 spricht, sollte man genau hinschauen, wie man aus der Praxis des permanenten Aufstockens wieder herauskommt. Das wäre die Aufgabe der Regierungskoalition aus SPD, CDU und FDP, die dann in dem Ausschuss für Personal und Organisation auch mal „Nein“ sagen sollte, wenn die Begründung zweifeln lässt.

Jens Gehrke

Das Gesundheitsamt benötigte außerplanmäßig Personal, um die Corona-Pandemie in den Griff zu kriegen. Foto Hartmann

© Arnd Hartmann

Das Gesundheitsamt benötigte außerplanmäßig Personal, um die Corona-Pandemie in den Griff zu kriegen. Foto Hartmann