Der älteste Mordfall Europas
Halbdunkel und still ist es in der Sonderausstellung „Ötzi. Der Mann aus dem Eis“ im Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg. Nur hin und wieder klackt es: Ein Bildschirm zeigt, wie eine Frau einen Feuerstein mit Pyrit beschlägt. Funken fliegen, treffen auf einen Zunderschwamm, bringen ihn zum Qualmen. Behutsam pustet die Frau auf den Schwamm, der nun glimmt. Jetzt zuckt ihr eine kleine Flamme entgegen. Feuermachen wie Ötzi, mit einem Zunderschwamm. „Brennt wie Zunder, kennt man ja, das Sprichwort“, sagt Dr. Ursula Warnke.
Ötzi versuchte sich gegen Angreifer zu wehren
Die Archäologin ist Direktorin des Landesmuseums.
Ötzis Tod: kein Unfall. „Der älteste Mordfall Europas“, steht auf einer Schautafel. Rund 5.300 Jahre ist der Mord nun her. „Es kam zu einem Handgemenge, Ötzi versuchte, einen Angreifer abzuwehren“, sagt Warnke. Dabei sei er mit einem Messer an der Innenseite der rechten Hand verletzt worden. „Als er flüchtete, ist er von hinten mit einem Pfeil erschossen worden.“ Todesursache: starker Blutverlust – und die Schussverletzung. „Bemerkenswert ist, dass der Mörder das wertvolle Kupferbeil bei der Leiche zurückließ. Kriminologen vermuten daher eine enge Beziehung zwischen Ötzi und seinem Mörder“, steht auf der Schautafel.
„Ötzi war ein Südtiroler. Gelebt hat er in einem Bergdorf in den Ötztaler Alpen – vielleicht mit zehn bis 15 Gehöften“, sagt Warnke. Die Menschen seiner Zeit – also zwischen Stein- und Kupferzeit – seien die ersten Ackerbauern und Viehzüchter gewesen. Welchen Beruf er ausübte? „Vielleicht war er Händler, vielleicht auch Bauer. Das weiß man nicht genau.“ Auf jeden Fall sei er viel gewandert – und er sei ein guter Jäger gewesen.
Besucher verkleidet sich wie vor tausenden Jahren
Am Rand der Ausstellung sitzt eine Aufseherin. Sie kichert, als sie sieht, wie ein Mann sich eine Fellmütze von einem Garderobenständer greift, sie sich auf den Kopf setzt. Dann nimmt er einen Kleiderbügel mit dem Mantel aus Leder, streift ihn sich über. „Wenn ich schon mal hier bin, dann will ich das auch ausprobieren“, reagiert der Mann auf das Kichern. Die Möglichkeit, sich als Ötzi zu verkleiden: Teil der Ausstellung. Besucher können sich in der kompletten Montur auch vor einer Fototapete mit Alpenpanorama ablichten lassen.
„Es ist die bestuntersuchte Mumie der Welt“, sagt Warnke. Der Gletscher habe Ötzi konserviert. „Wäre er nicht im Eis eingefroren gewesen, dann wäre nur sein Skelett, das Kupferbeil, die Pfeilspitzen, das Messer und der Feuerstein übriggeblieben.“ Aber das ganze organische Material wäre verrottet: seine Kleidung, die Gegenstände aus Holz. Deshalb war sein Fund auch so bedeutend.
„Kleidung und Ausrüstung des Gletschermanns zeigen: Ötzi war hervorragend für die alpine Umwelt ausgestattet und konnte dort monatelang allein überleben“, ordnet eine Schautafel ein: eine Mütze aus Bärenfell, Schuhe mit Ledersohle, Obersohle und Grasgeflecht, Mantel aus Ziegen- und Schafsfell. Pfeil und Bogen seien ihm zwischenzeitlich verloren gegangen oder beschädigt worden, deshalb habe er sich aus dem Stamm einer Eibe ein neues Bogenholz geschlagen. Die Klinge seines Beils bestand aus reinem Kupfer und er trug einen Dolch.
Ötzi war nicht grade bei bester Gesundheit
Obwohl er bei seinem Tod erst etwa 46 war: „Ötzis Krankenakte ist beachtlich, er war nicht gerade bei bester Gesundheit“, steht auf einer der Schautafeln: Abnutzungen und krankhafte Verhärtungen an Gelenken und Wirbelsäule, Rippenbrüche, ein gebrochenes Nasenbein und ein erfrorener Zeh seien diagnostiziert worden. „Stark abgeschliffene Zähne – als Folge des Sandes, der beim Mahlen von Getreide auf Steinmühlen ins Mehl geraten waren – sogar Karies und Parodontitis plagten ihn.“ Außerdem habe er an einer Zeckenborreliose gelitten und eine genetische Veranlagung für Herz-Kreislauf-Probleme wie Arterienverkalkung und Gallenstein gehabt. „Überdies hat er an einer Laktoseintoleranz gelitten“, ergänzt Warnke. Bei der Milchzuckerunverträglichkeit kann der in Milch und Milchprodukten enthaltene Milchzucker nicht richtig verdaut werden. „Wenn ich während einer Führung erzähle, dass Ötzi daran litt, dann reagieren die Besucher immer ganz überrascht“, sagt Warnke. Bis 26. Mai haben Besucher in Oldenburg noch Gelegenheit, sich ihr eigenes Bild von Ötzi zu machen. (epd/mar)