Schwere Schäden der Stufe drei: An den Weserterrassen muss dringend saniert werden.

© Arnd Hartmann

Schwere Schäden der Stufe drei: An den Weserterrassen muss dringend saniert werden.

Das Kajen-Drama: So verschleppt Bremerhaven die Sanierung

Bremerhaven hat seit Jahren marode Kajen. Mit Blick auf das Absacken des Molenturms setzt die Wasserbehörde der Stadt eine Frist. Es besteht Gefahr.

„Gefahr für Leib und Leben“

Aufsichtsbehörde setzt Frist für marode Uferbefestigungen - Zustand bekannt

Mehrere Kilometer der städtischen Kajen an der Geeste sind marode und könnten - wie beim Molenturm - jederzeit absacken. Die Politik weiß das, verschleppt das Problem aber seit Jahren. Jetzt hat die Aufsichtsbehörde der Stadt eine Frist gesetzt.

Der NORDSEE-ZEITUNG liegt ein Schreiben vom 1. September vor. Darin mahnt die für die städtischen Kajen zuständige Aufsichtsbehörde, die Bremerhavener Wasserbehörde, dass die Uferanlagen dringend saniert werden müssen, weil sie jederzeit zusammenbrechen können, „unter Gefahr für Leib und Leben“ wie es wörtlich heißt. Die Wasserbehörde fordert, dass bis zum 1. Oktober ein Konzept vorliegen muss. Ein weiterer Aufschub könne nicht geduldet werden.

Das Schreiben vom 1. September könnte der Grund sein, warum Bremerhavens Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) in dieser Woche so heftig auf Kritik der Grünen reagiert hat.

Diese hatten nach dem Absacken des Molenturms Grantz eine Mitverantwortung zugesprochen und auf den schon lange bekannten maroden Zustand der städtischen Kajen verwiesen.

Die entsprechende Kritik der Grünen hat Grantz am Donnerstag nicht nur brüsk zurückgewiesen, sondern gleich mitgeteilt, dass er selbst auch für die Kajen nicht zuständig sei. Stattdessen hat er angekündigt, dass der „zuständige Baustadtrat Bernd Schomaker (FDP)“ ein Konzept zur Sanierung vorlegen solle. Grantz: „Ich erwarte, dass eine solche Vorlage schnell erstellt wird.“

Nach Informationen der NORDSEE-ZEITUNG gibt es bereits seit langem Vorlagen zum Thema Sanierung der städtischen Kajen - sie werden aber in der Koalitionsrunde zurückgehalten.

Der marode Zustand ist seit Jahren bekannt

Um den Zustand der Kajen wissen Stadtverordnete und Magistrat seit Jahren: Schon 2016 musste der Bremerhavener Bau- und Umweltausschuss eine bittere Präsentation von Nils Hoppe, leitender Ingenieur für Wasserbau der Bremerhavener Entsorgungsbetriebe (BEG), anschauen: Die städtischen Kajen sind marode. Dringender Handlungsbedarf wurde 2015 bei einer Untersuchung festgestellt: an den Weserterrassen, am Lange-Dock, zwischen City-Port und Pflegeheim „Amarita“, am Rickmerskran, im Kapitänsviertel und beim Kanuverein. Geschätzte Kosten: 43 Millionen Euro.

Die Zustände der Kajen in Bremerhaven

Für mehr Informationen auf die Punkte tippen oder mit der Maus darüber fahren.

Grafik: BEG, Schnibbe

Im nächsten städtischen Haushalt 2016 wurde das Thema aber nicht berücksichtigt. Der damalige Kämmerer Paul Bödeker (CDU) sagte lediglich: Große Investitionen wie die Sanierung der maroden Kajen und Brücken könnten nur mittel- oder langfristig gelöst werden.

Sanierungskosten auf 54 Millionen Euro geschätzt

Sechs Jahre später ist die Situation unverändert. Bis auf die Tatsache, dass es am Kistnergelände eine neue Uferböschung gibt, ist nichts passiert.

Das zeigt ein weiterer Zustandsbericht der BEG aus 2020, den die politischen Führungskräfte der Stadt und der Magistrat kennen: Auf nunmehr 54 Millionen Euro schätzten die Fachleute die Sanierungskosten schon vor zwei Jahren. Allein 11,5 Millionen Euro für die Weserterrassen, 25 Millionen für den Abschnitt City-Port bis Pflegeheim „Amarita“, 3,4 Millionen an der Werftstraße, 14,5 Millionen beim Tecklenborghaus/Kanuverein, 0,3 Millionen am Rickmerskran: es sind nur die dringendsten Projekte. Sie fallen in die Schadensklasse 3: schwere Schäden erkennbar, kurz- bis mittelfristiger Handlungsbedarf.

Der Unterhalt der Kajen obliegt der Stadt. Früher waren die Kajen Sache des Referats für Wirtschaft, das dem Oberbürgermeister unterstellt ist. Mit einer Ortsgesetzänderung ging die Zuständigkeit 2012 vollständig an den Eigenbetrieb, die Entsorgungsbetriebe Bremerhaven (EBB), über.

Für den Unterhalt der Kajen steht der EBB Geld zur Verfügung: etwa 18.000 bis 25.000 Euro pro Jahr. Damit kann man Kaninchen am Ufer vergrämen oder Wiesen mähen, aber kein Millionen schweres Sanierungsprojekt stemmen. Im Eigenbetrieb gibt es auch keine Ingenieure, die eine Sanierung planen könnten, oder Experten, die Wissen über Fördermöglichkeiten besitzen.

Die EBB selbst hat sich als Wanderpokal erwiesen: Die Zuständigkeit für den Eigenbetrieb und damit für die Kajen wechselte durch verschiedene Dezernate, zu haupt- und ehrenamtlichen Stadträten: 2013 von Volker Holm (CDU) zu Peter Pletz (Grüne), zu Jeanne-Marie Ehbauer (Grüne), Hans-Werner Busch (SPD), Torsten Neuhoff (CDU) und schließlich seit 2020 liegt sie bei Bernd Schomaker (FDP).

2020 wurde der Zustandsbericht der BEG veröffentlicht. 2021 hat die EBB das Thema in Form einer Magistratsvorlage erneut ins Gespräch gebracht. Darin wird empfohlen, die Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung (BIS) mit der Planung der Sanierung zu beauftragen. Sie hatte bereits die Sanierung der Kajen am Handelshafen betreut. Doch über diese Vorlage haben weder Magistrat noch Stadtverordnete abgestimmt. Nach NZ-Informationen konnte sich die Koalition nicht einigen und hat sie seither zurückgehalten.

Der Eigenbetrieb EBB mit dem mageren Budget für die Kajenunterhaltung ist in den vergangenen zehn Jahren wie ein Wanderpokal von Stadtrat zu Stadtrat aller Parteien weitergereicht worden - kein Wunder. Die unliebsame Verantwortung für das Millionen-Sanierungsprojekt wanderte so gleich mit. Das bedeutet aber auch: Jeder weiß um den Zustand und die mögliche Gefahr. Auch Melf Grantz.

Vom Oberbürgermeister, der für alle Erfolge der Stadt - zuständig oder nicht - gern Lorbeeren kassiert, hören wir in letzter Zeit immer nur, wofür er nicht verantwortlich ist. Warum spielt er nicht mit offenen Karten, holt alle an einen Tisch und man sucht gemeinsam nach Lösungen? Wann begreift die Politik endlich, dass es dem Bürger völlig egal ist, welcher Stadtrat, welches Amt oder welcher Eigenbetrieb zuständig ist? Es könnte ein Unglück geben. Da sollten alle an einem Strang ziehen und nicht Zuständigkeitsbingo spielen.

KOMMENTAR

Hört auf mit dem Zuständigkeits-Bingo

Maike Wessolowski

Das Kajen-Drama: So verschleppt Bremerhaven die Sanierung

© Hartmann