
Startpunkt der Fahrradtour ist das Hotel Peters – das Genusshotel in der Wingst.
Foto: Rodick
Im Rausch des Radelns
Die Lerchen zwitschern, der Kuckuck ruft. Das ist Frühling pur, der Lust auf eine Fahrradtour macht, um herauszufinden, wie das Landleben zwischen Misthaufen, Milchkannen und Schweinchen Ringelschwanz riecht und schmeckt.
Meine Fahrradtour beginnt am ältesten Gasthof in der Wingst, dem Hotel Peters – das Genusshotel in der Wingst seit 1898 im Dienst der Gastfreundschaft, und endet am ältesten Gasthof Cuxhavens, dem Hadeler Hof, der erstmals 1680 urkundlich erwähnt wurde.
Einer Sage nach erhielt die Wingst ihren Namen von dem Riesen Wingis, der aus dem Harz stammte und durch den Fund eines Silberschatzes reich geworden war. Als es ihm gelüstete, die Welt kennenzulernen, machte er sich auf den Weg ans Große Meer. Weil ihm aber das viele Wasser unheimlich war, suchte er sich einen Platz in der Nähe der Küste zum Wohnort. Er fand ihn in einer bewaldeten, hügeligen Umgebung. Auf einem der höchsten Berge ließ er sich wohnlich nieder. Die gesamte Erhöhung erhielt nach dem Riesen den Namen Wingst.
Lebensquell für die Oste
Die höchste Erhebung ist heute der „Deutsche Olymp“, an dessen Fuße die sieben Quellen entspringen. Die wenigsten wissen, dass die Quellen sich zu einem Bächlein vereinen, der in die Oste mündet. Der „Olymp“ ist übrigens eine Erfindung des rührigen Gastwirts Johann-Hinrich Thumann, der seit 1828 im Wingster Ortsteil Wassermühle das Ausflugslokal Himmelreich betrieb und auf dem „Olymp“ ein Lusthaus im Schweizer Stil errichtete.
Die einzigen Höhen auf der ganzen Fahrt erlebt man auf dem Weg Richtung Balksee. Wo heute der See ruht, war vor vielen, vielen Jahren das für seinen Reichtum bekannte Dorf Balk beheimatet. Seine Einwohner führten ein gar hochmütiges Leben. So erzählte man sich doch, dass sie aus reinem Übermut den Flur ihrer Häuser mit dem feinsten Mehl bestreut und so die liebe Gottesgabe gar mit Füßen getreten hätten und vieler schändlicher Dinge mehr.
Balk versank in den Fluten
Die Strafe des Himmels ließ nicht lange auf sich warten. Die Tore des Himmels öffneten sich, das übermütige Völkchen musste ertrinken, und das Dorf versank in den Fluten. An der Stelle, wo einst das Dorf stand, ruht jetzt das stille Wasser des Balksees. Wenn Stürme die Wellen aufwühlen, hört man noch heute die Glockenklänge vom Kirchturm des versunkenen Ortes, heißt es im großen Sagenbuch „Hake Betken siene Duven“ der Männer vom Morgenstern.
Als gesichert gilt: Der See entstand vor 7500 Jahren. Das Naturschutzgebiet ist nicht zugänglich. Ein Aussichtsturm steht direkt am Ufer. Das Wasser ist fast schwarz wegen der darin schwebenden Mudde-Teilchen, die Pflanzenwelt ist mannigfach. Eine Landkarte von 1768 zeigt noch sieben Bäche, die in den Balksee münden. Geblieben ist nur die Aue. Sie windet sich durchs Land und fließt bei Neuhaus in die Oste.
Weiden erstrecken sich entlang der Aueschleifen
Die Aueschleifen sind ein Idyll wie aus dem Bilderbuch. Über der Wasseroberfläche surren Libellen. Mähroboter schnurren über glattrasiertes Grün, um sich in Maulwurfshaufen festzufahren. Die Weiden erstrecken sich als grüner Streifen bis an den Horizont. Immer wieder blitzt das Flüsschen zwischen den Bäumen hindurch. Die Kühe blicken Gras kauend dem Fahrrad hinterher. In Kehdingbruch wartet eine kleine Schleuse, wie gemacht für den „Kleinen Wassermann“.
Der Hadeler Kanal gibt die Richtung vor: Otterndorf. Ein Güllewagen rumpelt aufs Feld und sorgt für deftige Landluft. Zwischen zwei Bäumen sitzt ein kleiner Dackel mit wehenden Ohren. Hat ihn jemand ausgesetzt? Huch, es ist ja nur ein getrocknetes Blattbüschel. So kann einem die Natur fantasievoll etwas vormachen. Vom See Achtern Diek geht es am Deich lang Richtung Altenbruch. Wer den Weg am Außendeich wählt, muss die Teppiche von plattgefahrenen Schafsködeln hinnehmen. Immer wieder verstellen einem blökende Wollknäule den Weg. Dafür belohnen wundervolle Ausblicke, wie auf den Leuchtturm Dicke Berta.
Das Bier wurde eingeklingelt
Im Hadler Hof, anno dunnemals „Bey der Kirche 107“ in Altenbruch, wartet bereits das legendäre Bauernfrühstück. Gepflegte Gastlichkeit war hier bereits 1680 zu Hause. Eigenes Bier wurde hier gebraut. Sobald es fertig war, wusste es im 18. Jahrhundert im Ort ein jedes Kind. Denn jedes neue Bräu wurde durch Glockenschellen kundgetan. Eine Besonderheit ist der älteste noch erhaltenen Giebel des Ortes und eine über 300 Jahre alte Tür, durch die schon unzählige Menschen ein- und ausgegangen sind. Wenn knarzendes Gebälk erzählen könnte.

Wenn man den Geschichten glauben darf, so versank das Dorf Balk als Strafe des Himmels in den Fluten.
Foto: Rüber

Idylle pur auf dem Weg nach Altenbruch.
Foto: Tonn

Foto: Tonn

Hadler Hof in Altenbruch.
Foto: Tonn