Eine Glosse von Christoph Heilscher
Ab und wann führen mich meine Wege nach Friesland und Ostfriesland. meine Eltern haben dort lange gelebt. So habe ich dieser Tage meine Tochter vom Vareler Bahnhof abgeholt. Ich hatte einige Minuten Zeit. So stehe ich, die Hände in den wärmenden Taschen meines Mantels, an einem Januarmorgen vor dem Bahnhof, bestaune das Prachtstück und komme ins Grübeln.
Ein ganz ähnlicher Baustil wie in Nordenham. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet und einst ein Pfeiler der Verkehrsentwicklung in der Region. Dann nach und nach architektonisch verunstaltet und vernachlässigt, aber Anfang des neuen Jahrhunderts von der Stadt Varel übernommen, an eine Eigentümergemeinschaft weiterverkauft und so saniert, dass dieser Bahnhof wieder strahlt wie zu seinen besten Zeiten. Und das sogar am Rande der Stadt.
Wie sehr würde ein sanierter Bahnhof da erst einmal die Nordenhamer Innenstadt aufwerten. Stolz thront das Gebäude auf dem Deich, überblickt die Bahnhofstraße und die gesamte Kernstadt. Man schaut besser nicht zurück. Denn man könnte Depressionen bekommen. Wahrscheinlich ist der Nordenhamer Bahnhof das am stärksten heruntergekommene Bahnhofsgebäude in ganz Nordwestdeutschland. Wenn das mal reicht. Und das aufgrund einer sehr besonderen Rechtslage. Und niemand zerschlägt diesen gordischen Knoten zum Wohle der Stadt. Weil der Bahnhof dem Deichrecht unterliegt, darf er im Bedarfsfall entschädigungsfrei abgerissen werden - auch wenn das Gebäude für Millionen saniert worden ist. Deshalb bekommen Investoren keine Kredite und öffentliche Einrichtungen wie die Kreisvolkshochschule für eine Sanierung keine Zuschüsse.
Der Bahnhof wird unterdessen zur Ruine. Das neben dem Amtsgericht historisch bedeutendste und städtebaulich prägendste Gebäude der Nordenhamer Innenstadt verfällt. Und eine Lösung ist nicht in Sicht. Deichrecht und Denkmalschutz sind in diesem Fall zwei städtebauliche Sackgassen. Und eine Zumutung für alle Nordenhamer.