Weltweite Hetze wegen des Videos aus Bremerhaven: Wie Stadtrat Frost reagiert

Weltweite Hetze wegen des Videos aus Bremerhaven: Wie Stadtrat Frost reagiert

Jugendamt und Polizei werden mit Gewalt bedroht, seit sich ein Video vom Herausnehmen zweier Jungen aus einer muslimischen Familie in Bremerhaven weltweit verbreitet - befördert von Fake News. Wie reagiert der Magistrat darauf? Stadtrat Frost nimmt kein Blatt vor den Mund.

Frost ist entsetzt über Fake News

Dezernent stellt sich nach Hetze wegen Video vor die Mitarbeiter von Jugendamt und Polizei

„Ich bin entsetzt über die öffentliche Hetze, denen unsere Mitarbeiterinnen in den Tagen nach der Verbreitung des Videos ausgesetzt sind.“ Das erklärt der für das Jugendamt Bremerhaven zuständige hauptamtliche Stadtrat Michael Frost (parteilos) zu den teils massiven Reaktionen in aller Welt auf ein Video mit Szenen einer Herausnahme von zwei Jungen aus einer muslimischen Familie in Bremerhaven.

Nach Informationen von Nordsee-Zeitung.de war es zu der sogenannten Inobhutnahme am 27. April frühmorgens in Bremerhaven-Leherheide gekommen. Davon betroffen war eine Familie, die nach ihrer Flucht aus Syrien seit 2015 in Bremerhaven lebt.

Die zwei jüngsten der vier Kinder wurden abgeholt

Die beiden jüngsten der vier minderjährigen Kinder der Familie wurden vom Jugendamt nach einem entsprechenden Beschluss des Amtsgerichtes abgeholt.

Das Jugendamt hatte dafür die Polizei Bremerhaven um Begleitung gebeten. Vier Polizeibeamte waren bei dem Einsatz des Jugendamtes in der Wohnung dabei, weitere sollen unten gewartet haben.

Der Vater filmte, als die Situation eskalierte

Beide Jungen wollten nicht mitgehen, die Situation eskalierte. Es gab lautstarke Wortgefechte und auch Rangeleien. Der jüngere der beiden Brüder - ein sechsjähriger Junge - wurde schließlich von einer Polizeibeamtin und einer Mitarbeiterin des Jugendamtes ergriffen, aus der Wohnung getragen und in ein Polizeiauto gebracht. Er schrie und wehrte sich die ganze Zeit.

Der Vater filmte das mit seinem Handy. In den Tagen danach verbreitete sich das Video via Social Media in vielen Staaten der Erde, vor allen in der muslimischen Welt.

(Damit Sie sich ein eigenes Bild machen können, zeigen wir hier eine Schlüsselszene aus dem Video - von uns so bearbeitet, dass keiner der Beteiligten zu erkennen ist.)

So verlief die umstrittene Inobhutnahme in Bremerhaven

Die Schlüsselszene des Videos vom Herausnehmen zweier Jungen aus einer muslimischen Familie. Wir haben die Beteiligten unkenntlich gemacht.

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Indonesischer Journalist verbreitete: „Gewaltsame Entführung“

Von einem indonesischen Journalisten wurde die Aktion als „gewaltsame Entführung von Kindern einer muslimischen Familie“ beschrieben. Allein sein Tweet dazu wurde bislang 18,7 Millionen Mal gelesen, rund 7.400 Mal weitergeleitet und über 2.400 Mal kommentiert (Stand 11. Mai).

Andere Akteure in Social Media verbreiteten das Video ohne jeden Beleg mit der Behauptung weiter, dass der kleine Junge gewaltsam aus seiner Familie entfernt wurde, weil diese ihm beigebracht habe, „dass Homosexualität und Transsexuelle im Islam nicht akzeptabel sind“.

Teile der muslimischen Welt reagierten empört auf diese millionenfach verbreiteten Falschnachrichten. Es gab unzählige Hass-Kommentare gegen den Westen, gegen Deutschland sowie gegen das Jugendamt und die Polizeibeamten in Bremerhaven. Teils wurde offen zu Gewalt und zur Befreiung der Jungen aufgerufen.

Was Stadtrat Frost zu dem Fall und seinen Folgen sagt

Nordsee-Zeitung.de befragte den für das Jugendamt zuständigen Stadtrat Michael Frost zu der Inobhutnahme an sich und den Reaktionen darauf. Hier seine Stellungnahme:

Michael Frost zeigt sich entsetzt über die Reaktionen, die das Video hervorgerufen hat.

© Arnd Hartmann/Archiv

Michael Frost zeigt sich entsetzt über die Reaktionen, die das Video hervorgerufen hat.

„Eine gerichtlich angeordnete Inobhutnahme ist für alle Beteiligten in höchstem Maße belastend. Sie steht am Ende eines langen Jugendhilfeverfahrens, in dem das Jugendamt seine gesetzliche Aufgabe zum Schutz des Kindeswohls wahrnimmt. Ziel der Verfahren ist grundsätzlich, die Erziehungsfähigkeit der Eltern und Sorgeberechtigten zu stärken.

„Alle rechtlichen Vorgaben wurden beachtet“

Die Inobhutnahme ist insofern das Ergebnis eines Abwägungsprozesses und kommt überhaupt nur dann in Betracht, wenn das Kindeswohl durch den Verbleib in der Familie als gefährdeter erscheint als durch ihre Trennung.

Damit muss auch klar sein, dass die Begründungen für eine Inobhutnahme jeweils komplex und immer auf den individuellen Zusammenhang des Einzelfalls bezogen sind.

In dem vorliegenden Fall wurden seitens des Amtes und der Polizei sämtliche rechtliche Vorgaben beachtet. Ich habe großen Respekt vor ihrer schwierigen Arbeit, der Angemessenheit und ihrer Umsicht in einer konfliktträchtigen Situation, in der die Familie offensichtlich nicht zur Deeskalation und zur Beruhigung beizutragen vermochte.

„Ich bin entsetzt über die öffentliche Hetze“

Ich bin entsetzt über die öffentliche Hetze, denen unsere Mitarbeiterinnen in den Tagen nach der Verbreitung des Videos ausgesetzt sind. Selbstverständlich haben sie die volle Unterstützung des Dezernenten und des gesamten Magistrats.

In der Verbreitung des Videos sowie der anschließenden Hetze gegen die ausführenden Ämter sehe ich ein problematisches Verhältnis zum Rechtsstaat.

Das Jugendamt erfüllt einen gesetzlichen Auftrag zum Schutz von Minderjährigen und steht damit in vergleichbarer Schutzfunktion wie auch die Polizei, die Feuerwehr oder der Rettungsdienst.

„Ziel ist Desinformation und Zersetzung“

Mich besorgen die zunehmenden Anfeindungen, Bedrohungen, Behinderungen von Einsätzen und die Gewaltausübung, denen mit aller Entschiedenheit ebenso entgegengetreten werden muss wie der Verbreitung sogenannter ‚Fake News‘, deren ausschließliches Ziel die Desinformation und die Zersetzung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Bürger:innen und ihren Institutionen ist.“

Familie: Die Fake News stammen nicht von uns

Die beteiligte Familie hat gegenüber Nordsee-Zeitung.de betont, dass sie in keiner Weise zu den Fake News beigetragen habe, die das Video seither begleiten.

(Weitere Berichte zu dem konkreten Fall und zu Inobhutnahmen in Bremerhaven generell werden folgen)

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Erstellt:
11.05.2023, 16:09 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 23sec

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