Vom Viehbauer zum Vegetarier
Es ist zweifellos ein Trend. Immer mehr Bundesbürger ernähren sich vegetarisch oder gar vegan, insbesondere junge Leute. Der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch - das hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) gerade vermeldet - ist in Deutschland auf 52 Kilogramm im Jahr gesunken, vor zehn Jahren waren es noch mehr als 60 Kilo im Jahr. In Großstädten gehören der Veggie-Burger oder das Blumenkohl-Schnitzel mittlerweile zum guten Ton. Kaum ein Restaurant traut sich noch, auf fleischlose Gerichte zu verzichten. Doch dass der Trend, fleischlos glücklich zu sein, sich auch auf dem Land richtig breitmacht, kann man sich nicht vorstellen. Erst recht unter denjenigen, die dafür sorgen, dass Milch, Käse und Fleisch auf den Tisch kommen können.
Jürgen Rademacher kennt jede Kuh mit Namen
Jürgen Rademacher, Bio-Bauer aus Beverstedt, steht auf seiner Weide. 30 glückliche Kühe grasen hier, der 62-Jährige kennt jedes Tier mit Namen. Zu jeder Kuh kann er eine Geschichte erzählen. Irina zum Beispiel hat er bei der letzten Geburt das Leben gerettet. Sie lag so ungünstig, dass sie zu ersticken drohte. Jetzt muht sie jeden Morgen zustimmend, wenn er in den Stall geht und seine Kühe mit der Frage begrüßt: „Na, wollt ihr raus?“ Wollen sie, davon ist der Bio-Bauer überzeugt. Es war einer der Gründe, warum der Viehbauer 1995 auf Bio-Haltung umgestellt hat. Da ist es vorgeschrieben, dass die Rindviecher im Sommer auf der Weide grasen, eine Haltung, die in der Hochleistungsmilchwirtschaft schon lange nicht mehr üblich ist. Auf der Weide fühlen sich die Kühe am wohlsten, ist Rademacher überzeugt. Und das ist ihm wichtig. Denn Cleo, seine Älteste auf dem Hof, die schüchterne Romy, die resolute Bilke, sie sind Lebewesen, die sich für Rademacher fast so anfühlen, als gehörten sie zur Familie.
Künftig dürfen alle Kühe auf dem Hof ihr Gnadenbrot fristen
Sie alle dürfen künftig auf dem Hof ihr Gnadenbrot fristen. Der Viehbauer verabschiedet sich von der Viehwirtschaft, Ende Juli wird die letzte Milch von seinem Hof geholt. Die Kühe will er behalten, solange sie leben, sie aber von dem Kreislauf aus Schwangerschaft, Geburt, Milchliefern erlösen. „Ich bin es leid, den Kühen die Kälber nach der Geburt wegzunehmen, und ich bin es auch leid, die Kühe zum Schlachter zu schicken, wenn sie nicht mehr genug Milch liefern“, gesteht er. Stattdessen soll sein Hof den Charakter einer Tierpension bekommen, finanziert von Tierfreunden, die Patenschaften für die Kühe übernehmen. „Lebenshof“ heißt das Konzept.
Ein ungewöhnlicher Schritt. Insbesondere in einer Milchviehhaltung, in der die Kühe sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu Hochleistungssportlern entwickelt haben. Vokabeln wie Milchproduktion, Futteroptimierung und Züchtungserfolge verraten schon, dass es im Stall wie in der industriellen Fertigung zugehen. Jürgen Rademacher hat das nie gemocht. Heute, gesteht er, sei er nicht mehr bereit, in dieser Tretmühle mitzumachen.
Seit drei Jahren isst Jürgen Rademacher kein Fleisch mehr
Ein Bauer, der kein Bauer mehr sein will? Der Bio-Pionier aus Beverstedt winkt ab. Seine 80 Hektar werde er weiter beackern, versichert er. Und wahrscheinlich dort mehr Getreide und Hülsenfrüchte anbauen. Das sei überhaupt der richtige Weg, auch um die wachsende Zahl der Menschen zu ernähren, findet er. Seit drei Jahren verzichtet der 62-Jährige auf Fleisch - der Öko-Bilanz wegen. Inzwischen ist er schon fast bei veganer Ernährung angelangt. Nur den Käse, den er selbst produziert hat, isst er noch und die Milch zum Kaffee.
Jürgen Rademacher ist auch deshalb an diesen Punkt angelangt, weil das Bio-Milch-Geschäft ein schweres war. 1995 hat er umgestellt, zu einer Zeit, als Bio von den Bauern in der Region äußerst skeptisch beäugt wurde. In den besten Zeiten, sagt er und lächelt, habe er zusammen mit einem befreundeten Betrieb 90 Kühe gehalten. Finanziell aber sei das Bio-Milch-Geschäft immer schwierig gewesen. Auch als er begann, selber Käse herzustellen und zu vermarkten.
Die Bio-Branche steht unter starkem Finanzdruck
„Die Verbraucher“, sagt er, „sind einfach nicht bereit, genug Geld für Bio-Produkte auf den Tisch zu legen.“ So stehe die Bio-Branche ständig unter enormem Finanzdruck. Auch das hat dazu beigetragen, dass er mit der Viehwirtschaft aufhört. Extensiveres Wirtschaften, das ist sein Eindruck, wird von den Menschen nicht ausreichend honoriert. Jetzt zieht er die Konsequenzen. Als er im vergangenen Jahr erstmals keine Kuh zum Schlachten bringen wollte, habe sein Berater nur den Kopf geschüttelt. Rademacher lächelt. Für ihn ist das Schnee von gestern. „Ab 1. August produziere ich keine tierischen Lebensmittel mehr. Und ich hab ein gutes Gewissen dabei.“
Paten für Kühe gesucht
Jürgen Rademacher will seine Kühe nicht mehr in den Schlachthof schicken. Damit er sie so lange halten kann, bis sie eines natürlichen Todes sterben, sucht er Paten für seine Kühe. Wer Interesse daran hat, kann sich über die Webseite www.lebenshof-lunetal.de informieren und dort auch eine Patenschaft eingehen.