Einziger deutscher Turner in einem WM-Finale: Timo Eder.
Foto: Dita Alangkara
Turn-Weltmeisterschaften
WM-Bilanz: Die vier Problemfelder des deutschen Turnens
Keine Medaille, zu wenige Finalplätze: Die Experimentier-Weltmeisterschaften in Jakarta enden für das deutsche Turnen ernüchternd. Als Erkenntnis stehen vier Problemzonen.
Neue Wertungsvorschriften, neue Übungen, neue Gesichter: Die ersten Weltmeisterschaften im neuen Olympia-Zyklus sind für den Großteil der Turn-Elite Titelkämpfe zum Experimentieren. Auch der Deutsche Turner-Bund (DTB) wollte in Jakarta einiges ausprobieren - und stieß im Vergleich zu den glanzvollen Heim-Europameisterschaften Ende Mai in Leipzig an seine Grenzen. Zwar war für Doppel-Europameisterin Karina Schönmaier eine Medaille in ihrer Paradedisziplin Sprung in Reichweite, doch ein grober Fehlgriff verhinderte den ersehnten Erfolg für die 20 Jahre alte Chemnitzerin.
„Wir haben uns, wenn man die Finalplatzierungen sich anschaut, mehr erhofft“, gab DTB-Sportdirektor Thomas Gutekunst zu. Insbesondere die Männer-Riege blieb hinter den Erwartungen zurück. Mit lediglich der Endkampf-Teilnahme im Mehrkampf durch den 20 Jahre alten Mixed-Europameister Timo Eder und am Ende Platz 19 war Bundestrainer Jens Milbradt nicht zufrieden.
„Wenn man hier ist und bei den Finalwettkämpfen auf der Tribüne sitzt, ist das schon ein komisches Gefühl. Wir wussten vorher, wie schwer es wird. Aber wenn man das erlebt und sieht, tut es schon weh, dass man bei bestimmten Sachen nicht mehr dabei ist. Das ist ein großer Arbeitsauftrag, der an alle rausgeht“, erklärte er. Weder der routinierte Barren-Europameister Nils Dunkel (Halle/Saale) noch die Novizen Gabriel Eichhorn (Stuttgart) und Artur Sahakyan (Mühlheim/Ruhr) kamen in Finalwettkämpfe.
Dabei tun sich im Ergebnis der Titelkämpfe in Indonesiens Hauptstadt bis zu den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles und darüber hinaus gleich vier Problemfelder auf. Ein Fazit:
Die Qualität
Mit den neuen Wertungsvorschriften, nach denen die Übungen bewertet werden, müssen sich insbesondere Turnerinnen und Turner umstellen. Einige Elemente wurden aufgewertet, andere abgewertet, Kombinationen aus verschiedenen Elementen bringen mehr Punkte. Nachdem zuletzt das Augenmerk darauf lag, die Schwierigkeiten zu erhöhen, wurden in Jakarta nun auch Schwächen bei der Ausführung offensichtlich.
„Der zweite große Baustein, der uns aktuell ein bisschen fehlt, sind die virtuos und technisch geturnten Vorträge. Das heißt, wir haben auch in der E-Note zu den Top-Nationen einen gewissen Rückstand“, urteilte der Männer-Bundestrainer. Das wurde besonders bei Karina Schönmaier deutlich: Dass sie beim Sprung nur mit einer Hand auf dem Tisch war statt wie vorgeschrieben mit zwei Händen, kostete sie die mögliche Medaille. „Dass es da noch Herausforderungen gibt, hat man gesehen. Daran muss sie arbeiten“, sagte der Sportdirektor.
Das Personal
Maximal konnten in Jakarta sechs Turner und vier Turnerinnen pro Nation starten. Der DTB trat jedoch nur mit vier Männern und drei Frauen an. Die deutsche Personaldecke ist in beiden Lagern dünn. Lucas Kochan (Cottbus), Pascal Brendel (Wetzlar) und Milan Hosseini (Böckingen) müssen nach langwierigen Verletzungen erst wieder Fuß fassen.
Ähnlich sieht es bei den Frauen aus, wo Ex-Weltmeisterin Pauline Schäfer-Betz (Chemnitz) und Jungstar Helen Kevric (Stuttgart) nach schweren Operationen erst wieder im Aufbautraining sind. „Die beiden jungen Turnerinnen, die hier waren, haben ihre Sache gut gemacht“, urteilte Gutekunst über Silja Stöhr (Heddesheim), die im Mehrkampf-Finale 21. wurde, und die erst 15-jährige Jesenia Schäfer (Chemnitz).
Die Struktur
Der DTB möchte gern, dass seine Topsportler mindestens häufiger, am liebsten aber immer zusammen trainieren. Bei den Männern gibt es die Stützpunkte Hannover, Cottbus, Berlin und Stuttgart, bei den Frauen Chemnitz und Stuttgart sowie für den Nachwuchs Mannheim. Doch nicht alle Kaderathleten sind dort vereint. „Wir setzen uns dafür ein - und das ist ja auch sportpolitisches Thema -, dass es eine Konzentration auf Stützpunkte gibt“, sagte der Sportdirektor.
Im Nachwuchsbereich solle es weiter eine dezentrale Struktur geben. „Im Seniorenbereich sind wir durchaus bereit, Konzentrationsprozesse vorzunehmen“, erklärte Gutekunst. Es sei normaler Weg, dass man mit den Sportlerinnen und Sportlern frühzeitig darüber spreche, wann ein guter Wechselzeitpunkt sei. Da sei aber noch Überzeugungsarbeit zu leisten. „Es kann nicht in jedem Verein bis zum Olympia-Teilnehmer trainiert werden.“
Die Trainer
Der DTB hat bereits seit mehreren Jahren ein Trainerproblem. Durch die noch nicht aufgearbeiteten Missbrauchsvorwürfe in Stuttgart und Mannheim hat sich diese Situation verschärft: Gleich fünf Trainer sind deswegen aktuell suspendiert. Für Chemnitz ist eine Stelle für den Nachwuchs ausgeschrieben, die bereits seit geraumer Zeit nicht besetzt werden kann. Für Stuttgart wurden bis Dezember 2028 erstmal die prominenten US-Trainerinnen Aimee Borman und LaPrise Williams verpflichtet. „Der Trainermarkt ist leer“, sagte Gutekunst.

Fehlgriff auf dem Weg zur Medaille: Karina Schönmaier.
Foto: Dita Alangkara