
Gregor Lewicki hat Bürgergeld beantragt - wartet aber noch auf die Auszahlung.
Foto: Arnd Hartmann
Ex-„Motato“-Chef in Not und mit einem Hilferuf aus der Bürokratie-Hölle
Das „Motato“-Restaurant an der Langener Landstraße im Norden von Bremerhaven ist Geschichte. Es war so lecker dort. Polnische Küche, Kartoffelgerichte. Essen mit Pfiff! Und dann im Mai 2023 plötzlich Insolvenz. Damit hatte das Drama für Inhaber Gregor Lewicki aber noch kein Ende.
Der Gastronom ist mit seiner Familie nach dem „Motato“-Aus in eine finanzielle Schieflage geraten. In eine dramatische. Der Antrag auf Bürgergeld wurde vor Monaten gestellt, bislang ohne Ergebnis.
Wie soll man Miete bezahlen? Wie das Essen oder die Windeln für die Kinder?
Der „Motato“-Chef war immer für seine Angestellten und Kunden da
Lewicki hat als Restaurantbetreiber alles für seine Angestellten und Kunden gegeben. Er war ein freundlicher Gastgeber, sympathisch und offen. Einfach ein toller Typ.
Jetzt kämpft er quasi ums Überleben. Und er hat einen Brief verfasst, den wir auf nord24 veröffentlichen dürfen - einen Hilferuf aus der Bürokratie-Hölle.
---
Ein Hilferuf aus der Bürokratie-Hölle: Erfahrungen beim Beantragen von Bürgergeld (von Gregor Lewicki)
Sehr geehrte Redaktion,
ich möchte meine zutiefst frustrierenden Erfahrungen beim Beantragen von Bürgergeld teilen, um auf die dringende Notwendigkeit von Verbesserungen im Sozialsystem aufmerksam zu machen. Die Situation, die meine Familie und mich betrifft, ist nicht nur unsere eigene, sondern auch die vieler anderer hilfsbedürftiger Menschen.
Mitte Mai 2023 sah ich mich gezwungen, mein geliebtes Restaurant „Motato“ schweren Herzens zu schließen. Diese Entscheidung bedeutete nicht nur das Ende meiner beruflichen Existenz, sondern führte auch zu einem kompletten Einkommensverlust. Als Vater von zwei Töchtern und Ehemann einer Frau in Elternzeit, sahen wir uns einer enorm schwierigen Situation gegenüber.
Um über die Runden zu kommen, entschieden wir uns, Bürgergeld zu beantragen. Da meine Frau und ich keinerlei Erfahrung mit diesem Prozess hatten, baten wir telefonisch um Hilfe beim örtlichen Jobcenter. Zu unserer Erleichterung wurden wir freundlich und kompetent beraten. Einige Tage später erhielten wir die Zugangsdaten für das Onlineportal des Jobcenters und konnten mit dem Antragsverfahren beginnen.
Im Mai übermittelten wir sämtliche erforderlichen Unterlagen vollständig an das Jobcenter. Wir waren uns bewusst, dass Nachfragen auftreten könnten, jedoch hat uns die Tatsache, dass eine vierköpfige Familie bis zur vollständigen Klärung ohne jegliche finanzielle Mittel auskommen muss, zutiefst enttäuscht und erschrocken.
Mitte September haben wir immer noch keinen einzigen Euro erhalten. Die Bearbeitung unseres Antrags dauerte vier Wochen, nur um festzustellen, dass weitere Unterlagen erforderlich sind.
Dieser Prozess wiederholte sich mehrmals, und immer absurdere Nachweise und Formulare wurden gefordert. Teilweise mussten Dinge mehrmals eingereicht werden, da sie offenbar verloren gingen. Es ist frustrierend zu erwähnen, dass wir bereits weit über 300 Seiten an Unterlagen hochgeladen haben. Dies grenzt an Schikane, wir hätten uns nicht vorstellen können, wie schwer es ist, Unterstützung zu erhalten.
Was die Situation für mich noch unverständlicher macht, ist die Tatsache, dass viele Menschen in ähnlichen Notlagen diesen Prozess mit Sprachbarrieren durchlaufen müssen. Für Menschen, die Deutsch nicht fließend sprechen, muss es nahezu unmöglich sein, diese bürokratischen Hürden zu überwinden und ihre Ansprüche geltend zu machen.
Währenddessen wissen meine Frau und ich nicht, wie wir Miete, Einkäufe und Rechnungen bezahlen sollen. Die Mitarbeiter am Telefon sind zwar stets freundlich, können jedoch oft nicht weiterhelfen, selbst wenn meine Frau unter Tränen unsere verzweifelte Situation schildert, da wir nicht einmal Geld für Windeln und Lebensmittel für unsere Kinder haben.
Erst nach drei Monaten wurde uns mitgeteilt, dass wir vor Ort eine Art Vorschuss erhalten können, um nicht vollständig mittellos zu sein. Warum mussten wir monatelang unzählige Anrufe tätigen, bis uns jemand auf diese Möglichkeit hinwies?
Darüber hinaus habe ich erfahren, dass viele Beratungen, die es für Bürgerinnen und Bürger gibt, auf Ehrenamtliche angewiesen sind. Das bedeutet, dass Freiwillige, ohne angemessene Schulung und Entschädigung, sich um Menschen in Not kümmern.
Diese Ehrenamtlichen leisten sicherlich Großartiges, jedoch sollte unser Sozialsystem ausreichend professionelle Unterstützung und Ressourcen bieten.
Ohne die Hilfe unserer Familien, unserer Freunde und zum Teil von Fremden wäre es uns nicht möglich gewesen, in unserem zu Hause wohnen zu bleiben und unsere Familie zu ernähren. Diese Erfahrung lässt uns verzweifelt fragen: Was machen Menschen, die niemanden haben?
Ich verfasse diesen Brief am 08.09.2023, und sollte das Jobcenter erneut 4-5 Wochen zur Bearbeitung benötigen, werden wir im Oktober immer noch kein Geld erhalten. Auch wenn meine Frau ihre Elternzeit unterbrochen hat und sich mittlerweile einen neuen Job gesucht hat und ich fleißig Bewerbungen schreibe, sind wir dennoch auf Unterstützung angewiesen. So langsam ist es keine Option mehr, sich von Freunden und Familie Geld zu leihen. Zumal es zu noch mehr Schulden führt, die wir später vom Bürgergeld nicht begleichen können. Es ist ein Teufelskreis, der unsere Familie und viele andere in ähnlichen Situationen in die Verzweiflung treibt.
Meine eigenen Erfahrungen beim Beantragen von Bürgergeld haben gezeigt, dass es Raum für Verbesserungen gibt. Dies betrifft nicht nur die Verfahren, sondern auch die Unterstützung und den Zugang für diejenigen, die möglicherweise nicht über ausreichende Ressourcen oder Kenntnisse verfügen, um den Antragsprozess erfolgreich zu durchlaufen.
Es ist wichtig, dass unsere Gemeinschaft sich dieser Fragen bewusst wird und gemeinsam daran arbeitet, den Zugang zum Bürgergeld zu erleichtern und sicherzustellen, dass es effektiv und gerecht genutzt wird.
Ich hoffe, dass dieser offene Brief dazu beitragen kann, die Diskussion über die
Verbesserung des Bürgergeldantragsprozesses in unserer Gesellschaft anzuregen.
Mit freundlichen Grüßen,
Gregor Lewicki Das Restaurant „Motato“ ist Geschichte. Foto: Lothar Scheschonka