Sie ist der Star, er ist der Neue
Hereinspaziert, hereinspaziert in die Ausstellung „Camille Claudel und Bernhard Hoetger“, die so oder so ähnlich vor 120 Jahren in der Galerie von Eugène Blot am Pariser Boulevard de la Madeleine Besucher anlockte. Monsieur Blot kennen heute nur Eingeweihte. Der Fabrikantensohn, der zunächst vor allem die bei ihm gegossenen Bronzen an den Mann bringen wollte, nahm bald Werke junger Künstler wie die von Hoetger in Kommission. Zu seinen Stamm-Künstlerinnen gehörte auch Camille Claudel, anerkannt in der Pariser Kunstszene, vielleicht sogar ein Star.
Historisches Foto zeigt die damalige Präsentation
Ein stark vergrößertes Foto an der Wand zeigt uns, wie die Präsentation 1905 in Blots Galerie aussah. Da stehen die Skulpturen von Camille Claudel (1864-1943) und Bernhard Hoetger (1874-1949) zwischen Farnen auf Jugendstil-Sockeln und Bildhauerböcken. Wie die anderen Räume aussahen, da tappen die Kunsthistoriker im Dunkeln. Doch sie wissen genau, welche Arbeiten damals gezeigt wurden. Denn zur Ausstellung gab es einen schmalen Katalog. Die Bremer haben keine Mühen gescheut, diese Werke zusammenzutragen. „Bis auf zwei oder drei Skulpturen ist uns das auch gelungen“, freut sich Museumsdirektor Frank Schmidt. Und das, obwohl Camille Claudel wie Paula Modersohn-Becker vor kurzem auf US-Tournee war und die französischen Museen sich eigentlich nicht schon wieder von ihren Schätzen trennen wollten.

© freiraumfotografie/Museum
Bernhard Hoetger setzt in seiner Pariser Zeit wie bei der Skulptur „Loie Fuller“ (1901) auf bewegte Oberflächen.
Die Bremer Schau beginnt mit zwei großartigen Arbeiten von Camille Claudel und Bernhard Hoetger: mit dem „Walzer“ und dem „Sturm“. Beide Skulpturen fangen die Bewegung ein, den Moment - da sind sich Bildhauerin, die sich bereits einen Namen gemacht hat, und der Bildhauer, den noch kaum jemand kennt, ganz ähnlich. Beide schätzten die Arbeiten von Auguste Rodin. Sie arbeitete jahrelang in seiner Werkstatt. Er war ganz hin und weg, als er Rodins Arbeiten während der Weltausstellung in Paris sah. Er war so fasziniert, dass er in Paris blieb.
Rodin will Bewegung in Bronze gießen
Da darf Rodin, der Superstar der damaligen Zeit, in der wunderbaren Bremer Ausstellung, die sich nach Themen gliedert, natürlich nicht fehlen. Rodin, ließ sich nicht vom Mainstream, dem damals vorherrschenden Klassizismus, vereinnahmen. Er scherte sich einen Teufel um angesagte heroische Posen. Stattdessen wollte er Bewegungen und Emotionen in Bronze gießen. Wie das geht, erzählen unter anderem sein „Denker“ und der „Bildhauer und seine Muse“.

© Jan Brockhaus/Museum
„Die Flehende“ (1898) von Camille Claudel gibt es auch als Entwurf.
Doch nun zurück zu unseren Hauptfiguren. Sowohl Camille Claudel als auch Hoetger setzen wie ihr Vorbild zunächst auf raumgreifende Gesten, spannungsvoll gedehnte Körper, bewegte Oberflächen. Bei Camille Claudel erstaunt das nicht, war sie schließlich mehr als ein Jahrzehnt Mitarbeiterin in seiner Werkstatt - vor allem als Spezialistin für Hände und Füße. Was hat Rodin gemacht, was seine Geliebte? Das ist immer noch ein Fall für die Kunst-Detektive. So wurde der „Kopf eines Banditen“ - im Besitz der Bremer Kunsthalle - erst ihm, später dann doch ihr zugeschrieben. Dass sie nur als seine Schülerin wahrgenommen wurde, war ein Grund, warum sie später den Kontakt gänzlich abbrach.
Vollkommenes Glück und absolute Verzweiflung
Dabei schälen sich, wer die Skulpturen genau betrachtet, die Unterschiede heraus. Sie legt mehr Wert auf die seelischen Vorgänge. Zu ihren schönsten Werken gehört der „Walzer“, Mann und Frau im Rausch des Tanzes vereint. Dem vollkommenen Glück steht die absolute Verzweiflung gegenüber: Mit „Das reife Alter“ schuf die Bildhauerin eine Skulpturengruppe, die durchaus als Sinnbild für ihr eigenes Schicksal gelesen werden kann. Eine ältere Frau zieht die jüngere von einem Mann weg. Nach der Trennung von Rodin verelendete Claudel zusehends, am Ende verließ sie ihr verwahrlostes Atelier nicht mehr. Ihre Familie ließ sie 1913 in eine psychiatrische Klink einweisen, wo sie bis zu ihrem Tod 1943 lebte. „Die Flötenspielerin“ und „Fortuna“ aus dem Jahre 1905 sind ihre letzten Werke.

© Museum
Sehr gerne arbeitete Camille Claudel auch in Marmor, doch konnte sie sich das teure Material selten leisten. Das historische Foto zeigt sie vor ihrer Statue „Perseus und die Gorgone“.
Die Schau bei Blot vereinte - wie die jetzt in Bremen - Werke aus all ihren Schaffensphasen. „Es ist die umfangreichste Präsentation der Werke von Claudel in Deutschland seit fast 20 Jahren“, so Schmidt.
Hoetger faszinierte der Montmartre
Während für Camille Claudel die Ausstellung den Endpunkt ihrer Karriere einleitete, stand sie für Hoetger für den Beginn. In Paris saugte der gelernte Steinmetz wie ein Schwamm all die künstlerischen Einflüsse um sich herum auf. Er verkehrte mit den Kunst-Größen auf dem Montmartre, unter anderem mit Picasso und Matisse. Obwohl Hoetgers Anfänge in Paris hart waren, verließ ihn nie das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. „Hier ist einer, der (...) arglos zwischen unseren zwei Millionen Banausen landet: er hat kein Geld, spricht unsere Sprache nicht. Das ist ihm egal: In seinem engen Zimmerchen macht er sich an die Arbeit“, so beschrieb der Kritiker Louis Vauxcelles 1905 Hoetgers Anfänge.
Seine Motive fand der Deutsche vor der Haustür. Den Montmartre bevölkerten die Armen, die Ausgestoßenen. Wie seine Freunde, die Zeichner, hielt auch Hoetger das soziale Elend, die Not, das harte Leben fest. Sein „Bettler“ setzt auf eine realistische Darstellung, die bewegte Oberfläche erinnert noch Rodin. Wie sein großes Vorbild dienen Hoetger Aquarelle als Studien von Körperhaltungen, er möchte ein Gefühl für Bewegungen bekommen. Seine Figuren haben allerdings stärkere Konturen als die von Rodin. Da die Aquarelle, die damals gezeigt wurden, alle verkauft wurden, zeigen die Bremer Arbeiten aus ihrer Sammlung.
Der Künstler entdeckt seine ureigene Bildsprache
Viele Skulpturen von Hoetger - vor allem im dritten Raum in der Vitrine zu sehen - führen vor Augen, wie schwer die einfachen Leute damals schuften müssen. Erst mit dem „Eberswalder Torso“ entdeckte Hoetger seine ureigene Bildsprache, die Oberflächen beruhigen sich, die Figuren werden monumentaler, blockhafter - auch zu sehen bei der „Maske von Lee Hoetger“. Der Deutsche in Paris avancierte neben Aristide Maillol, seinem Kollegen und Rivalen, zu einem angesagten Bildhauer der damaligen Zeit, gehört zur „europäischen Avantgarde“. Und bekam bald Aufträge aus Deutschland.

Bernhard Hoetger fängt in „Der Sturm“ (1901) die Bewegung ein.
Rodin urteilt: „Hoetger fand den Weg, den ich suchte, und wäre ich nicht ein alter Mann, ich wollte diesen Weg gehen, den Weg zum Monumentalen, der der einzig richtige ist.“ Mehr Lob geht nicht.
Oder doch. Lassen wir zum Ende noch einmal Eugène Blot zu Wort kommen, der Camille Claudel in einem Brief mitteilte: „Mit der Flehenden sind Sie endlich Sie selbst geworden, komplett befreit vom Einfluss Rodins, war ihre Inspiration so großartig wie ihre Ausführung. Mit Ihnen verließ man die Welt des falschen Scheins und trat ein in die Welt der Vorstellungskraft. Was für ein Genie. Das Wort ist nicht stark genug. Wie konnten Sie uns so viel Schönheit vorenthalten?“
Schwelgen Sie, verehrte Zeitreisende, noch bis zum 18. Mai in all dieser Schönheit.
Was: „Camille Claudel und Bernhard Hoetger. Emanzipation von Rodin“
Wo: Paula Modersohn-Becker Museum in der Böttcherstraße 6-10 in Bremen
Wann: Bis zum 18. Mai. Die Schau ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Jeden Sonntags gibt es um 11.30 Uhr eine Führung.
Eintritt: 12 (ermäßigt 8) Euro
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