Wenn sich alle gekonnt biegen
Da steht er nun, der Diener Plietschmann aus Cuxhaven. Mit einem Loch im Bauch vor Hunger, aber mit viel Chuzpe am Leib. Einer, der sich nicht unterkriegen lässt. Vor fast 280 Jahren wurde Carlo Goldonis Komödie „Der Diener zweier Herren“ uraufgeführt und zu einer der berühmtesten Komödien, die das Theater kennt. Am Sonnabend feierte sie am Stadttheater Premiere - in einer eigenen Fassung. Venedig hat ausgedient, die Handlung spielt in Bremerhaven.
In einer Zeit, als das Wort „krass“ modern war
Seit dem Jahr 1746 hat Goldonis Verwechslungskomödie selbst so manche Wandlung mitgemacht. Es gibt etliche Fassungen des Stücks. Gastregisseur Kay Neumann, der die Bremerhavener Variante geschrieben hat, verlegt die Geschichte in die 1980er oder 1990er Jahre, als das Wort „krass“ modern war und es noch keine Smartphones gab, die der Tod aller Verwechslungskomödien sind. Der Regisseur setzt dennoch auf die ursprüngliche Leichtigkeit und den Humor des Stücks. Das Ziel lautet: Die Zuschauer sollen Spaß haben. Das funktioniert natürlich nur mit fantastischen Schauspielern, die gekonnt miteinander agieren. Neumann hat sie gefunden.
Köstlich gleich zu Beginn, wie alle sich vor Schreck synchron verbiegen, wenn Plietschmann (Henning Bäcker) die Verlobungsgesellschaft anmotzt. Dieser Diener, der mit seinem Bärtchen aussieht wie ein 80er-Jahre-Mafioso, ist kein Untertan, sondern einer, der vor den Augen des Hausherren, des reichen Bremerhavener Kaufmanns Hosemann (Frank Auerbach), dessen Haushaltshilfe Charlotte (Marsha Zimmermann) heftig anflirtet. Sein Anmachspruch „Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick – oder soll ich nochmal reinkommen?“ könnte - wie so einige Sprüche mehr - klamottig wirken, wenn da nicht sein komödiantisches Spiel wäre. So eine Männerwade wirkt.
Die Logik mal für knapp drei Stunden beiseiteschieben
Ein Merkmal der Verwechslungskomödie ist, dass die Handlung logisch nicht zu erklären ist. Das ist in der Bremerhavener Fassung nicht anders. Da will ein Kaufmann seine Tochter Clara mit jemandem verloben, den er - und sie - gar nicht kennen. Wirklich? In den 80ern? Zwei Erwachsene, die nicht ein Wort lesen können? Ganz so schlimm steht es um die Bildung hier auch nicht. Die Bremerin Beatrix Rasperg schlüpft in Männerkleidung, gibt sich als ihren ermordeten Bruder aus, um bei Hosemann Geld zurückzuholen. Benötigen Frauen immer noch Männerkleidung, um sich gegen alte weiße Herren durchzusetzen?
Der Reiz der Inszenierung liegt darin, das einfach mal beiseitezuschieben und zu genießen, wie eine Gesellschaft bei all den Wendungen haarsträubende Handlungen vollführt.
Etwa wenn Silvester Friesdorf (Alexander Smirzitz) seinen vermeintlichen Nebenbuhler, die verkleidete Beatrix (Julia Lindhorst-Apfelthaler), zum Kampf herausfordert. Eine geniale Szene, die die beiden abliefern. Ihr Boxkampf sieht anfangs aus wie der Schlagabtausch unter Dreijährigen, geht in eine Kung-Fu-Szene über und endet nahtlos in einem Schuhplattler-Tanz. Ergibt keinen Sinn, aber ist perfekt choreografiert und witzig. Die Szene zeigt auch, dass das Stadttheater einen weiteren Schauspieler mit großem komödiantischem Talent hat. Smirzitz ist neu am Haus und selten hat man einen Mann so herrlich flennen gesehen.

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Wenn zwei „Männer“ miteinander boxen, wird's mitreißend komisch: Silvester (Alexander Smirzitz) kämpft gegen seinen vermeintlichen Rivalen, Beatrix in Männerkleidung (Julia Lindhorst-Apfelthaler).
Die letzte Kneipe vor New York als Bühnenbild
Damit passt er perfekt zu den Ensemblemitgliedern, die allesamt überzeugen: Frank Auerbach, der als Geizkragen immer auf seinen Vorteil bedacht ist. Anna Caterina Fadda als Clara, die verwöhnte Tochter. Marsha Zimmermann ist die schüchtern-resolute Haushaltshilfe Charlotte und Marc Vinzing erinnert als Felix an einen geschniegelten amerikanischen College-Boy. Kay Krause hält als besserwisserischer Anwalt Friesdorf seinen Sohn an der kurzen Leine.
Die Kneipe von Wirt Schunke (Aom Flury) kennt jeder Bremerhavener: Monika Frenz (Bühnenbild und Kostüme) ließ die Außenansicht des „Treffpunkt Kaiserhafen“ gleich zweifach nachbauen für die Schlüsselszene: Wenn Plietschmann seine beiden Herren abwechselnd mit Speisen bedient - und sich selbst endlich satt macht. Tief den Kopf in der Roten Grütze.

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Da landet der Wein im eigenen Mund: Henning Bäcker als Plietschmann, im Hintergrund spielt die Band (Jan-Hendrik Ehlers, Stephan Werner, Marco Priedöhl).
Die norddeutsche Speisenfolge wie auch die Bremerhaven-Bezüge in den Dialogen hat sich Neumann ausgedacht. Wenn Plietschmann bekennt, dass er, der Ungelernte, hier noch Busfahrer oder Oberbürgermeister werden könnte, sind ihm die Lacher sicher.
Für Leichtigkeit in der Komödie sorgen auch die drei Musiker (Jan-Hendrik Ehlers, Marco Priedöhl, Stephan Werner), die immer wieder auf die Bühne kommen, kurz spielen und, als Running Gag des Abends, stets von der Haushaltshilfe hinausgeworfen werden.
Am Ende bekennt der Diener: „Für jeden kommt einmal die Stunde der Wahrheit und dann heißt es: lügen, lügen, lügen.“ Das tun wir nicht: Wer sich amüsieren und Schauspieler in Höchstform erleben möchte, ist hier richtig.
Das Stück „Der Diener zweier Herren“ nach Carlo Goldoni, in einer Fassung von Kay Neumann, ist im Großen Haus des Stadttheaters Bremerhaven zu sehen. Die nächsten Aufführungstermine: Sonnabend, 28. September, 19.30 Uhr; Sonntag, 6. Oktober, 18 Uhr; Sonntag, 13. Oktober, 15 Uhr; Donnerstag, 17. Oktober, 19.30 Uhr und Freitag, 15. November, 19.30 Uhr. Karten ab 20 Euro unter stadttheaterbremerhaven.de oder 0471/49001.
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