Premiere „Der Blick von der Brücke“ überzeugt in Bremerhaven nur so halb

Premiere „Der Blick von der Brücke“ überzeugt in Bremerhaven nur so halb

Männer mit Macho-Gehabe bestimmen das Weltgeschehen - im Großen wie im Kleinen. Da könnte es interessant sein, sich einen dieser Macker aus der Nähe anzusehen. Im Stadttheater Bremerhaven zum Beispiel.

Die Tragödie eines wütenden Mannes

Die Premiere „Der Blick von der Brücke“ von Arthur Miller überzeugt in Bremerhaven nur so halb

Das Stück „Der Blick von der Brücke“, in dem wir im Großen Haus in Bremerhaven Eddie kennenlernen, der sich wie ein Macker aufführt, hat ein bisschen Staub angesetzt. Natürlich benennt der amerikanische Dramatiker Arthur Miller, der es in den 50er Jahren geschrieben hat, nicht die Probleme von heute. Das Regieteam belässt das Drama deshalb zu Recht in seiner Entstehungszeit. Vor allem die Frauenrollen wären heute so nicht mehr vorstellbar. Eine kecke 17-Jährige, die ihren Onkel um Erlaubnis fragen muss, ob sie Geldverdienen und Ausgehen darf, eine duldsame Ehefrau, die ihren Mann zwar durchschaut, aber trotzdem bis zum bitteren Ende bei ihm bleibt, wären im 21. Jahrhundert nicht mehr glaubwürdig.

Auseinandersetzung mit Fäusten und Messern

Das ist bei den Männerrollen anders. Egos, Egos und noch mal Egos konnten wir gerade im Polittheater in Berlin bestaunen. Echte Macker, klare Rollen, starke Worte. Zugegeben bei Miller wird es sehr viel handgreiflicher, da gehen die Kontrahenten mit Fäusten und Messern aufeinander los.

Für die Hafenarbeiter, die beim Löschen der Ladung schwer schuften müssen, ist nur ein harter Kerl ein ganzer Mann. Deswegen ist der junge Illegale Rodolpho, der gerne kocht, näht, tanzt und singt, ein Außenseiter, Alexander Smirzitz macht aus ihm fast die Karikatur eines femininen Mannes. In einem Wut- und Eifersuchtsanfall knutscht Eddie ihn ab, um ihn als schwul zu brandmarken, alternative Fakten, lernen wir, gab es schon in den 50er Jahren. Nur nannte das damals niemand so, sondern Denunziation und Verleumdung. Wegen dieser Szene, man mag es heute kaum glauben, durfte das Stück bei der Londoner Erstaufführung nur vor Club-Mitgliedern des Theaters aufgeführt werden.

Macho Eddie treibt die Handlung voran

In Millers Stück treibt der Macho Eddie die Handlung voran. Frank Auerbach spielt diesen Bestimmer sehr energiegeladen. Dieser Eddie fordert von anderen Respekt ein - notfalls mit Gewalt. Dabei ist er sowohl Macker als auch armer Wicht. Denn er hat sich „verfühlt“, sich in seine Nichte verguckt, die er zusammen mit seiner Frau großzog. Deshalb will er sich nicht damit abfinden, dass sie sich in den jungen Einwanderer Rodolpho verliebt hat. Er hegt schon lange mehr als väterliche Gefühle für das Mädchen, doch erst die Ankunft der beiden Cousins seiner Frau treibt die Situation auf die Spitze.

Stoff für ein klassisches Psychodrama

Das ist der Stoff für ein klassisches Psychodrama. Eigentlich. Doch in Bremerhaven spielt Regisseur Tim Egloff, dem wir viele vorzügliche Inszenierungen wie „Der goldene Drache“, „Die sieben Todsünden“, „Fleisch ist mein Gemüse“ und „Tartüff“ verdanken, diesen Trumpf nicht aus. Fast alle Figuren bleiben blass, weil wir sie nur von außen sehen. Warum sie in dem einen Moment so, im nächsten anders agieren, ist schwer nachvollziehbar. Die Achterbahn der Gefühle kennt nur die Ausschläge nach oben (Wut) und nach unten (Verzweiflung). Es wird viel geschrien, nicht immer verständlich. Das fängt bereits beim Anfangsdialog zwischen Eddie und Beatrice (Marsha B. Zimmermann) an. Immer wenn es leiser wird, fesselt die Handlung stärker.

Besonders deutlich wird das an der Figur des Rechtsanwalts Alfieri (Henning Z Bäcker), der als Erzähler bedächtig das Geschehen Handlung kommentiert. Ihm hätten wir ewig zuhören können. Selbst Marc Vinzing wird in seinen Nebenrollen plausibler als manche Hauptfigur.

Aus dem Konflikt gibt es keinen Ausweg

Warum man diesen abgehangenen Text des Moralisten heute auf den Spielplan setzt? Ich weiß es nicht. Die Bremerhavener Inszenierung findet darauf jedenfalls keine Antwort. Nur eines ist klar: die Migrationsproblematik ist es nicht. Denn im Kern dieses Stückes geht es nicht um illegale Einwanderung, sondern um tödlich endende Eifersucht.

Aus diesem fast griechischen Tragödienstoff gibt es keinen Ausweg. Das macht uns die Bühne von Jeremias Böttcher von Anfang an klar. Alles versinkt im Dunkel, die stilisierte Brooklyn-Bridge ebenso wie die Wohnung der Familie. Ein Ort der Trostlosigkeit.

Tante als Verkörperung der Vernunft

Lediglich die Kostüme von Mascha Schubert sorgen für Farbtupfer. Anna Caterina Fadda als Catherine, das Objekt der Begierde, trägt kurze Kleider - angelehnt an den Stil der 50er Jahre. Auch ihre Tante Marsha B. Zimmermann als Verkörperung der Vernunft zwischen den Fronten, macht modisch was her. Rodolfo und Marco (Leon Häder fast zu lieb für einen Rachemord) kleiden sich in braune Klamotten, um sich von der Kernfamilie abzusetzen.

Wenn der finale Racheakt vollzogen und der Anwalt diesen sinnlosen Tod betrauert, fühlen wir kaum Mitleid. Ist Eddie ein Monster oder einfach nur ein Mann, der sich emotional verrannt hat? Wir bleiben verwirrt zurück. Und wissen immer noch nicht recht, was wir von ihm halten sollen. Dieser Macho bleibt uns fremd.

Was: Arthur Miller: „Ein Blick von der Brücke“, Schauspiel

Wo: Großes Haus des Stadttheaters Bremerhaven

Wann: Weitere Termine 16. und 29. November, am 12. und 14. Dezember sowie am 25. Januar.

Karten: Zwischen 19,50 und 41 Euro unter 0471/49001.

Zwei Männer und eine Frau auf einer Bühne

© Manja Hermann

Wer ist denn hier der Stärkere? Marco (Leon Häder, links) zeigt es Eddie (Frank Auerbach). Eddies Frau Beatrice (Marsha B Zimmermann) schaut sich diesen Machtkampf ratlos an.

Auf einen Blick

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Erstellt:
10.11.2024, 19:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 33sec

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