Riesen-Faust regt die Fantasie an
Vorhang auf für ein Spiel mit doppeltem Boden: Die Dinge sind nicht so wie sie scheinen. Oder doch? Alberta Niemann und Jenny Kropp, die zusammen als Künstlerinnen-Kollektiv Fort auftreten, stellen in der Weserburg im übertragenen Sinne Fallen auf. Und die Besucher tappen lustvoll hinein.
Hitchcock-Atmosphäre im Museum
Das war schon beim ersten Weserburg-Auftritt der beiden Künstlerinnen so, die ursprünglich mal als Trio starteten, nun aber schon lange als Duo unterwegs sind. 2019 sorgten sie bei der ersten Remix-Ausstellung in dem Museum für Hitchcock-Atmosphäre. Da schauten zwei Füße unter einem Vorhang hervor, der sich leicht bewegte. Gruselig und lustig zugleich.
Die Künstlerinnen haben nie die geballte Faust in der Tasche, sondern treiben ihr komisches Spiel mit den Betrachtern, das manchmal ins Abgründige abrutscht wie viele Beispiele in der Ausstellung „Fort. Fantasy Island“ zeigen. Das Duo erklärt die Weserburg kurzerhand zum Fantasie-Wunderland. Und macht Kurator Ingo Clauß damit ein bisschen stolz.
Die Titel - nicht nur der Ausstellungs-, sondern auch die Werktitel - spielen eine entscheidende Rolle. Denn sie lenken die Fantasie der Betrachter - jedenfalls ein kleines bisschen. So heißt die in die Jahre gekommene Riesen-Faust „Hercules“ genauso wie das Fahrrad, das neben der Faust achtlos abgestellt ist. Was wohl der für seine übermenschliche Stärke bekannten Gott davon halten würde?
Mehr Fragen als Antworten
Die geballte Faust, immer noch ein Zeichen von Protestbewegungen weltweit, ist ein Relikt aus einem DDR-Textilkombinat in Sachsen. „Was ist die Faust für ein Symbol?“, fragt Alberta Niemann. „Sie stand mal für Widerstand, für Revolution. Doch heutzutage wird jedes neue Shampoo als revolutionär angepriesen.“ Das Fahrrad der Marke „Hercules“, ein Westprodukt, wiederum ist ein Zeichen für Mobilität, für individuelle Unabhängigkeit. Prallen hier Ost und West als Gegensätze aufeinander? „Wir haben mehr Fragen als Antworten“, sagt die 42-Jährige nur, die in Bremen aufgewachsen ist.
Kurator Clauß nennt beide politische Künstlerinnen. Natürlich nicht wie bei der Faust im Sinne von Agitprop, sondern die zwei verstehen sich eher als Seismografen von gesellschaftlichen Entwicklungen. So lässt sich die Arbeit „Bye Buy“ (2025), die ausgeblichene Rückwände eines Geschäfts in einen Rahmen stellt, als Abgesang auf den Kapitalismus lesen. Zu einem noch stärkeren Sinnbild werden die leergeräumten Regale einer Schlecker-Filiale mitsamt ratternden Laufband an der Kasse. Der ehemalige Laden gleicht einem Filmset, nur findet die Bilderfolge ausschließlich im Kopf der Betrachter statt.
Der Urvater des Readymades
Alberta Niemann und Jenny Kropp verleiben gewöhnliche Gegenstände ihrem Werk ein. Da stehen sie auf den Schultern von Marcel Duchamp, der 1913 das Laufrad eines Fahrrads ins Museum verfrachtete - sein Flaschentrockner von 1914 ist weiter unten in der ständigen Ausstellung „remix“ zu sehen. Die Signatur allein, so sein Credo, mache das Kunstwerk, das Readymade. Unser Künstlerinnen-Duo tut es ihm gleich, stellt einfach eine Heizung ins Museum. Die Besucher rätseln kurz: Stand die da schon immer?
Alltägliche Gegenstände begegnen uns in der Schau immer wieder, allerdings ist das Gewohnte ein wenig ver-rückt. Das Duo bringt - wie einst die Surrealisten - Objekte zusammen, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören. Egal, ob es sich um Schuhe, einen Mülleiner, ein Kinderfahrgeschäft, ein Blumen-Stillleben oder rote Luftballons handelt: All diese Dinge spielen in der Ausstellung eine andere Rolle als in ihrem ersten Leben.
Die Fundstücke erzählen Geschichten
Nun erzählen diese Fundstücke Geschichten mit doppeltem Boden. Denn die Werke thematisieren Gegensätzliches: Bewegung und Stillstand, Trauer und Hoffnung, Spaß und Tristesse, Schönheit und Vergänglichkeit, An- und Abwesenheit. Mit Risiken und Nebenwirkungen: Während man noch leise über den Kitsch im „Broken Hearts Club“ (219/2025) lacht, wird einem eng ums Herz. Die allmählich zu Boden sinkenden Herz-Luftballons erinnern an die Vergänglichkeit von Gefühlen.
Nur still Tableaus im Raum zu arrangieren, reicht den Künstlerinnen nicht mehr. Ihre jüngste Arbeit „Last Song“ (2025) setzt auf Musik. Aus 15 Schränken und einer Truhe erklingen Kinderlieder - mal eine einzelne Stimme, mal überlagern sie sich oder in wenigen Momenten auch als raumfüllender Chor. Gespenstisch und schön zugleich.
Die anderen Arbeiten - 12 Werke umfasst die Schau insgesamt - müssen die Betrachter auf eigene Faust entdecken. Wie hat es Marcel Duchamp so schön formuliert? „Ein Kunstwerk existiert dann, wenn der Betrachter es angeschaut hat. Bis dahin ist es nur etwas, das gemacht worden ist und wieder verschwinden kann, ohne dass jemand davon weiß.“ Dann also mal los.

© Museum
Jenny Kropp und Alberta Niemann haben 2008 das Künstlerinnenkollektiv Fort gegründet.
Auf einen Blick
Was: „Fort. Fantasy Island“
Wo: Weserburg, Auf dem Teerhof in Bremen
Wann: Bis zum 25. Mai. Die Schau ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 zu sehen.
Eintritt: 9 (ermäßigt 5) Euro