Sprachtalent Anastasia
Deutsch spricht das aufgeweckte Mädchen mit den langen blonden Haaren mittlerweile so gut, dass auf ihrem Zeugnis zum Abschluss der vierten Klasse an der Grundschule Hohenfelde in Wardenburg (Kreis Oldenburg) eine 2 stehen wird.
„In den fast zehn Jahren, in denen ich hier an der Schule bin, habe ich so ein Kind noch nicht erlebt“, sagt Marlene Poeschel. Die 65-Jährige unterrichtet Plattdeutsch an der Grundschule und suchte Kinder, die am „Lääswettstriet“ der Oldenburgischen Landschaft teilnehmen wollten.
Anastasia, kurz Nastia, wollte, meldete sich, machte mit und gewann direkt den schulinternen Wettstreit. „Das war gar nicht so schwer. Ich musste nur vorlesen, was das steht“, verrät Nastia ihr Erfolgsgeheimnis, mit dem sie den Schulwettbewerb zwar gewann, beim Kreisentscheid dann aber nicht weiterkam. „Warum eigentlich nicht?“, fragt die Schülerin ihre Plattdeutsch-Lehrerin und Marlene Poeschel antwortet: „Ist doch egal. Wir hatten so viel Spaß in der Vorbereitung und danach mit den Fernsehteams.“
Ja, Anastasia war schon im Fernsehen und ein Team aus der Show „Kaum zu glauben“ mit Kai Pflaume war auch schon in der Schule. Mal schauen, ob das Rateteam in der Sendung dem besonderen Talent von Anastasia demnächst auf die Spur kommt.
Ist es schwierig, Deutsch zu lernen? „Für mich nicht“, antwortet die Viertklässlerin, die nach den Sommerferien ans Gymnasium wechselt und nebenbei am Nachmittag online per Computer noch den Abschluss an ihrer Grundschule in der Ukraine nahe der Hauptstadt Kiew absolviert hat. Von dort aus war die Familie im März vergangenen Jahres nach Deutschland geflüchtet. Zunächst die Mutter mit Anastasia und ihrer kleinen Schwester sowie den Großeltern. „Es war so traurig, als wir Papa aus dem Bus gewunken haben“, sagt Anastasia und lächelt schon wieder, wenn sie daran denkt, dass ihr Vater schon eine Woche später nachkommen konnte. Er musste sich zunächst seine Ausreise genehmigen lassen.
Aus der Nähe von Kiew ging es für die Familie in Deutschland aufs platte Land. Warum Wardenburg? Weil dort bereits die Schwester ihrer nun ebenfalls aus der Ukraine geflüchteten Oma lebte. Als der Reporter dieser Zeitung Anastasia in der Schule besucht, wäre ihre Mutter Katerina auch gern vor Ort gewesen. „Leider werde ich nicht dabei sein können, da ich von 8 bis 13 Uhr einen Deutschkurs besuche“, schreibt die Mutter in einer Mail. Das geht vor.
Anastasia spricht schon so gut Deutsch, dass sie ihren Eltern und Großeltern – auch die sitzen mit im Sprachkurs – hin und wieder hilft. „Ich habe meiner Oma auch schon bei den Hausaufgaben geholfen“, verrät das Sprachtalent, das neben Ukrainisch, Russisch und Deutsch auch Englisch spricht. Und Plattdeutsch eben. Wobei: „Ich kann es gut vorlesen, aber noch nicht sprechen“, räumt Nastia ein. „Moin“ kennt sie aber natürlich. „Das sagt hier ja jeder.“
Für Plattdeutsch-Lehrerin Marlene Poeschel steht fest, was Anastasia später beruflich einmal machen sollte: „So leicht, wie sie Sprachen lernt, müsste sie eigentlich Dolmetscherin werden.“ Auch wenn die pädagogische Mitarbeiterin Poeschel mit Beginn der Sommerferien in den Ruhestand geht, kann sie Kontakt zu Anastasia halten. Ihre Handynummern haben die beiden jedenfalls schon ausgetauscht. „Und wir haben auch noch ein Geschenk für Dich“, kündigt das Mädchen seiner Lehrerin mit leuchtenden Augen an, macht aber auch direkt klar: „Mehr verrate ich noch nicht.“ (axt)
Anastasia schnappt sich das Heft mit der Aufschrift „De Abenteuers van Kalle un Murphy“ und liest vor, was die beiden Kater so alles erleben – und das in einwandfreiem Plattdeutsch. Die Zehnjährige stammt aus der Ukraine und lebt erst seit gut einem Jahr in Deutschland.