Landesregierung in der Defensive
„Eine solche Instrumentalisierung ist völlig unangemessen und zeugt von wenig Sensibilität für die Situation der Angehörigen, aber auch gegenüber den eingesetzten Beamtinnen und Beamten“, sagte Behrens im Gespräch mit unserer Redaktion.
Die niedersächsische Polizei setze nur äußert selten und nur unter ganz besonderen Bedingungen überhaupt Schusswaffen ein. Laut Ministerium wurde im Jahr 2023 in Niedersachsen in 2207 Fällen eine Schusswaffe eingesetzt, davon lediglich viermal gegen Personen.
Die Innenministerin reagierte auf Vorwürfe der AfD-Landtagsfraktion, wonach die „Verweigerungshaltung der Landesregierung in Sachen Taser weitere Opfer gefordert“ habe. „Unsere Polizeibeamten sind oftmals gezwungen, zur Schusswaffe zu greifen, weil ihnen das mildere Mittel des Tasers im Gegensatz zu ihren Kollegen in zahlreichen anderen Bundesländern nicht zur Verfügung steht“, meinte der AfD-Abgeordnete Stephan Bothe.
Tödlicher Waffeneinsatz nach Attacke auf Beamten
Zu dem Polizeieinsatz kam es am Sonnabend in der Nienburger Innenstadt. Der genaue Ablauf ist unklar. Nach den bisherigen Erkenntnissen der Ermittler soll der Mann seine Partnerin zunächst mit einem Messer bedroht haben. Sie verständigte die Polizei. Der Mann aus Gambia habe dann Polizisten und einen Diensthund mit einem Messer angegriffen. Der Hund wurde verletzt. Polizisten schossen auf den Mann: Acht Projektile trafen den 46-Jährigen. Er starb unmittelbar.
Eine 45-jährige Beamtin wurde bei dem Einsatz angeschossen. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie versehentlich von einem Projektil aus einer Polizeiwaffe getroffen wurde.
Innenministerin Behrens indes bekräftigte ihr Nein zur Ausstattung aller Polizeibeamten mit Tasern. Ihre Haltung fußt dabei nach eigenen Angaben auf Einschätzungen von Praktikern innerhalb der Polizei. Demnach gehörten Taser „auch nach intensiver Prüfung“ für den Streifendienst nicht zu den Einsatzmitteln, die die Beamten für ihre tägliche Arbeit brauchten. „Deshalb bleiben wir in Niedersachsen dabei, dass der Einsatz von Tasern dem SEK vorbehalten bleibt“, so Behrens. Laut Innenministerium werden Taser in Niedersachsen bereits seit dem Jahr 2001 durch das Spezialeinsatzkommando (SEK) verwendet.
Opposition und Gewerkschaft fordern Taser in Niedersachsen
Die CDU im Landtag hatte kürzlich ein Pilotprojekt zur Einführung von Tasern in Niedersachsen gefordert. Einen entsprechenden Antrag der Oppositionsfraktion lehnte die rot-grüne Mehrheit im Landtag allerdings ab. „Das Holster eines jeden Polizeibeamten ist bereits gut ausgestattet mit verschiedenen Einsatzmitteln wie Handfesseln, Taschenlampe, Einsatz-Mehrzweck-Stock, Reizgas, Waffe und Ersatzmagazin. Dennoch gibt es Situationen, in denen zusätzliche Mittel zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben erforderlich sind“, argumentiert die CDU-Landtagsabgeordnete Saskia Buschmann, Mitglied im Innenausschuss. Sie verweist zudem auf „positive Erfahrungen aus anderen Bundesländern, die bereits Taser im Polizeieinsatz verwenden“.
Zu Jahresbeginn hatte die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) bereits eine Ausstattung der Polizisten in Niedersachsen mit Tasern gefordert. Zur Begründung sagte der Landesvorsitzende Patrick Seegers unserer Redaktion: „Polizisten setzen zunächst ihren Körper und in der nächsten Stufe den Schlagstock oder das Reizstoffsprühgerät ein.“ Danach bleibe als letztes Mittel der Einsatz der Schusswaffe. „Wir plädieren hier sehr dafür, eine weitere Zwischenlösung in Form eines Tasers zu installieren. Auch deshalb, weil es mit unseren Polizisten immer etwas macht, wenn sie mit einer Schusswaffe auf Personen zielen müssen.“
Wäre die Lage am vergangenen Wochenende in der Innenstadt von Nienburg nicht so eskaliert, hätten die Beamten zum Taser statt zur Schusswaffe greifen können? Hätte die in der Fachsprache „Distanz-Elektroimpulsgerät“ genannte Waffe zu einem glimpflichen Ausgang des Einsatzes geführt? Das lässt sich im Nachhinein freilich nur schwer beurteilen.
Fest steht indes die traurige Bilanz: Acht Projektile aus Polizeiwaffen trafen den 46-jährigen Angreifer. Er war sofort tot. Auch wurde eine 45 Jahre alte Polizistin bei dem Einsatz angeschossen und schwer verletzt – wie es aussieht, versehentlich von einem Projektil aus einer Polizeiwaffe.
Die AfD und die Deutsche Polizeigewerkschaft fordern, alle Polizisten in Niedersachsen mit Tasern auszustatten. Die CDU schlägt ein Pilotprojekt vor. Rot-Grün aber bleibt hartnäckig beim Nein.
Warum eigentlich? Experten aus Polizeikreisen meinen laut Innenministerin Behrens, dass Elektroschock-Pistolen für den Streifendienst nicht nötig seien. Doch gilt das nach Nienburg noch? Zumindest sollte die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen ihre strikte Ablehnung überdenken und eine offene Debatte zulassen.
Wenn selbst Polizeigewerkschafter lautstark nach Tasern rufen, sollte der Politik das zu denken geben. Helfen weder körperlicher Einsatz noch Schlagstock oder Reizgas, bleibt den Beamten derzeit in letzter Konsequenz eben nur der Griff zur Schusswaffe. Genau an dieser Stelle könnte ein milderes Mittel in Form eines Elektroschockers Sinn ergeben.
Nordrhein-Westfalen hat in den vergangenen Jahren Erfahrungen mit dem Taser gesammelt. Übrigens nicht nur gute, es kam auch zu Todesfällen nach dem Einsatz dieser Waffe. Das zeigt, dass das Gerät sicher kein Allheilmittel ist. Eine intensive politische Debatte über den Einsatz aber ist allemal besser als eine kategorische Absage.
Überdenken der Haltung ist das Mindeste
Lars Laue

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