Was für ein Finish am Ende, das in die Geschichte eingehen könnte - denn so ein Drehbuch gab es schon einmal: Damals im Westfalenstadion bei der WM 2006, als Oliver Neuville mit seinem Last-Minute-Treffer zum 1:0 gegen die Polen ganz Deutschland begeisterte. Dieses Mal war es Niclas Füllkrug. Ein Tor, um die Fans zu „emotionalisieren“ lobte der Bundestrainer nach einem Spiel, mit dem er zufrieden war. Trotz alledem.
Im Gegensatz zum Siegtreffer des Oliver Neuville war es am späten Sonntagabend nur der Treffer zum 1:1 gegen die Schweiz. Aber ein Tor, das auch wie damals zum Zündfunken eines Sommermärchens werden könnte.
Das Personalkonzept ist aufgegangen
Auch damals lief bereits die Nachspielzeit, als der eingewechselte David Odonkor auf den eingewechselten Oliver Neuville flankte. „Das kann heute schon ein Knackpunkt-Moment gewesen sein“, meinte der eingewechselte Niclas Füllkrug, der eine Flanke des eingewechselten David Raum veredelte.
Julian Nagelsmann konnte just diesem Moment die positive Note an einem für die Deutschen gebrauchten Abend abgewinnen, sein Personalkonzept sei aufgegangen, seine Ersatzspieler liefern ab, wenn sie gebraucht werden. Der späte Punktgewinn sei ihm sogar lieber „als ein 4:0“.
„Wer nichts wagt, der nicht unentschieden spielt“
Die Schweiz war am Sonntagabend in Frankfurt bereits in der Mitte der ersten Halbzeit in Führung gegangen und sah über weite Strecken wie der Sieger aus, ehe Füllkrug zum 1:1 und dem Gruppensieg traf.
Der Bundestrainer sprach von einem „verdienten Punkt“, weil seine Mannschaft sich mit Leidenschaft gegen die Niederlage gestemmt und am Ende viel riskiert hatte. Sein Satz der Nacht mit einer umgewandelten Fußball-Floskel: „Wer nichts wagt, der nicht unentschieden spielt.“
Weil alle Spieldaten, von Torschüssen (19:4), erfolgreichen Dribblings (67 Prozent) bis Ballbesitz (70 Prozent) für sein Team sprachen, zeigte sich Nagelsmann keineswegs enttäuscht. Ebenso wie Spielgestalter Toni Kroos, dem dieses Mal aber durch die engmaschige Bewachungstruppe der Schweizer auch Grenzen aufgezeigt wurden.
Team zeigt, dass es einen Rückstand aufholen kann
„Ich bin total zufrieden mit der Mannschaft“, urteilte Kroos, dem besonders wichtig war, dass das Team zum wiederholten Mal gezeigt habe, dass es mit einem Rückstand umgehen könne.
Kapitän Ilkay Gündogan, der diesmal auch kaum Showelemente liefern konnte, gab zu: „Spielerisch war es nicht auf dem Niveau, das man von uns kennt.“ Von der „Bedeutung des Ausgleichs“ könne das Team aber auch im nächsten Spiel profitieren.
Doch auch Schweiz-Trainer Murat Yakin kam gut gelaunt in die nächtliche Pressekonferenz: „Ich bin froh und glücklich.“ Mit dem Ergebnis könne er gut leben: „Es tut mir nur leid um die Mannschaft, aber der Druck war immens.“ Granit Xhaka, sein Kapitän und „Man oft he Match“ bekannte: „Auf jeden Fall ist ein Stück weit Bitternis dabei. Wenn man kurz vor Schluss ein Tor bekommt, tut es mehr weh.“
Eine neue Abwehr formieren
Der Gegner im Achtelfinale am Sonnabend in Dortmund (21 Uhr) steht erst am späten Dienstagabend fest: England, Dänemark, Slowenien oder Serbien. „Alle haben Qualität, ich finde alle vier Gegner unbequem“, sagte Nagelsmann, der seiner Elf Lösungen anbieten muss, wenn seinen Kreativspielern Kroos, Gündogan und Musiala die Räume engmaschig zugestellt werden.
Zudem muss er eine neue Abwehr formieren, denn nach einer völlig überflüssigen Gelben Karte fehlt Jonathan Tah im nächsten Spiel. Nico Schlotterbeck deutet sich als Alternative an. Auch Antonio Rüdigers Einsatz ist wegen einer Muskelzerrung im Oberschenkel fraglich. Nagelsmann müsste eine Notabwehr kreieren.
Qualität, Moral und Leidenschaft
Dass Mats Hummels nicht nominiert wurde, könnte sich als Fehler erweisen. Wobei gegen die technisch und taktisch glänzend agierenden Schweizer die eingespielte Vierer-Stammformation nie sicher wirkte.
Was zuversichtlich stimmt: Einerseits die Qualität der Einwechselspieler, da sitzen Joker auf der Bank, die auf Anhieb funktionieren und andererseits die Moral und Leidenschaft, mit der sich die Deutschen in der zweiten Halbzeit gegen die Niederlage stemmten.
Dazu kommt der Teamgeist: „Alle feiern David in der Kabine“, verriet Nagelsmann die Jubelarien um den eingewechselten Flankengeber David Raum „Das ist ein besonderer Geist, den sie sich bewahren müssen und der noch viel bewirken kann.“