Haben misslungene Absprachen zum Tod von fünf Seeleuten geführt?

Haben misslungene Absprachen zum Tod von fünf Seeleuten geführt?

Fünf Personen haben nach der Kollision zweier Frachter in der Nordsee ihr Leben gelassen. Die Ermittlungen zur Ursache laufen auf Hochtouren – und nur auf den ersten Blick scheint die Rechtslage klar.

Frachter-Unglück wegen Abspracheproblemen?

Ermittlungen zur Ursache für den Zusammenstoß der „Verity“ und der „Polesie“

Nach dem Tod von fünf Seeleuten und der Rettung von zwei Personen aus den Fluten laufen die Ermittlungen zur Ursache für den Zusammenstoß der „Verity“ und der „Polesie“ in der Deutschen Bucht auf Hochtouren. Laut Ulf Kaspera, Leiter der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) in Hamburg, sind derzeit Experten der BSU und ihrem britischen Pendant in Cuxhaven, um die Brückenbesatzung der „Polesie“ zu befragen. Die Federführung haben die Briten, weil die gesunkene „Verity“ unter deren Flagge fuhr. „Das hängt mit dem internationalen Seerecht zusammen“, erklärt Kaspera. Wäre Großbritannien noch in der Europäischen Union, hätten sich Flaggen- (Großbritannien) und Küstenstaat (Deutschland) die Leitung der Ermittlungen geteilt. So arbeitet die BSU den britischen Kollegen lediglich zu – gemeinsam mit ihrem Pendant aus Bahamas, unter deren Flagge die „Polesie“ unterwegs war.

Die ersten Ermittlungen basieren Kaspera zufolge auf den öffentlichen Daten des Automatischen Identifikationssystems (AIS) der beiden Schiffe, anhand derer unter anderem Position, Kurs und Geschwindigkeit zum Unfallzeitpunkt gegen 5 Uhr am Dienstagmorgen nachvollzogen werden können. Die „Polesie“ war anhand dieser Daten, die auch der Redaktion vorliegen, in westlicher Richtung im Verkehrstrennungsgebiet „Terschelling German Bight“ – einer Art Schiffsautobahn – unterwegs, die „Verity“ von Süden kreuzend in Richtung Norden. „Die Rechtslage ist damit eigentlich klar“, sagt Kaspera auf Nachfrage der Redaktion. Die „Polesie“ habe als von Steuerbord – also rechts – kommendes Schiff eine Kurshaltepflicht gehabt, hätte also auf demselben Kurs mit derselben Geschwindigkeit weiterfahren müssen. Die „Verity“ hätte als von Backbord – also links – kommendes Schiff der „Polesie“ zum Heck hin ausweichen müssen. „Allein damit geben wir uns aber nicht zufrieden“, so Kaspera. Es müssten die genauen Umstände des Unfalls geklärt werden.

Warum steuerte die „Polesie“ in Richtung der „Verity“?

Die AIS-Daten zeigen und auch Kaspera weist darauf hin, dass die „Polesie“ kurz vor dem Zusammenstoß ihren Kurs leicht nach Backbord geändert hat, also auf die „Verity“ zusteuerte. Die „Verity“ hingegen steuerte in Richtung Steuerbord – mutmaßlich, um der „Polesie“ am Heck vorbei auszuweichen. Warum hielt die Crew der „Polesie“ nicht ihren Kurs bei, sondern steuerte auf die „Verity“ zu? „Es besteht die Möglichkeit, dass es Absprachen zwischen den Brücken gab“, sagt Kaspera. Obwohl davon abzuraten sei und sich Schiffsbesatzungen an das Seerecht halten müssten, komme das immer wieder vor.

„Ob das so war, wissen wir aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht“, so der BSU-Leiter. Eine andere Möglichkeit ergibt sich aus dem Studium der Seekarten: An der Stelle, an der die „Polesie“-Crew nach Backbord steuerte, macht das Verkehrstrennungsgebiet einen leichten Knick nach Süden. Möglicherweise ist die Brückenbesatzung also schlicht der vorgesehenen beziehungsweise in den Autopiloten einprogrammierten Route gefolgt. Warum das so war, werden die Ermittlungen zeigen.

Die Ermittlungen der BSU zielen insbesondere darauf ab, Erkenntnisse zu gewinnen, um künftige Unfälle zu vermeiden. Die Hamburger Behörde und ihre internationalen Pendants sind explizit nicht für die Strafverfolgung und die Klärung der Schuldfrage zuständig. Das liegt derzeit im Aufgabengebiet der Staatsanwaltschaft Hamburg. Deren Pressesprecherin Liddy Oechtering hatte am Mittwoch mitgeteilt, dass im Fall des Untergangs der „Verity“ wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und des gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr ermittelt werde. Am Donnerstag sagte sie auf Nachfrage, dass derzeit noch gegen unbekannt ermittelt werde. Konkrete Tatverdächtige gebe es noch nicht. „Die Bundespolizei See trägt aktuell Hinweise zusammen, um den genauen Verlauf des Zusammenstoßes rekonstruieren zu können“, sagte Oechtering. Angaben zur Person des einzigen tot geborgenen Seemanns, dessen Leichte obduziert werden soll, machte sie nicht.

Ihr Autor

Daniel Noglik

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Erstellt:
27.10.2023, 12:32 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 51sec

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